RHEURDT. In den letzten Wochen war Martin Broekmann aus Rheurdt im Rahmen seiner Hilfsaktion „5.000 Mahlzeiten“ zum dritten Mal in der Ukraine unterwegs. Im NN-Interview erzählt er mehr von der Lage im Land, seinen turbulenten Erlebnissen und warum er nun auf dem Weg in die Heimat ist.

Als wir vor ein paar Wochen zuletzt miteinander sprachen, hatte eine Erkältung Sie ja zu einem Stopp gezwungen, aber abgesehen davon hatte es auf ihrer Reise noch keine Zwischenfälle gegeben. Hat sich daran seither etwas geändert? Wie verlief ihre weitere Reise durch die Ukraine?

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Martin Broekmann: Seitdem ich wieder gesund bin, habe ich jede Menge Leute besucht – in Dörfern, Kindergärten, Schulen und Altenheimen. Mit einem Freund bin ich aber auch zur Front gekommen, wo wir zum Beispiel die Stadt Lyman besucht haben. Sie liegt zu 50, 60 Prozent in Trümmern. Mitten in der Nacht bekam mein Auto dann Probleme mit dem Turbolader, sodass wir auf einer Straße liegen geblieben sind, die schon sehr oft unter Beschuss stand. Von da brachte man uns zu einer Werkstatt, in der Soldaten versucht haben, den Wagen zu reparieren. Man hat einige Komponenten erneuert, für die ich bereits über 1.000 Euro bezahlt habe, obwohl die Arbeit selbst umsonst durchgeführt wurde. Im weiteren Verlauf habe ich mich wieder mit dem Auto auf den Weg bis nach Kramatorsk gemacht.

Wie ging es dann weiter?

Broekmann: In Kramatorsk gab es in der Nacht von Samstag auf Sonntag Raketenbeschuss, ganz in der Nähe meines Hotels, sodass sogar die Fenster meines Zimmers aufgeflogen sind. Es sind mindestens drei Menschen gestorben. Ich selbst habe die ganze Nacht mit Schutzweste und Helm draußen gestanden, zwischen Schützengräben und meinem Auto, weil es mir im Haus zu gefährlich war. Sonntagmorgen habe ich mich dann auf den Weg in Richtung Kiew gemacht, weil ich genug von der Front hatte. Auf diesem Weg ist dann leider – 60 Kilometer vor Kiew – der Wagen komplett ausgefallen. Montags hat man dann den Wagen untersucht und einen Motorschaden im ersten Zylinder vermutet.

Was heißt das für Ihre weitere Reise?

Broekmann: Am Montag hat mein Freund Viktor Kozak aus Kowel einen Transport meines Rangers von vor Kiew bis nach Kowel organisiert. Am späten Montagnachmittag wurde der Wagen dann verladen und am frühen Dientagmorgen bin ich in Kowel eingetroffen. Bis zum Nachmittag organisierte Viktor dann den Weitertransport bis nach Deutschland.
Jetzt während des Interviews befinde ich mich gerade im LKW und wir sind auf dem Weg zur polnischen Grenze. Dort wird der Wagen abgeladen und muss es aus eigener Kraft noch über die Grenze schaffen. Ich hoffe, er packt das. Wir werden sehen.

Wenn wir dann ungefähr zwei Tage später in Machern bei Sachsen eintreffen, wird das Fahrzeug zu Ford Krause gebracht. Eine vorsichtige Schätzung des Werkstattmeisters über die Kosten eines Motoraustauschs liegt bei circa 12.000 Euro.

Konnten Sie denn vorher alle Hilfsgüter verteilen?

Broekmann: Es sind noch ungefähr 350 Konserven übriggeblieben, die aber von meinem Freund Viktor verteilt werden. In meinem Wagen liegen nur noch Kleinigkeiten und circa 30 Schlafsäcke.

Sie haben auf dieser Tour ja viele Gegenden besucht: Wie geht es den Menschen vor Ort und wie ist es um die Infrastruktur im Land bestellt?

Broekmann: Grundsätzlich kann man sagen: In der Ukraine gibt es alles, das Warenangebot ist groß. Aber neben den reichen Menschen gibt es keine gute Mittelschicht und einen großen Anteil armer Menschen. Es gibt Pensionäre, die ungefähr von 90 Euro Rente leben. Eine Lehrerin, die ich gefragt habe, bekommt 270 Euro im Monat. Und das ist im Vergleich schon ein sehr guter Verdienst – bei zehn Stunden Arbeit am Tag.

Konnte die Situation der von Ihnen besuchten Menschen im Vergleich zu vorher also etwas stabilisiert werden?

Broekmann: In den zwei Jahren hat sich die Lage, was die Versorgung mit Lebensmitteln und allem anderen angeht, deutlich gebessert. Es wird gepflanzt, es wird gebaut, auch viele Brücken, die am Anfang des Krieges zerschossen wurden. Von daher kann man sagen: Es geht aufwärts. Aber es gibt andere Probleme innerhalb der Ukraine. Man ist mit der Politik nicht mehr zufrieden.

Inwiefern? Und wie ist die allgemeine Einstellung oder Haltung innerhalb der Zivilbevölkerung angesichts der anhaltenden Kampfhandlungen? Sie berichteten ja zuletzt schon unter anderem von einer zunehmenden Zahl Soldatenbegräbnissen…

Broekmann: In der Zivilbevölkerung herrscht keine gute Stimmung. Der Anteil der gefallenen Soldaten in den unteren Gesellschaftsschichten ist deutlich höher als in den gut betuchten. Die Zufriedenheit mit dem Präsidenten sinkt und man ist nicht glücklich darüber, dass der Verteidigungsminister entlassen wurde. Man ist mit der Gesamtsituation nicht mehr zufrieden. Es gibt etliche Probleme, die zu einer Verschlechterung der Stimmung geführt haben.

Man spricht hier auch davon, dass auf einen getöteten ukrainischen Soldaten sieben getötete Russen kommen. Aus taktischer Sicht klingt das zwar gut, die Moral lässt aber trotzdem nach. Es fehlen nämlich definitiv Waffenlieferungen aus dem Westen. Das führt zur Zermürbung. Aus meiner persönlichen Sicht muss Europa die Produktion von Granaten, Munition und allem, was zu einem Krieg dazugehört, hochfahren.

Zwei Jahre tobt der Krieg nun schon in der Ukraine: Auf welche Weise macht er sich heute allgemein dort, wo Sie unterwegs waren, im Alltag der Menschen bemerkbar? Wie viel bekommen die Bürger derzeit davon mit?

Broekmann: Überall gibt es Sirenenalarme. Hinter Kiew nehmen die Raketen-Einschläge zu. Ich habe etliche Alarme selbst mitbekommen und immer wieder Einschläge gehört, die manchmal fünf, manchmal zehn Kilometer von mir entfernt waren. Bis hin zu der Geschichte in Kramatorsk.

Inwiefern wirkt sich das auf Ihre eigene Reise aus?

Broekmann: Ich wurde immer wieder gefragt, ob ich Angst habe. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte keine. Ich war mit Weste und Helm ausgerüstet und habe versucht, mich bei Alarm in sicheren Gefilden aufzuhalten. Wobei sicher da natürlich relativ ist. In Kramatorsk, wo wirklich geschossen wird, kann man zum Beispiel bei Sirenenalarm beobachten, dass die Leute nicht zum Bunker rennen. Sie gehen weiter einkaufen und auch die Kinder spielen weiter. Denn es ist so: Wenn eine Rakete den Bunker trifft, ist man tot. Wenn die Rakete das Haus trifft, ist man tot. Die Menschen müssen aber weiterleben und auch arbeiten. So hat man sich nach zwei Jahren mit der Situation arrangiert und lebt einfach weiter. Auch wenn es hier knallt und einschlägt.

In Anbetracht der wiederholten – und kostspieligen – Autopannen auf Ihren Reisen: Planen Sie noch eine vierte Fahrt?

Broekmann: Aus jetziger Sicht werden meine Tochter Lisa und ich das dann nach den Sommerferien beraten und entscheiden. Wir haben nicht alle Sachen transportieren können. Wir haben noch Konserven und Inkontinenzmittel und damit würde ich gerne das Altenheim nahe der Stadt an der weißrussischen Grenze mit seinen 20 Bewohnern besuchen. Dieses Altenheim wird liebevoll geführt, ist aber finanziell nur minimal ausgestattet. Für dieses Heim haben wir auch Geld für eine Waschmaschine gesammelt. Die konnte ich aber leider nicht mehr vorbeibringen. Sobald ich wieder in Deutschland bin, werde ich sie in Kiew bestellen. Diese wird dann über die ukrainische Post kostengünstig dorthin geliefert.

Eine sichere Weiterreise und vielen Dank für das Gespräch!

Wer Lisa und Martin Broekmann bei den Reparaturkosten des Wagens unterstützen möchte, kann das per Paypal unter Verwendung der E-Mail-Adresse 5000Mahlzeiten@web.de und unter dem Stichwort „Ranger-Rettung“ tun.

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