GELDERN. Das St.-Martins-Komitee Geldern blickt dieses Jahr auf eine 120-jährige Geschichte zurück. Währenddessen ist viel in der Welt passiert, auch heute sind die Zeiten wieder mehr als turbulent. Umso wichtiger sind daher Traditionen, die nicht nur Freude bereiten, sondern auch den Zusammenhalt stärken. Hunderte Menschen, Groß und Klein, feiern jedes Jahr St. Martin in Geldern, aber ohne das Komitee, das den Zug und die Tütenausgabe organisiert, wäre all das undenkbar. Grund genug für einen kleinen Blick auf das, was war, was ist und was sein wird.

Auf Initiative des ersten Vorsitzenden Wilhelm Bergmann hatte sich 1903 das erste, 15-köpfige St.-Martins-Komitee in Geldern zusammengefunden. Schon damals sei die Vorfreude in der Bevölkerung groß gewesen, hieß es 1962 rückblickend in der Presse. Die Freude blieb den Geldernern einige Jahre erhalten, bis der erste Weltkrieg die Martinszüge zum Erliegen brachte. Erst ab 1919 konnte das Komitee sie wieder durchführen, wenn auch getrübt durch wirtschaftliche Probleme.

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Neustart nach dem zweiten Weltkrieg

Das nächste dunkle Kapitel schlug nicht viel später der zweiten Weltkrieg auf. Die Gleichschaltung brachte einen Führungswechsel mit sich, das bisherige Komitee wurde aufgelöst und das Vermögen beschlagnahmt. Erst nach dem Krieg gestatteten die Alliierten 1945 wieder einen Martinszug –  wenn denn für die Umsetzung ein unabhängiger Ausschuss gegründet würde. Leicht war das Vorhaben nicht: zu besonders die Verhältnisse, zu kurz die Vorbereitungszeit. So hat es noch bis Oktober 1946 gedauert, ehe unter Einladung von Bürgern aus allen Schichten der Bevölkerung ein neues Komitee gegründet wurde, dann unter dem Vorsitz von Peter Loffi. Die Mitglieder machten sich alsbald fleißig ans Werk: Noch im selben Jahr konnten sich die Kinder in Geldern wieder über eine Martinstüte freuen. Die waren damals gefüllt mit einem Weckmann, Plätzchen, Äpfeln, Nüssen oder Kastanien und einer Zuckerstange. So fand die Martinstradition nach und nach wieder zu neuer Kraft.

Über die Jahre begleiteten immer wieder Besonderheiten die gut besuchten Züge: 1948 wurde er im Nordwestdeutschen Rundfunk übertragen, wobei Jean „Schäng“ Kox diese Gelegenheit nutzte, um ein St. Martinsgedicht in Mundart zum Besten zu geben. Das rezitierte er 2018 ein weiteres Mal – nun zwar als Bewohner des Adelheid-Hauses, aber noch immer frei aus dem Kopf heraus. Das Feuerwerk wiederum hat seinen Weg ins Programm vermutlich beim 50. Martinszug 1952 gefunden. Und 1967 wurde das Event sogar international: durch Beteiligung der befreundeten Städte Nijmegen und Zolder. Heute agiert das Komitee unter der Leitung von Gerd Koppers.

Die vielen Gesichter des St. Martin

Die Mitglieder des St.-Martins-Komitees Geldern bei einer Feier zum 120. Jubiläum.

Das St.-Martins-Kostüm haben sich seit dem Krieg zahlreiche Männer in Geldern übergestreift. Darunter finden sich bekannte Namen wie Klaus Schaffrath, Fritz Kox, Dieter Schade, Rudi Eck und Paul Heßler. „Wir greifen oft auf Darsteller aus den umliegenden Vereinen zurück“, erläutert der stellvertretende Vorsitzende Johannes Hartmann, der selbst einmal den St. Martin gemimt hat. Immer leicht hat man es in dieser Rolle aber nicht, wie einige Anekdoten aus der Vergangenheit zeigen: So musste zum Beispiel Jakob Janßen, Regionalmarktleiter der Sparkasse Krefeld, 2014 den Zugweg zu Fuß gehen, weil das Pferd bockte.

Kaplan Böckenhoff sei sogar einmal vom Pferd gefallen, erzählt Hartmann weiter. Mittlerweile verlange das Sicherheitskonzept jedoch immer erfahrene Reiter, schließlich könne nicht nur nicht jeder Darsteller reiten, der Zug sei auch „Trubel ohne Ende“. Seit 1995 besetzt das Komitee die Rolle des St. Martin doppelt. Während der eine reitet, geht der andere zu Fuß. Ein weiterer Vorteil: Mit beiden Händen lässt es sich besser den Kindern zuwinken.

Ohne Helfer kein St. Martin

Ohne die Packer geht es einfach nicht. Hier im Jahr 2022.

Ausgefallen ist der Martinszug seit dem Krieg nur zwei Mal: 2010 wegen einer Sturmwarnung und 2020 wegen der Pandemie. Dass die Tradition schon so lange so verlässlich stattfinden kann, liegt vor allem damals wie heute am starken Rückhalt durch die ehrenamtlichen Helfer. Nur so ist es überhaupt möglich, den in den letzten Jahren weiter gestiegenen Bedarf zu decken. Allein 55 Helfer packen bald in der dafür von der Feuerwehr bereitgestellten Wache eine Rekordzahl von 810 Tüten für Senioren ab 85 Jahren und 2.440 Martinstüten für Kinder vom 2. Lebensjahr bis zur 6. Klasse. Der Inhalt wird immer an die Zielgruppe angepasst. Sekt gibt es zum Beispiel nur für die Senioren – Verwechslung ausgeschlossen, verspricht Hartmann mit einem Lachen.

Während die Tüten für die Kinder nur zu den jeweiligen Schulen gebracht werden müssen – hier unterstützt die Feuerwehr ebenfalls tatkräftig – ist der Aufwand bei den Seniorentüten schon größer. Denn längst nicht alle Senioren leben zentral in den Heimen, sondern viele nach wie vor zu Hause. Daher machen hier noch einmal rund 40 Helfer die Runde.  „Es ist ein Riesenapparat von Freiwilligen“, sagt Johannes Hartmann. „Wir sind froh, dass wir so viele Menschen finden, die uns unterstützen. Anders würde es gar nicht gehen.“

Hohe Kosten, viele Spenden

Nicht vergessen sollte man noch die rund 100 Freiwilligen, die sich jedes Jahr zur Haussammlung aufmachen. Denn ohne ausreichend finanzielle Mittel gäbe es weder die Musikkapellen beim Martinszug, noch Leckereien für die Tüten, die circa auf einen Wert von über zehn Euro kommen. Die Kosten pro Jahr beziffert Hartmann auf 40.000 bis 45.000 Euro. Glücklicherweise sei die Spendenbereitschaft mehr oder weniger gleich hoch geblieben. „Es gibt sogar einen leichten Trend nach oben.“ Ein gewisses Plus kommt auch durch Losverkäufe über die lokalen Wirte in die Kasse.

Das bedeutet aber nicht, dass das Komitee nicht auch vorausschauend planen müsste. Nicht nur will die leckere Ware rechtzeitig in ausreichender Stückzahl bestellt sein, auch nach guten Angeboten wird bereits früh gesucht.

Erschwerend hinzu komme seit zehn, zwanzig Jahren noch der größere Formalismus, erklärt der für die Logistik zuständige Tobias Koppers. „Früher ging alles auf Zuruf, es waren immer die Gleichen da. Heute gehen wir mehr in die Kommunikation, versenden zum Beispiel Einladungen.“ Auch die Nutzung der Fahrzeuge, die die Feuerwehr zur Verfügung stellt und fährt, müsse genehmigt werden. „Sie muss Formulare ausfüllen und an mehreren Stellen anfragen, damit ihre Fahrzeuge zur Verfügung stehen können.“ Hier lobt Hartmann die Zusammenarbeit mit der Stadt. „Sie nimmt uns viel von diesem Formalismus ab.“

Straffer Zeitplan am 11. November

In Geldern findet der St. Martinszug seit jeher am 11. November statt. Daher geht es dieses Jahr am kommenden Samstag los. Das Programm fällt für den St. Martin straff aus: Um 9 Uhr besucht er zuerst die Tüten-Packer, ehe es um 10.30 Uhr ins Altenheim Haus Karin geht, um 11.30 Uhr schließlich ins Adelheid-Haus, um 13 Uhr in die Bellini-Residenz, um 14.15 Uhr ins Haus Golten, um 15.45 Uhr zum Bürgertreff ins Pfarrheim und um 17 Uhr mit den Kita-Kindern in den Pfarrgarten. Um 17.30 Uhr folgt dann die Ansprache am Markt, ehe zehn Minuten später der von Musikern begleitete Martinszug mit etwa 2.500 Leuten loszieht. Dieses Jahr sind das erste Mal Musik-AGs aus den Schulen dabei. „Wir unterstützen sie dafür ein wenig finanziell“, sagt Hartmann.  Den Abschluss bildet das Feuerwerk am Egmondpark.

Wer dieses Jahr den St. Martin spielt, darüber schweigt sich das Komitee noch aus. Johannes Hartmann verrät mit einem Augenzwinkern nur so viel: „Er kommt aus dem Bergknappenverein und Jugendspielmannszug Geldern.“

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