KREIS WESEL. Die Lage der Wohlfahrtsverbände im Kreis Wesel spitzt sich immer weiter zu. Nicht nur gestaltet sich die Finanzierung zunehmend problematischer, immer mehr Druck gibt es auch bei der Flüchtlings- und Migrationsberatung. Die Folgen könnten drastisch sein, warnt die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege im Kreis Wesel (AG Wohlfahrt). In einem Pressegespräch informierten Vertreter der beteiligten Institutionen über die prekäre Lage.

Kitas, offener Ganztag, Pflege, Frauenhäuser und Beratungsangebote wie die Migrationsberatung: Die Arbeit der freien Träger der Wohlfahrtsverbände deckt unzählige soziale Bereiche ab und ist quasi unverzichtbar. Und trotzdem steht die soziale Arbeit am Scheideweg, sagt Andreas Fateh vom Paritätischen, Sprecher der AG Wohlfahrt.

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Schwierige Finanzierung wird noch schwieriger

Grund dafür sind nicht nur allein die inflationsbedingt deutlich gestiegenen und weiter steigenden Sachkosten sowie die Tarifsteigerungen. Hinzu kommt noch, dass – abseits des immer schwieriger zu finanzierenden Eigenanteils der freien Träger – die Refinanzierung der Dienste durch Zuschussfinanzierungen aus öffentlicher Hand bereits in der Vergangenheit nur unzureichend und aktuell noch gar nicht angepasst worden seien. Es herrscht Unterfinanzierung.

„Die bisherigen Versuche, mit den Kostenträgern ins Gespräch zu kommen, waren bislang nicht wirklich von Erfolg gekrönt“, sagt Fateh und erläutert weiter. „In vielen Arbeitsbereichen zeigt das Land NRW auf die Kommunen und die Kommunen auf das Land.“ Das sorge für Unklarheit. „Wir wissen nicht, wie es nachhaltig weitergehen soll.“

Somit drohen drastische Folgen: Viele Träger denken bereits darüber nach, ihre Angebote zu reduzieren und Stellen abzubauen. „Irgendwo müssen die Einsparungen ja herkommen“, sagt Andreas Fateh. Im schlimmsten Fall könnten etablierte Angebote komplett eingestellt und ganze Einrichtungen geschlossen werden, warnt die AG Wohlfahrt. Von den daraus erwachsenden Nachteilen für die Bürger im Kreis Wesel ganz zu schweigen.

Bisherige Bemühungen der Wohlfahrtspflege, in den verschiedenen sozialen Bereichen dagegenzusteuern, gingen ins Leere: Weder habe die Landesregierung auf den Brandbrief bezüglich der Situation der Kitas reagiert, noch die Bundestagsabgeordneten auf den Brief über die geplanten – ebenfalls intransparenten – Kürzungen im Haushalt, etwa bei der Migrationsberatung oder den Freiwilligendiensten. „Wir können uns nicht darauf vorbereiten“, sagt Brunhild Demmer vom Caritasverband Moers-Xanten.

Keine Kooperation mit den Wohlfahrtsverbänden

Einen besonderen Knackpunkt stellt derzeit die vielschichtige Migrations- und Flüchtlingsberatung dar. Die Zahl der Flüchtlinge und Zuwanderer steigt stetig, und mit ihr die Herausforderungen, die auch die Beratungsstellen der Wohlfahrtspflege betreffen. Diese kommen den Beratungsanfragen mangels Personal nämlich kaum noch hinterher. Neben einer Erhöhung der Stellen ist für die AG Wohlfahrt daher auch die effektive Nutzung vorhandener Ressourcen unabdinglich.

2020 hat das Land NRW das Kommunale Integrationsmanagement (KIM) ins Leben gerufen, das auch die Zusammenarbeit zwischen den kommunalen Behörden verbessern soll – inklusive der Empfehlung, die Wohlfahrtsverbände einzubinden. Für die Umsetzung des Projekts haben die Wohlfahrtsverbände des Kreises Wesel der Kreisverwaltung im Zuge dessen mit Verweis auf ihre langjährige Erfahrung und gute Vernetzung ihre Unterstützung angeboten. Das Ziel: Doppelstrukturen vermeiden, Abläufe optimieren und die Mehrbedarfe effektiv decken. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten, so der Gedanke.
Gelungen ist das jedoch nicht, kritisiert die AG Wohlfahrt: Zwar habe der Kreis Wesel das Geld eingesetzt, um die Beratungsstellen mit sogenannten Case-Managern auszubauen, sagt Andreas Fateh – aber ohne die vorhandenen Beratungsstrukturen der Wohlfahrtverbände einzubeziehen.

„Der Kreis Wesel hat sich bis heute dagegen gesperrt und diese Stellen komplett in den Städten und Gemeinden platziert.“ Die Folge: zwei aneinander vorbeilaufende und teils konkurrierende, unnötig ineffiziente Systeme. „Das KIM leistet mit den Case-Managern die gleiche Arbeit, wie die etablierten Migrationsberatungsstellen der freien Träger“, sagt Fateh. All das, während die Verbände entgegen einem Sturm von Beratungsanfragen von Kürzungen bedroht seien und Gefahr liefen, zunehmend verdrängt zu werden, kritisiert die AG Wohlfahrt.

Neutralität in Gefahr

Ein anderes Problem sieht man darin, dass die Beratungen auf diese Weise vollständig in der öffentlichen Hand beziehungsweise bei der Verwaltung liegen – entgegen dem Subsidiaritätsprinzip.

Nach diesem Prinzip soll der Staat nur dann eingreifen, wenn soziale Probleme nicht von Einzelnen, Familien oder sozialen Initiativen gelöst werden können. Olga Weinknecht vom Awo-Kreisverband Wesel spricht von einem Widerspruch zur neutralen, unabhängigen Beratung im Interesse der Klienten. Sie erläutert: „Eine Verwaltung darf die Klienten zeitgleich sanktionieren, also Leistungen kürzen oder Abschiebungen anmelden. Die Verwaltung hat das Schicksal einer Person in der Hand.“

In anderen Kommunen sei die Kooperation im Rahmen des KIM wesentlich besser gelungen, erklärt Jürgen Voß von der Grafschafter Diakonie des Kirchenkreises Moers. Als Beispiele nennt er Duisburg und den Kreis Kleve. Umso mehr hoffen die Verbände, dass der Kreis Wesel die Bedenken und Kritik ernst nimmt und in Zukunft einen Kurs der Kooperation einschlägt.

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