PFALZDORF. Will man die Vielfalt alter Obstsorten für künftige Generationen bewahren, sollte man schnell handeln, denn für die genetische Bandbreite tickt die Uhr immer schneller. Grund genug für den Likk (Landschaftspflege im Kreis Kleve), sich einem weiteren Projekt zu widmen. Dieses Mal geht es um alte, regionale Kirsch-Sorten. Im vergangenen Jahr hatte der Likk einen Aufruf nach solchen Sorten gestartet (die NN berichteten), nun liegen die Ergebnisse vor.

Federführend geleitet hat das Projekt Carina Pfeffer, Pomologin aus Rösrath (Pomologie: Obstbaumkunde, Anm. d. Red.) und eine von nur zwei Expertinnen in ganz Deutschland für dieses spezielle Fachgebiet. „Wir sind von Glauben abgefallen, wie viel wir hier gefunden haben“, zeigt sie sich begeistert. Deutschland sei im 18. Jahrhundert das „Kirschenland Nummer Eins“ gewesen; die Wende lag um 1920 herum: „Dann kam der Erwerbsobstbau mit modernen Sorten und das Interesse an der Pomologie schlief langsam ein“, erzählt Pfeffer. Noch zehn bis 15 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sei die Kirsche, die beim Verkauf gute Preise erzielte, beliebter im Anbau gewesen als Äpfel und Birnen. Wurden Kirschbäume nachgepflanzt, seien es aber oft die modernen Züchtungen gewesen. Eine kritische Situation, denn dadurch ging Wissen um alte Sorten und ihre Besonderheiten verloren.

-Anzeige-

Seltene Exemplare

Schwerpunkt der Kartierung war im nördlichen Kreisgebiet der Bereich der Pfälzer Siedlungen: Pfalzdorf, Louisendorf und Neulouisendorf. Dabei ging es um Bäume auf Streuobstwiesen, die für den Eigenbedarf beziehungsweise die regionale Vermarktung gepflanzt wurden. „Hier am Niederrhein herrscht eine hohe Sortendichte“, erläutert Carina Pfeffer. Darunter sind viele, die nur in dieser Region vorkommen. Bis zu 150 Jahre können Kirschbäume alt werden. Gefunden habe man 35 Süßkirschen, drei Sauerkirschen und zwei Bastardkirschen – diese hat Merkmale zwischen Süß- und Sauerkirschen. Die Sorten tragen zum Beispiel Namen wie „Louisendorfer Weinrote“, „Gocher Späte Knorpelkirsche“ oder „Pfalzdorfer Rote Herzkirsche“. 80 Prozent aller gefundenen Sorten sind seltene bis sehr seltene Sorten. „Davon gibt es teilweise nur noch einen Baum“, so Carina Pfeffer.

Peter Haartz (Mitarbeiter Likk), Carina Pfeffer (Pomologin), Jürgen Opschroef (Mitarbeiter Likk), Landwirt Ernst Honig, Hubert Lemken (1. Vorsitzender Likk) und Dr. Georg Verbücheln (Stöckmann-Stiftung) vor dem alten Kirschbaum auf der Wiese von Ernst Honig. Durch das Veredelungsprojekt kann der Landwirt nun die alte Sorte erhalten. NN-Foto: CDS

Und so seien viele der gefundenen Bäume vom Aussterben bedroht, weil sie schon lange nicht mehr vermehrt wurden und sie niemand mehr kennt. Komplett vom Markt verschwunden sind deshalb die gelb-roten, frühen Kirschsorten. Dabei seien sie besonders empfehlenswert: „Sie platzen weniger auf als späte Sorten“, berichtet die Expertin. Wegen ihrer frühen Reife hätten sie zudem weniger Probleme mit gefürchteten Schädlingen, der Kirschenfruchtfliege und der Kirschessigfliege, gegen die im konventionellen Bereich oft viel gespritzt werden müsse. Und nicht zuletzt werden sie weniger von Vögeln gefressen, die sie aufgrund der Farbe für unreif halten. Durch die Klimaveränderungen rücken diese Vorteile nun wieder in den Fokus, so Carina Pfeffer. Viel geholfen mit Hintergrundinformationen habe der Pfalzdorfer Landwirt Ernst Honig, der genau weiß, wo in der Nachbarschaft noch alte Kirschbäume stehen. Zum Beispiel auch auf seiner eigenen Obstwiese: „Honigs Bunte Herzkirsche“. Um die 300 Bäume sind im vergangenen Jahr durch den Likk lokalisiert und kartiert worden. Teilweise geschah dies sogar durch die Untersuchung des Kerns und eine Gen-Analyse.

Veredelung

Durch Veredelung im Gartenbaubetrieb von Likk-Mitarbeiter Jürgen Opschroef aus Straelen wurden bereits 25 alte Sorten gesichert. Dafür wird ein Reis von der alten Sorte auf einen anderen jungen Baum aufgepfropft – ein traditionelles Verfahren. Wer sich für eine alte Kirschsorte interessiert, der kann den Likk kontaktieren: „Man kann einen Baum vorbestellen und zum Herbst geben wir den veredelten Baum ab“, erklärt Hubert Lemken, Vorsitzender des Likk. Aber er gibt zu bedenken: „Ein Kirschbaum braucht bis zu 140 Quadratmeter Platz.“

Akribisch müssen die Sorten untersucht werden. Foto: privat

Wenn die jungen Bäume herausgegeben worden sind, soll festgehalten werden, wo sie stehen. „Jeder Baum bekommt ein Sortenschild mit einem QR-Code, der zur Beschreibung führt“, so Lemken weiter. Das habe der Verein bereits für 1.200 Sorten gemacht „Ein bisschen verrückt sind wir schon“, schmunzelt Lemken, „aber wir wollen die Leute mitnehmen und Begeisterung wecken.“ Ohne Sponsoren kann solch ein Projekt nicht in die Tat umgesetzt werden. Mit an Bord sind die Stiftung für Heimatforschung und Heimatpflege der Volksbank an der Niers, die Firma Zentis und die Stöckmann-Stiftung. „Wir sind der Meinung, dass Natur- und Artenschutz auch die Sortenvielfalt umfasst“, begründet der 2. Vorsitzende der Stiftung mit Sitz in Rheinberg, Dr. Georg Verbücheln, das Engagement, „wir sind auch geneigt, wegen des großen Erfolgs ein Folgeprojekt zu finanzieren.“ Das stehe bereits in den Startlöchern, wie Hubert Lemken berichtet. Die Erwartungen sind hoch: „Wir hoffen, dass wir noch mehr gute Sachen finden“, bringt es Lemken auf den Punkt, „jetzt geht es erst richtig los.“

Hintergrund
Der Likk (Landschaftspflege im Kreis Kleve) widmet sich seit nunmehr 18 Jahren den Themen des Natur- und Artenschutzes im Kreisgebiet. Diese sollen einen positiven Effekt auf das ökologische Gleichgewicht haben. Wer sich für die Arbeit des Vereins interessiert, findet Informationen auf der Homepage unter https://likk.eu. Die Broschüre zum aktuellen Kirschen-Projekt, mit vielen Bildern und Erläuterungen, ist gegen eine kleine Spende beim Likk erhältlich.

Großes Bild: Die Blüte von „Honigs Bunte Herzkirsche“. Foto: privat

Vorheriger ArtikelLeben retten – eine Herzenssache
Nächster ArtikelEuropäische Geduldsprobe