XANTEN. Etwa fünf Milliarden Kleidungsstücke befinden sich in deutschen Kleiderschränken. Rund ein Fünftel davon wird nie, ein weiteres Fünftel selten getragen. Lediglich etwas mehr als ein Drittel dieser Kleidungsstücke tragen ihre Besitzer im Alter von 18 bis 69 Jahren wirklich regelmäßig. „Der Verkauf von Kleidungsstücken hat sich seit 2011 etwa verdoppelt“, wusste Frank Herrmann. Mittlerweile spreche man nicht mehr von „Fast Fashion“, also schnelle Mode, sondern von der Steigerung „Ultra Fast Fashion“. Mit seinem Vortrag „Ultra Fast Fashion – Schluss mit der Wegwerfmode“ war er am vergangenen Montag zu Gast in der Marienschule Xanten und beim zehnten Jubiläum der Stadt Xanten als Fairtrade-Stadt.

Die Schülerinnen beeindruckte Hermann allein schon mit den nackten Zahlen. Dass eine Baumwoll-Jeans 50.000 Kilometer zurückgelegt hat, ehe sie beim Käufer angelangt ist, hatte von den Sieben- und Achtklässlerinnen keine gedacht. Immerhin reist das Kleidungsstück damit mehr als einmal um die Welt. Trotzdem ist die Bekleidungsindustrie eine der stärksten Wirtschaftszweige überhaupt: 77,5 Milliarden Euro setzte sie 2019 – vor der Coronavirus-Pandemie – um. 2020 und 2021 ging der Umsatz auf jeweils rund 65 Milliarden Euro zurück – die Coronavirus-Pandemie machte sich bemerkbar, bei der vor allem der stationäre Handel litt.
Kein Geheimnis ist, dass die Situation der Näherinnen und Näher in der Textilbranche prekär ist. Hermann erinnerte in seinem Vortrag nochmal an den Einsturz von Nähfabriken in Pakistan 2012 mit 258 Toten und 2013 in Bangladesh mit über 1200 Toten und 2400 Verletzten. „In Xinjiang in China werden Menschen immer noch zu einer Zwangsarbeit gezwungen – zum Teil ohne Lohn“, berichtete Hermann. Erschrocken zeigten sich die Schülerinnen auch über den Stundenlohn, den Näherinnen und Näher in einer Fabrik erhalten: Während der Mindestlohn in Deutschland bald auf zwölf Euro pro Stunde angehoben wird, bekommen Näherinnen und Näher dort nur 51 Cent. „Wenn sie zwei Stunden arbeiten, sind das gerade mal 1,02 Euro. Sie müssen lange arbeiten, um sich etwas leisten zu können“, sagte die zwölfjährige Elisa. Auch im EU-Ausland sieht der Stundenlohn nicht automatisch besser aus: In Bulgarien liegt er bei gerade einmal zwei Euro.

-Anzeige-

Frank Herrmann zeigte den Schülern anhand eines T-Shirts, wie sich das Geld verteilt. Mit 50 Prozent verdiene der Handel am meisten an einem T-Shirt, wenngleich er auch Kosten zu tragen habe. Die Markenwerbung mache 25 Prozent aus; die Fabrikkosten rund 13 Prozent. Auf den Transport und die Steuern würden elf Prozent abfallen, während die Lohnkosten bei einem T-Shirt lediglich ein einziges Prozent betragen würden. „Wenn ein T-Shirt teurer ist, bedeutet das nicht gleich, dass es fair produziert wurde. Oft ist nur der Gewinn des Unternehmens höher, die Bedingungen für die Näherinnen und Näher sind aber dieselben“, erklärte Herrmann. Beim Kauf sollten Verbraucher daher auf qualifizierte Gütesiegel achten oder bei Unternehmen kaufen, die nachweislich fair produzieren lassen.
Ein großes Problem der Fashion-Industrie sei allerdings nicht nur die Produktion, sondern auch das Wegschmeißen. „Es werden 200 Milliarden Kleidungsstücke jährlich produziert, aber nur 160 Milliarden Kleidungsstücke verkauft“, sagte Hermann. Der Rest werde größtenteils vernichtet. Der Zyklus, in denen Modefirmen neue Kollektionen vorstellen würde, habe sich erheblich verringert. „Inzwischen gibt es online-Firmen, die wöchentlich neue Kollektionen anbieten“, sagte Herrmann. Auch der Kunde trage mit vielen Paket-Rücksendungen beim Online-Shopping zu einer schlechten Klimabilanz bei. „2018 gab es ,nur‘ 280 Millionen Rücksendungen; 2020 waren es 315 Millionen“, sagte Herrmann.
Mit einem CO2-Ausstoß von 3,3 Milliarden Tonne pro Jahr sei die Fashion-Industrie eine der größten Faktoren im Bereich CO2-Ausstoß. Daher solle jeder fünf goldene Regeln beachten: Weniger ist mehr, tauschen ist das neue Kaufen, reparieren statt wegwerfen, wiederverkaufen und die Frage: „Brauche ich das wirklich?“.

Elisa hat beim Vortrag von Frank Herrmann gelernt, dass sie bereits auf dem richtigen Weg ist: „Die meisten Kleidungsstücke aus meinem Kleiderschrank sind von meiner älteren Schwester, obwohl sie oft einen ganz anderen Geschmack hat wie ich. Aber die Sachen sind noch gut, weshalb ich sie weitertrage, auch wenn ich das manchmal doof finde. Aber nach dem Vortrag weiß ich, dass das besser ist. Ich möchte auch später darauf achten, dass meine Kleidung gut produziert wird. Dafür gebe ich dann auch lieber mehr Geld aus.“
Die Stadt Xanten feiert am Wochenende weiter ihr zehnjähriges Fairtrade-Jubiläum. Am Samstag wird ab 20 Uhr der Film „Nur Fliegen ist schöner“ im klimaneutralen Open-Air-Kino am Gradierwerk im Kurpark-West gezeigt. Bereits um 18 Uhr beginnt der Verkauf von fairen Snacks. Eine Jubiläumsfeier ist am Sonntag ab 13.30 Uhr mit einem fairen Kaffeeklatsch geplant. Dazu sollen Bürger eigene Picknickdecken oder andere Sitzgelegenheiten mitbringen. Um 11 Uhr ist bereits ein ökumenischer Gottesdienst in der Nähe des Gradierwerks.

Vorheriger ArtikelMiteinander Momente in Goch: Internationales Kinderfest
Nächster ArtikelEin erstes Lebenszeichen vom „Emmerich Vital“