Otto Briese
Otto Briese mit seinem Buch auf seinem Sofa im Wohnzimmer – dort fühlt er sich heute wohl. NN-Foto: Sabrina Peters

XANTEN. Otto Briese hatte ein bewegtes Leben. „Ich habe viel Freud, Leid und Schmerz erfahren. Erst hier in Xanten bin ich zu Ruhe gekommen. Ich liebe die Ruhe hier in Wardt, wo ich seit 27 Jahren lebe“, sagt der heute 88-Jährige, der 1935 in Lipke im Kreis Landsberg (Warthe) geboren wurde. Damals gehörte die Region noch zur bis 1945 existierenden preußischen Provinz Brandenburg. „1945 wurde der Landkreis dann von Polen übernommen und wir wurden am 1. Juli desselben Jahres aus unserer Heimat vertrieben“, erzählt Briese, der seine Erlebnisse in seinem Buch „Wege übers Land – Eine Erzählung nach wahren Begebenheiten vom Beginn des zweiten Weltkrieges bis in das Jahr 2000“ niedergeschrieben hat.

Die ersten zehn Jahre habe er in diesem „Idyll am Netzebruch“ eine unbeschwerte Kindheit erlebt. Nachbarskinder seien seine häufigsten Spielpartner gewesen. Doch 1945 habe diese Unbeschwertheit schließlich ein jähes Ende gefunden. Bereits am 1. Januar habe die Familie von „Unruhen aus dem Osten“ erfahren. Ein Nachbar habe sehr aufgeregt zur Kenntnis gegeben, dass die Russen auf dem weiteren Vormarsch seien und „jeder Überlegungen anstellen soll, wie er auf beste Art und Weise sein Hab und Gut retten“ könne.

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Die Unruhen seien in den folgenden Wochen immer größer geworden. „Am 1. Juli 1945 – es war ein schöner Sommertag – deckte meine Mutter noch den Mittagstisch mit Bratkartoffeln und Spiegelei. Ohne Voranmeldung steht jemand mit vorgehaltener Pistole in der Tür und fordert unmissverständlich auf, dass wir unser Anwesen innerhalb von 20 Minuten verlassen müssen“, erinnert sich Briese. Große Aufregung, Erschütterung und Wut habe die Familie ergriffen. Seine Mutter Erna habe schließlich einige Kleidungsstücke, Dokumente und Esswaren eingepackt. Unfreiwillig habe sie schließlich die Haustürschlüssen übergeben. „Mein Vater war da schon nicht mehr bei uns. Er ist im Krieg gefallen“, sagt Otto.

Flucht nach Berlin

Die verbliebene Familie flieht schließlich nach Berlin zu einem Onkel, der sie in der Not aufnimmt. „Zum Glück war damals Sommer – im Winter bei Eiseskälte hätten wir die Flucht wohl nicht überlebt“, meint Briese. Doch schließlich kommen sie „vollkommen verkümmert“ in Berlin an. Die heutige Bundeshauptstadt blieb aber nur eine Zwischenoption. Erna Briese zieht mit ihren Kindern nach Dessau, wo Otto Briese die Oberschule besucht und in der Waggonfabrik Dessau seine Ausbildung zum Betriebselektriker absolviert.

„Den ersten Tag in der Lehrwerkstatt werde ich nie vergessen. Wir mussten verschiedene Aufnahmeanträge unterschreiben – unter anderem für die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Ihnen konnte man sich nicht widersetzen. Damit wurde die gesellschaftliche und politische Vereinnahmung aller Lehrlinge vollzogen“, sagt Briese.

Der heute 88-Jährige gehörte damals aber zu den besten Auszubildenden seines Jahrgangs und wurde schließlich an der Ingenieurschule für Elektromaschinenbau in Velten bei Berlin aufgenommen. „Wir wurden damals allerdings zwangsrekrutiert. 20 Jahre habe ich eine Kalaschnikow getragen“, sagt Briese. Junge Ingenieure seien in der DDR nur gefördert worden, wenn sie sich „vorbehaltlos dem kommunistischen System“ zugewendet hätten. „Deshalb war eine Mitgliedschaft in der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) erwünscht“, sagt Briese. Er habe zwar damals – wie auch in seinem späteren Leben – die Möglichkeit gehabt, nach Westdeutschland überzusiedeln, um dort zu arbeiten, „aber aufgrund meiner Familie habe ich das nicht angenommen. Meine Mutter wollte damals nicht mit“, berichtet der heutige Rentner. Deshalb blieb er bis zum Fall der Mauer 1989 in der damaligen DDR, wo er als Projektierungs-Ingenieur und Produktmanager im Elektromaschinenbau Karriere machte.

Berührung mit dem “schönen Leben”

Seine beruflichen Tätigkeiten führten ihn immer wieder nach Westdeutschland, wo er das „schöne Leben“ kennenlernte. Fluchtgedanken hätte er in diesen Jahren immer beiseitegeschoben. „Das konnte ich meiner Familie nicht antun. Schließlich wäre sie sofort untersucht worden – und mitnehmen konnte ich sie ja nicht“, sagt Briese. Umso größer sei jedoch die Freude gewesen, als am 9. November 1989 endlich die Mauer fiel. „Ich konnte es bis zuletzt nicht glauben. Am nächsten Tag bin ich gemeinsam mit meiner Frau mit dem PKW nach Wolfsburg gefahren. Die Idee hatten allerdings viele. Wir standen Stunden im Stau“, sagt Briese. Trotzdem sei es ein unglaubliches Gefühl von Freiheit gewesen. Sein Sohn Jens siedelte sogar bereits im Februar 1990 mit seiner heutigen Frau nach Düsseldorf über. Otto Briese nimmt am 1. Februar 1991 eine Anstellung bei einer Firma in Essen-Kettwig an und zieht mit seiner vor vier Jahren verstorbenen Frau ins Ruhrgebiet.
Vor 27 Jahren erfüllten sich die beiden ihren Traum vom eigenen Haus in Xanten-Wardt. „Hier waren wir von Anfang an angekommen“, sagt Briese, der seine Geschichte aufgeschrieben hat, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. „Ich möchte auch die heutige Generation warnen. Es gibt so viel Unruhe in der Welt. Die Rechten werden immer stärker und populärer. Aber so ein fremdbestimmtes Leben wie damals in der DDR darf es nicht noch einmal geben“, sagt Briese.

Wer Interesse an „Wege übers Land – Eine Erzählung nach wahren Begebenheiten vom Beginn des zweiten Weltkrieges bis in das Jahr 2000“ hat, kann sich bei Otto Briese unter Telefon 02801/90356 oder 0151/41253643 melden.

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