XANTEN. Die Willi-Fährmann-Gesamtschule Xanten feiert dieses Jahr ihr 10. Jubiläum. Begangen wurde dieser Geburtstag zuletzt noch einmal mit einer Podiumsdiskussion bei einem Festakt in der Mensa der Schule, an dem auch die Ministerin für Schule und Bildung des Landes NRW, Dorothee Feller, teilnahm.

Ein zehnter Geburtstag ist immer etwas Besonderes. Den der Willi-Fährmann-Gesamtschule haben die Lehrer und Schüler bereits auf erinnerungswürdige Art und Weise gefeiert, wie Rektor Frank Pieper in seiner Ansprache erzählt: unter anderem mit einer bunten Kunstaktion, einem Lego-Sumo-Wettbewerb, Mathematik zum Anfassen und einem Songworkshop für die ganze Schule. „Wir haben gemeinsam mit Eltern und Schülervertretung vorab überlegt, welche Schwerpunkte wir gerne setzen möchten.“ Damit die Feier aber nicht nur zum Selbstzweck verkommt, hat man sich auch inhaltlich zu einem besonderen Schwerpunkt entschieden: „Demokratie in der Schule“ hieß das Thema der Podiumsdiskussion, zu der auch Ministerin Dorothee Feller und Bürgermeister Thomas Görtz in die schuleigene Mensa gekommen waren.

-Anzeige-

Demokratie ist für die Gesamtschule ein bedeutendes Thema – erst recht angesichts einer „Zeit voller Umbrüche“: Pieper erinnert an Fake News, Epidemien und Kriege. Daher soll das Thema lebendig gehalten und gestaltet werden – mit Ideen von allen Seiten. Diese hätten die Schule ohnehin erst zu dem gemacht, was sie sei, dankte Pieper: „Eine Schule für alle, eine Schule der Vielfalt.“ Aber der Blick ist auch ein (selbst)kritischer, wie die Podiumsdiskussion nach einer ersten musikalischen Darbietung bewies.

Viele Blickwinkel

Fünf Teilnehmer widmeten sich mit ihren unterschiedlichen Blickwinkeln und Expertisen vielen Facetten des Themas, angeleitet durch die Fragen der Moderatorin. Den Anfang machte Ministerin Dorothee Feller, indem sie einen wichtigen Umstand ins Gedächtnis rief: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sondern will gelernt sein. „Es gibt mehr Staaten ohne Demokratie als mit. Auch in unserem Land haben wir viele Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, die nicht immer aus demokratischen Staaten kommen.“ Einen, aber nicht den einzigen wichtigen Baustein für die Vermittlung von Demokratiebildung sieht sie daher in den Schulen. Es gehe zwar auch darum, zu informieren, was die Staatsform sei, aber genauso darum, Demokratie erlebbar zu machen. „Zum Beispiel mit der Schülervertretung. Das ist eine wichtige Erfahrung“, nennt sie ein Beispiel.

Die gelebte Realität

Aber wie sieht es denn überhaupt mit der gelebten Demokratie an Schulen aus, hört die Beteiligung der Schüler beim Schulfest bereits auf? Lehrerin Sherina Maczkowski beantwortet das mit einem definitiven „Nein“, schränkt das aber noch anhand einiger Schülermeinungen ein. Allen voran nennt sie Kritik bezüglich der Meinungsfreiheit, die viele Schüler eingeschränkt sähen. „Das ist sehr, sehr bedauerlich, wenn wir doch Demokratie leben wollen.“ Gegenwind gibt es auch für die schulinterne Hierarchie, gerade wenn es um den Wunsch der Schülerschaft nach mehr Mitbestimmung geht, etwa bei der Gebäude- und Raumgestaltung. Maczkowski zeigt dafür Verständnis, gibt aber auch zu bedenken, dass das Kollegium nicht immer auf alle Bedürfnisse eingehen können. „Wir bräuchten mehr Ressourcen.“

Wenn es um den Soll-Zustand geht, müsse man Wege finden, die Selbstverständlichkeit der Demokratie zu fördern. „Mitsprache ist immer ein Ausdruck von gegenseitigem Respekt. Schule kann nicht alles, aber wir können mehr.“ Ansätze gibt es in der Gesamtschule bereits, zum Beispiel, indem Themen aus der ganzen Welt besprochen werden. „Das ist immer sehr fruchtbar, egal in welcher Jahrgangsstufe: Die Schüler haben Redebedarf, sie wollen sich mit den Problematiken auseinandersetzen.“ Für einen demokratischeren Unterricht setzt sie selbst zudem auf den Teamgedanken und versucht, ihren Schülern unter anderem Optionen für Inhalte und die Vorgehensweise anzubieten sowie Absprachen untereinander zu ermöglichen. Das zeigt sich auch im Klassenrat, in dem die Schüler untereinander gemeinsam Probleme besprechen und lösen können. Perfekt ist aber auch das noch lange nicht: „Dafür brauchen wir mehr Stunden.“

Mehr Hilfe benötigt

Für Lotta Rodermond von der Schülervertretung (SV) bedeutet das Wählen von Ämtern in der Schule zwar durchaus Demokratie, aber wie ihre Erklärungen zeigen, sind die Einschränkungen auch aus Schülersicht groß. „Wir versuchen viel, aber die Umsetzung ist sehr schwer“ – auch sie führt den Mangel an Ressourcen als Grund an, womit sie auch, aber nicht ausschließlich Zeit meint. „Irgendwann sind unsere Möglichkeiten ausgeschöpft, dann brauchen wir Hilfe von oben.“ Und genau dabei gibt es aus ihrer Sicht noch Luft nach oben, um das Potenzial der SV auszuschöpfen.

Dass Schüler zu Wort kommen, ist auch Dorothee Feller wichtig. „Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, im Schulalltag ihre Meinung zu äußern“, stimmt sie zu, und das müsse auch für bedeutendere Entscheidungen gelten. Gleichwohl wirbt sie für Verständnis für die Entscheidungsträger, die nicht immer sofort alle zufrieden stellen könnten. „Demokratie ist nicht immer einfach. Demokratie ist der Weg der kleinen Schritte, Demokratie bedeutet auch Kompromisse.“ Entscheidungsträger müssten Dinge abwägen und sich mit anderen abstimmen – was nicht bedeute, dass man damit aufhören solle oder dürfe, auf Dinge hinzuweisen und Lösungen anzubieten.

Erinnerung am Leben halten

Als es darum geht, an der Demokratie zu arbeiten und sie zu verteidigen, damit auch Minderheiten vor Diskriminierung geschützt sind, spricht die Moderatorin die Erinnerungskultur als wichtigen Eckpfeiler an. Wie Bürgermeister Thomas Görtz daraufhin ausführt, verrate ein Blick in die Geschichtsbücher, dass Frieden und Freiheit nicht selbstverständlich seien, umso bedeutungsvoller sei es daher, an andere Zeiten zu erinnern. Orte des Grauens, wie die auch von der Gesamtschule besuchten Konzentrationslager, seien dafür besonders geeignet – auch Ministerin Feller hebt außerschulische Lernorte als „Partner“ für Schulen hervor. „Es ist durch nichts zu ersetzen, den persönlichen Eindruck vor Ort zu machen. Man bekommt eine ganz andere Vorstellung von der Bedeutung von Demokratie“, sagt Görtz. Diese gelte es jeden Tag aufs Neue zu verteidigen, nicht nur in der Schule. „Wir müssen uns vorbildlich verhalten, indem wir diskutieren, Minderheiten achten, aber auch Mehrheiten respektieren.“ Im Zuhören liege ein bedeutender Unterschied zur Diktatur.

Viele historische Ereignisse, wie die Reichspogromnacht und die Befreiung von Auschwitz, seien nicht mehr in allen Köpfen präsent. „Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.“ Daher möchte er mit den Schulen daran arbeiten, auch mit neuen Formaten: „Um die Erinnerungskultur neu zu beleben, damit man diese Daten nicht vergisst. Damit wir nicht vergessen, was wir für einen Schatz, der unsere Demokratie ist, bewahren dürfen.“

Die Frage nach der Definition

Ebenfalls mit vielen vorangegangenen Schülergesprächen im Hinterkopf eröffnet SV-Lehrerin Agnes Maxsein mit einer kritischen These schließlich einen neuen Aspekt, wobei sie eine vorangegangene Aussage des Bürgermeisters aufgreift: „Dass alle Demokratiegestalter sind, könnte ein schöner Soll-Zustand sein, es ist aber bei weitem nicht so.“ Der Applaus zeigt: das Plenum teilt diese Auffassung. Maxsein spricht von einer inflationären Verwendung des Wortes Demokratie. Genüge es, dass man nicht von einem Tyrannen regiert werde und seine Meinung ungestraft äußern könne, oder spreche man darüber, wie sehr man in Abhängigkeiten stecke, erläutert sie weiter. „Wie radikal meinen wir diesen Begriff?“ Ihrer Meinung nach müssten alle ernstgenommen, gehört und transparent eingebunden werden. „Mit alle meine ich nicht nur die Gremien, die gewählt werden.“

Man müsse sich nämlich fragen, wie repräsentativ die politischen Gremien wirklich seien. „Wer wird dort gewählt, wer wird vertreten, wer hat eine Lobby, haben alle eine Stimme?“ Es gelte zu untersuchen, ob zum Beispiel gewisse soziale Herkünfte weniger vertreten seien. Der Erfolg an einer Schule hängt laut Maxsein nämlich sehr von Faktoren wie dem Standort oder familiärer Herkunft ab. „Diese Dinge haben einen extremen Einfluss auf die letztendliche Partizipation an demokratischen Prozessen.“ So könne bereits in Schulen Politik- und damit Demokratieverdrossenheit beginnen. Die Folge seien Resignation und auch Bequemlichkeit angesichts zu großer Anstrengungen.

„Da müssen wir ansetzen.“ Ihr Plädoyer: Jungen Leuten kann und sollte man mehr zutrauen. „So oft werden die am meisten Betroffenen am wenigstens gehört. Da verschenken wir viel Potenzial“, sagt sie über den durchaus vorhandenen Willen zur Gestaltung, den sie in ihrem Alltag immer wieder sehe.

Ohne Diskurs keine Demokratie

Bei einem so vielschichtigen Thema kristallisierten sich im Anschluss an Agnes Maxseins Beitrag naturgemäß noch gegenteilige Meinungen heraus, die in der Mensa kurzeitig sogar für eine teils hitzige Diskussion sorgten – wie es eben auch zu einer Demokratie gehört. Das war auch eine der Erkenntnisse des Tages: Sie lebt von vielen unterschiedlichen Ansichten und Perspektiven, die nicht immer oder oft nur schwer unter einen Hut zu bekommen sind. Umso wichtiger ist das richtige Miteinander zwischen allen Beteiligten, um Ziele erreichen zu können. Der beste Anfang dafür stellt ein ordentlicher, konstruktiver Diskurs dar, findet auch Sherina Maczkowski.

Vorheriger ArtikelLernen in moderner Campus-Atmosphäre
Nächster ArtikelKlimaaktivisten sabotieren Radrennen? Dafür gibt es keine Belege