KREIS KLEVE. Alle Kinder sollen von Anfang an von guten Bildungsangeboten profitieren. Im Januar 2016 ist daher das Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gestartet. Mit dem Programm wird alltagsintegrierte sprachliche Bildung als fester Bestandteil in der Kindertagesbetreuung gefördert. Doch aktuell steht das Programm, von dem bundesweit rund 7.000 Einrichtungen profitieren, vor dem Aus. Auch im Kreis Kleve sorgt das für Unverständnis.

„Dieser Schlüssel zur Welt, zu Inklusion und Chancengleichheit, droht jetzt abzubrechen“, mahnen Manuela Paufler (37) und Juliane Hasselaar (47). Beide halten das drohende Ende des Programms für das falsche Signal. Gerade jetzt, auch mit Blick auf die Flüchtlinge aus der Ukraine, sei Kontinuität gefragt. „Es macht wenig Sinn, die über Jahre aufgebauten Strukturen der gut eingespielten Teams aufzulösen, um dann im Nachhinein festzustellen, dass man genau da wieder ansetzen muss“, finden sie. Paufler ist seit Februar 2017 als zusätzliche Fachkraft in der Klever Kita „Zauberstern“ tätig, Hasselaar betreut, ebenfalls auf 19,5-Stunden-Basis, als zusätzliche Fachberatung der Klever Caritas einen Verbund von zehn Sprach-Kitas verschiedener Träger. Hasselaars Kollegin Kristina Timmer ist für weitere elf Sprach-Kitas im Kreis Kleve und in Bocholt zuständig.

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Die vom Bund geschulten Fachberater sorgen unter anderem für die Vernetzung der Kitas untereinander. Und das auch über den jeweiligen Verbund hinaus, etwa mit praxisorientierten Ideensammlungen und Anregungen für den Umgang mit geflüchteten und vertriebenen Kindern und Familien, die auch anderen Einrichtungen zur Verfügung stehen. „Wir werden gegen das Ende des Programms ankämpfen“, sagt Hasselaar und verweist auf den aktuellen Bildungsbericht, der abermals darauf aufmerksam macht, dass der familiäre Hintergrund darüber entscheidet, ob und in welchem Maße Kinder Zugang zu Bildung haben. Oder eben nicht.

“Sprachförderung ist etwas anderes als Sprachbildung”

„Häufig wird der Ansatz der Sprach-Kitas missverstanden“, weiß Paufler und stellt klar: „Sprachförderung ist etwas anderes als Sprachbildung.“ Als zusätzliche Fachkraft sei sie für die Qualitätsentwicklung innerhalb der Einrichtung zuständig. Und das in enger Zusammenarbeit und ständigem Austausch mit dem gesamten Kita-Team. „Damit wir alle Kinder und ihre Familien erreichen können“, erklärt Paufler. Das betreffe nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund, sondern auch „inklusive“ Kinder. „Eine der drei Säulen unserer Arbeit ist die inklusive Pädagogik“, erklärt die 37-Jährige und nennt Beispiele: „Wie gehen wir mit der Vielfalt in unserer Gesellschaft um? Was ist „normal“ und wie lässt sich Inklusion in unserer Einrichtung umsetzen? Das fängt schon bei der Puppe mit Brille an oder beim Bilderbuch, in dem ein Kind zwei Väter oder Mütter hat oder in einer kleinen Mietwohnung und nicht in einem großen Haus mit Garten lebt.“

Eine weitere Säule ist die „Alltagsintegrierte Sprachbildung“. Paufler: „Es geht nicht darum, dass die Kinder alles richtig aussprechen und die korrekte Grammatik anwenden, sondern darum, dass sie sich trauen, mit anderen ins Gespräch zu kommen und sich mitzuteilen.“ Nur so lasse sich Sprache erlernen und festigen. Die dritte Säule: Zusammenarbeit mit den Familien. „Wie kann ich mit Familien, die kein Deutsch sprechen, kommunizieren? Wie kann ich Kita-Strukturen deutlich machen oder wichtige Informationen vermitteln?“, zählt Paufler auf, was gemeinsam mit dem Kita-Team besprochen und dann auch im Kita-Alltag umgesetzt wird. „Alle drei Säulen sind eng miteinander verzahnt“, betont die Logopädin: „Es geht darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich jedes Kind bestmöglich entwickeln kann. Und das geht einfach besser, wenn sich auch jedes Kind verstanden und willkommen fühlt.“

Paufler sieht die Sprach-Kitas auf einem guten Weg. Die Entscheidung der Bundesregierung, die im Rahmen der Koalitionsverhandlungen vereinbarte Weiterführung des Programms nicht mehr in die Haushaltsplanung für 2023 aufzunehmen, hält sie für fatal. Sie glaubt nicht, dass sich der Wegfall der zusätzlichen Fachkräfte kompensieren lässt. „Der Kita-Alltag ist sehr fordernd und die Versorgung der Kinder hat für die Erzieher oberste Priorität“, erklärt Paufler. Als zusätzliche Fachkraft und Teil des Teams könne sie einschätzen, was Mitarbeiter, Eltern und Kinder beschäftigt und was benötigt wird. Ohne diese Impulse und regelmäßige Reflexion werde in Zukunft vieles auf der Strecke bleiben.

Bundesregierung soll Entscheidung überdenken

„Mit dem Aus hat, gerade jetzt, niemand gerechnet“, sagt Juliane Hasselaar. Zwar wolle der Bund die Verantwortung an die Länder übertragen, „doch die haben schon gemeinsam appelliert, die Entscheidung vor dem Hintergrund der Coronapandemie und der vielen Geflüchteten aus der Ukraine zurückzunehmen“. Der Schritt verschärfe die ohnehin angespannte Personalsituation in Kindertageseinrichtungen, sei „unverständlich und fahrlässig“. Hasselaar befürchtet: „Wenn jetzt in jedem Bundesland neue Konzepte entwickelt werden, verlieren wir an vielen Stellen kostbares Knowhow.“ Deshalb sei es wichtig, die Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam zu machen und die Politik dazu zu bewegen, erneut über die Fortführung der Sprach-Kitas abzustimmen.

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