Weitere Auskiesungen am Niederrhein sind anfechtbar

Kiesgegner fühlen sich durch neues Gutachten bestärkt im Protest

KREIS WESEL. Seit mehr als zwei Jahrzehnten kämpfen die Städte und Gemeinden am Niederrhein, vor allem im Kreis Wesel, dagegen, dass sich hier Baggerloch an Baggerloch reiht und aus der Vogelperspektive gesehen ihre einzigartige Kulturlandschaft zu einem „Schweizer Käse“ gemacht wird.

Prof. Dr. Martin Kment, Landrat Dr. Ansgar Müller, Simone Spiegels, Bündnis Niederrheinappell, , Bürgermeister Harald Lensen, Neukirchen-Vluyn, Bürgermeister Prof. Dr. Christoph Landscheidt ,Kamp-Lintfort (v.l.) bei der Landespressekonferenz Foto: privat

Schon heute sind durch die ungebremsten Auskiesungen hunderte von Hektar wertvoller Natur-, Landwirtschafts- und potentieller Entwicklungsflächen für die Städte am Niederrhein dauerhaft verloren. Allein in Kamp-Lintfort sind es bald acht Prozent des gesamten Stadtgebietes. Mit der geplanten Verlängerung des Versorgungszeitraums von 20 auf 25 Jahre im Entwurf des Landesentwicklungsplans (LEP) sollen im Kreisgebiet circa 300 Hektar hinzukommen und unwiederbringlich zerstört werden. Das sind 420 Fußballfelder. In dem „Bündnis Niederrheinappell 2019“ haben sich allein 14 Bürgerinitiativen zusammengeschlossen, die über 4.000 Einwendungen gegen den LEP mitorganisiert haben.
Weil der jahrelange politische Widerstand jedoch nichts gebracht hat, haben sich der Kreis Wesel und die am stärksten betroffenen Kommunen Kamp-Lintfort, Alpen, Rheinberg und Neukirchen-Vluyn zusammengetan und ein Gutachten in Auftrag gegeben zu der Frage, ob der neue LEP überhaupt rechtmäßig ist, insbesondere, ob die geplante Verlängerung des Versorgungszeitraums von 20 auf 25 Jahre den gesetzlichen Anforderungen entspricht und welche rechtlichen Möglichkeiten die Betroffenen haben, gegen weitere geplante Auskiesungen vorzugehen.
Der namhafte Rechtswissenschaftler Dr. Martin Kment, Direktor des Instituts für Umweltrecht der Universität Augsburg, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht, Umweltrecht und Planungsrecht, kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die geplanten Änderungen des LEP in wesentlichen Punkten nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen:
Die Verlängerung des Versorgungszeitraums von 20 auf 25 Jahre, so der Sachverständige, entspreche nicht den Anforderungen des Raumordnungsgesetzes, weil die Landesregierung es versäumt habe, in eigener Verantwortung zu ermitteln, welchen „Bedarf“ sie eigentlich sichern wolle. Allein mit der Festsetzung des „Versorgungszeitraums“ entziehe sich die Regierung ihrer gesetzlichen Steuerungsaufgabe. Der Sachverständige macht dieses gravierende Defizit des LEP an einem Beispiel deutlich: „Wenn man den Bedarf der Bevölkerung an Trinkwasser für einen Zeitraum von 25 bzw. 35 Tagen in Gefäßen vorhalten will, muss man vorher selbstverständlich ermitteln, welchen Bedarf an Wasser die Bevölkerung tatsächlich hat. Steht es im Belieben des Versorgers, den Bedarf an Wasser festzulegen, dann liegt es auch in seiner Hand, über den Versorgungszeitraum zu disponieren. Will er nur geringe Mengen in kleinen Gefäßen vorhalten, reduziert er die Annahme zum Verbrauch pro Tag. Zielt er auf eine große Menge Trinkwasser ab (große Gefäße), erhöht er einfach den angenommenen Pro-Kopf-Verbrauch.“
Dieses Versäumnis führe dazu, so das Gutachten, dass entsprechende Maßnahmen des Regionalverbandes Ruhr (RVR) zur Umsetzung des LEP, also die Ausweisung weiterer Auskiesungsflächen am Niederrhein, anfechtbar wären und mit Erfolg vor Gericht beklagt werden könnten.
Die betroffenen Kommunen fühlen sich durch das Gutachten in ihrer Kritik bestätigt, dass der angebliche „Bedarf“ für weitere Auskiesungsflächen als substantielle Grundlage für derart weitreichende Eingriffe in hochwertige Rechtsgüter unzureichend definiert sei. Genau genommen verfahre die Landesregierung in der Weise, dass sie die bisherigen Abgrabungsmengen schlichtweg fortschreibe, die ihr von der Kiesindustrie vorgegeben würden.
Dr. Ansgar Müller, Landrat des Kreises Wesel, sagt: „Den zukünftigen Bedarf nur nach dem bisherigen Verbrauch zu bestimmen, passt nicht für einen endlichen Rohstoff wie Kies. Was weg ist, ist weg. Die Landesregierung fördert die Verwendung von Holz als Baumaterial. Konsequenz muss es sein, mit geringeren Bedarfen beim Kies zu planen. Aus rechtlicher Sicht ergeben sich hier Parallelen zum Stopp des Tagebaugebiets Hambacher Forst durch das Oberverwaltungsgericht: Denn auch beim Kiesabbau am Niederrhein ist die Notwendigkeit des umfangreichen Eingriffs sowohl in Natur und Landschaft, als auch in die Planungshoheit der Gemeinden nicht ausreichend belegt.“
Die beteiligten Kommunen fordern die Landesregierung deshalb auf, in den parlamentarischen Beratungen bis zur Sommerpause dafür zu sorgen, dass der Bedarfsbegriff rechtssicher und ressourcenschonend formuliert wird. Dies müsse kurzfristig und im Dialog mit allen Beteiligten geschehen, damit es künftig nicht zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommt. „Das Rechtsgutachten von Prof. Martin Kment beweist, dass die Bedarfsberechnung für Sand und Kies im Landesentwicklungsplan rechtlich nicht zulässig ist“, dieser Auffassung ist der SPD-Landtagsabgeordnete René Schneider und er fordert, die Landesregierung müsse bis zum Sommer eine juristisch saubere Definition liefern.
Auch Hubert Kück, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag äußert: „Richtig, dass ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben wurde. Nur so konnte ein erheblicher Missstand in der Landesgesetzgebung von CDU/FDP aufgedeckt werden!“ Die Grünen unterstützen das Aktionsbündnis Niederrheinappell.

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