Rüdiger Gollnick dank Sabine Sweetsir (links) für die gute Zusammenarbeit. Foto: J.Kurschatke

RHEINBERG. Regionalhistoriker Rüdiger Gollnick versucht, Geschichte vom Niederrhein in einem größeren Kontext einzubetten. Für seine Bücher über diverse Themen arbeitet er dafür mit Stadtarchiven und Institutionen zusammen. Sein neues Buch „Verhaftet, Interniert, Verhungert“ geht dem Schicksal der deutschen NS-Soldaten in den Gefangenenlagern der Alliierten auf den Grund. Anhand eines persönlichen Beispiels liegt der Fokus dabei auf dem Rheinwiesenlager Rheinberg und dem Internierungslager Staumühle bei Hövelhof, Paderborn.

„Verhaftet, Interniert, Verhungert“ ist der dritte Band einer Trilogie in der sich Rüdiger Gollnick mit dem Soldatenleben zum Ende des Zweiten Weltkrieges befasst. Sein erster Band „Fremd im Feindesland – Fremd im Heimatland“ erschien 2017 und stellt das Rheinwiesenlager in Rheinberg und das Kriegsgefangenenlager für alliierte Soldaten, in Staumühle, gegenüber.

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Dabei wird unter anderem auf die katastrophalen Bedingungen für die Gefangenen beider Seiten aufmerksam gemacht. „Das Lager Staumühle wurde als Seuchenlazarett genutzt. Es waren hauptsächlich sowjetische Gefangene, die dorthin gebracht wurden. Sie starben wie die Fliegen“, erklärt Rüdiger Gollnick.

Auch im Rheinwiesenlager sah es für die etwa 80.000 Gefangenen nicht viel besser aus. „Es gab keinerlei Schutz für die Inhaftierten. Sie mussten sich Erdlöcher Graben und darin Hausen.“

In Band zwei der Trilogie greift Rüdiger Gollnick einen Schritt voraus: Es geht um verbotene Liebesbeziehungen zwischen deutschen Frauen und ausländischen Zwangsarbeitern während der NS-Zeit.

„Aufgrund der Rassentrennung waren Liebschaften zwischen deutschen und Menschen anderer Herkunft untersagt. Kam eine Beziehung ans Licht wurden die Zwangsarbeiter ermordet und die Frauen kamen ins Konzentrationslager. Man hat sie öffentlich gedemütigt und ihnen die Haare geschoren.“ erklärt Gollnick. Das Buch „Verbotener Umgang“ erschien 2022.

Jetzt, zwei Jahre später erschien der dritte Band der Trilogie. Rüdiger Gollnick schlägt darin eine Brücke zwischen den Lagern Staumühle und Rheinberg, die in der Geschichte bisher nie erkannt worden seien: „Meine Frau und ich sind die Ersten, die die Verbindung zwischen dem Rheinwiesenlager und dem Lager in Staumühle anhand eines Beispiels ziehen konnten. Darauf gekommen sind wir durch einen Zufall“, erläutert Gollnick weiter.

Dieser Zufall hat mit dem Schicksal eines Inhaftierten zu tun: Georg Nöring.
„Georg Nöring war von 1930 bis 1943 Lehrer in Kempen und Hüls. Er war engagierter Nazi und trat 1933 auch in die NSDAP ein. Daraufhin wurde er Amtsleiter der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt)“, wie Gollnik weiter erklärt.

Im Zuge einer Präventivmaßnahme wurde Nöring etwa ab Mitte April 1945 von den amerikanischen Besatzungskräften inhaftiert und in das Rheinwiesenlager Rheinberg gebracht.

Er hinterließ fünf Kinder im Alter von fünf bis 18 Jahren und eine Frau. „Viele Personen in amtlichen Stellungen wurden von den Alliierten aus Angst vor Widerständen in Lagern interniert und festgesetzt. Das geschah auch sehr willkürlich und meist ohne einen besonderen Grund.“

Für Nörings Familie folgt eine Zeit der Ungewissheit, bis am 25. November desselben Jahres schließlich die Nachricht seines Todes eingeht. Mit der Nennung des Todesortes: Staumühle.

Seine Frau bricht zusammen und stirbt nur drei Wochen später am 16. Dezember. Was hat es mit dem Internierungslager Staumühle auf sich?

Die Kinder, jetzt Vollwaisen, wurden fortlaufend von der ältesten Schwester Elfriede aufgezogen. „Nörings Kinder wussten nur, dass ihr Vater in das Rheinwiesenlager Rheinberg gekommen war. Darüber, dass aber Staumühle als Todesort auf dem Leichenpass angegeben war, wurde in den kommenden Jahrzehnten nie wieder gesprochen. Sie wussten überhaupt nicht, dass es in Staumühle auch ein Lager gab, in welches ihr Vater verlegt worden war. Daher dachten sie fälschlicherweise weiterhin, dass Georg Nöring im Rheinberger Lager verstarb,“ erklärt Gollnick.

Fast 70 Jahre später wurden Nörings jüngste, heute noch lebende Tochter Hanneburg und ihr Ehemann dann durch den ersten Band der Trilogie Gollnicks darauf aufmerksam, dass das Rheinwiesenlager zum Zeitpunkt des Todes von Georg Nöring, nicht mehr existiert hatte.

Was war mit dem Familienvater passiert? Im Auftrag der verbliebenden Familie lag es nun an Rüdiger Gollnick, das herauszufinden.

„Durch große Hilfe und einige Türöffner in den Stadtarchiven, gelang es uns, sowohl das alte Gelände des Lagers Staumühle zu besichtigen als auch Dokumente und Bilder zu finden. Einen besonderen Dank möchte ich dabei an Sabine Sweetsir aus dem Stadtarchiv Rheinberg richten. Von hier aus konnte die Recherche beginnen“, betont Gollnick.

Wieso Georg Nöring und viele weitere Häftlinge von Rheinberg aus in das Internierungslager Staumühle verlegt wurden und unter welchen Umständen der Mann schließlich verstarb, ist in dem neuen Buch von Rüdiger Gollnick zu lesen. Für die Familie Nöring kehrt mit diesem Band wohl endlich ein Stück Frieden ein.

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