Martina und Wilhelm Joosten zeigen anhand ihres Familienbuchs, wie viel Geschichte im Familienbetrieb steckt. NN-Foto: Anastasia Borstnik

KEVELAER. Wer die Schenkwirtschaft Johann Joosten auf der Rheinstraße 82 in Kevelaer betritt, hat das Gefühl, als ob sich hier seit 106 Jahren – so alt ist die Kneipe bereits! – nichts verändert hat. Und nun? Nun ist Schluss. In zwei Tagen geht eine Ära zu Ende. Dann schließt die Schenkwirtschaft für immer ihre Türen.

Viele kennen die Schenkwirtschaft, die vor über 100 Jahren von Wilhelm Joostens Großvater, Johann Joosten, eröffnet wurde, unter dem Namen „Bussard”-Kneipe. So hieß der Schwiegervater des Großvaters, Hermann, der ihm das 1902 gebaute Gebäude überließ, mit Nachnamen. Am 19. März 1910 hatte der Landwirt, Gastwirt und Kohlehändler die Räumlichkeiten dann aus- und vorne einen 50 Quadratmeter großen Schankraum angebaut. 1940 übernahm dann der Vater von Wilhelm Joosten den Betrieb und ab 1979 leitet der heutige Gastwirt in dritter Generation den Familienbetrieb.

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Seit seinem 14. Lebensjahr steht er hinter der Theke. „Ich kann mir nichts anderes vorstellen”, erzählt er. Gemeinsam mit seiner Frau Martina betreibt er die Schenke. Seine beiden Söhne treten nicht mehr in seine Fußstapfen. Das findet er nicht schlimm: „Die Kneipen, wie wir sie kennen, gibt es in einigen Jahren nicht mehr.” Daher hört der 67-Jährige nach knapp 40 Jahren aus Alters-, aber auch aus gesundheitlichen Gründen auf. „Als Kneiper ist man rund um die Uhr da”, weiß der Betreiber, der mit Herz und Leib Wirt ist. „Die Kneipe ist so gesehen mein Wohnzimmer.” Nun möchte er mehr Zeit für seine Familie, vor allem für seine dreijährige Enkelin, haben. Er und seine Frau haben sich schon vor längerer Zeit überlegt, die Kneipe zu schließen. „Vor zwei Jahren haben wir uns mit unseren Kindern zusammengesetzt und überlegt, wie es weiter gehen soll. Leider haben wir hier keine Zukunft gesehen”, so Joosten.

Dabei ist Wilhelm Joosten hier groß geworden und war als gelernter Landwirt, Gastwirt und Kohlenhändler in die Fußstapfen seiner Vorfahren getreten. „Es kam vor, dass ich um 5 Uhr aufgestanden bin, zur Zeche fuhr um Kohle zu holen und erst um 1 Uhr im Bett war, weil ich abends noch in der Kneipe aushalf”, erinnert sich der Rentner. „Sobald ich damals aus der Schule zurück war, half ich mit.” Sein Bruder und seine Halbschwester verfolgten andere Ziele. „Die ganzen Jahre, seit ich hier bin, hat es nie Schlägereien gegeben. Was wir hier gemacht haben, nannten wir ,kontrolliertes Trinken‘ “, schmunzelt er. Die Kneipe ist, bis auf einige Modernisierungsmaßnahmen, so erhalten geblieben, wie vor 106 Jahren. So gibt es bei ihm noch runde Tische und Binsenstühle. „Wir sind das erste Haus am Platz aus Winnekendonk kommend und die letzte Kaschemme, wenn man aus der Stadt kommt”, erzählt er.

Am kommenden Freitag, 13. Mai, ist die „letzte Schicht”, wie er sie nennt, dran. Doch bereits heute geht die Abschiedsfeier los. „Alle Getränke kosten bis zur Schließung nur noch einen Euro. Freitagabend ist Feierabend”, sagt der zweifache Vater. „Was danach kommt – ob wir in ein tiefes Loch fallen, wie viele nach so einem Schritt behaupten – wissen wir noch nicht.” Fest steht jedoch: „Kevelaer hat ab Samstag eine Traditionskneipe und gleichzeitig die älteste, die im Familienbesitz ist, weniger”, so Joosten. Dann gibt es die drei verschiedenen Biersorten Pils, Alt und Kölsch mit dem passenden Bierdeckel – das zum Ritual geworden – nicht mehr. „Selbst bei Karneval schenkten wir aus den normalen Gläsern aus und unter ein Pils kam dann auch ein Pilsdeckel.” Bereits vier Mal fungierte die Schenke als das Wachlokal des jeweiligen Kevelaerer Festkettenträgers, zweimal war es auch die Prinzenburg. Einmal im Monat trafen sich hier die Mitglieder des Bergknappenvereins St. Barbara Kevelaer, die sogar ihren eigenen Raum hatten.

Schenkwirtschaft wird zum Wohnhaus

Nach der Schließung sollen auf den rund 350 Quadratmetern Wohnungen (unter Denkmalschutz) entstehen. „Wir haben die Schenke verkauft statt sie zu verpachten”, erzählt Joosten. „Ich könnte es nicht mit ansehen, wenn sie untergehen sollte.” Am Ende verrät er noch einen Leitspruch, der sich die vielen Jahre bewährt habe: „Bis 12 Uhr muss einmal herzhaft gelacht werden!” So verlässt er sein „Wohnzimmer” mit einem traurigen, aber auch glücklichen Auge.

 

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