Arbeitslosigkeit steigt wieder

Der Arbeitskräftebedarf ist weiterhin hoch, aber es fehlen Fachkräfte zur Besetzung von Stellen

NIEDERRHEIN. Den beliebten Satz „Wer arbeiten will, findet auch Arbeit“ lässt Barbara Ossyra, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Wesel, nicht gelten. „So einfach ist das nicht“, betont Ossyra und ergänzt: „Es müssen auf dem Arbeitsmarkt auch die Qualifikationen passen. Hinzu kommen zudem noch individuelle Faktoren wie gesundheitliche Einschränkungen.“ Das seien auch die Gründe dafür, weshalb die Arbeitslosigkeit in den Kreisen Wesel und Kleve im vergangenen Jahr trotz eines weiterhin hohen Arbeitskräftebedarfs gestiegen sei.

Die vielfältigen Herausforderungen im Jahr 2023, wie die gestiegene Inflation im ersten Halbjahr, die Auswirkungen des weiter andauernden Krieges seitens Russlands gegen die Ukraine und die Unsicherheiten rund um die Energiekosten hätten Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt gehabt. „Sie haben die Konjunktur geschwächt“, sagt Ossyra. Dies habe den Rückgang der Arbeitslosigkeit aus dem Jahr 2022 erst einmal gestoppt – und das obwohl die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in den Kreisen Wesel und Kleve auf ein Rekord-Hoch von 251.711 Personen (250.889 Personen in 2022) um immerhin 0,3 Prozent anstieg. „Sie hätte aber noch höher ausfallen können, wenn ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung gestanden hätten“, sagt Ossyra. Allerdings gebe es eine große Differenz im Anforderungsniveau zwischen Angebot und Nachfrage. Während im Jahresdurchschnitt 2023 4.826 Arbeitsstellen für Fachkräfte im Agenturbezirk gemeldet wurden – das entspricht 57,8 Prozent aller gemeldeten Arbeitsstellen – waren gleichzeitig zwar 6.996 Fachkräfte arbeitslos gemeldet, demgegenüber standen allerdings 15.534 sogenannte arbeitssuchende „Helfer“ mit geringer oder gar keiner Berufsausbildung. Für sie gab es jedoch nur 1.820 gemeldete Arbeitsstellen.

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Die Agentur für Arbeit versucht mit der Vermittlung von geförderten Weiterbildungen zu helfen. „Das können betriebliche Einzelumschulungen, überbetriebliche Umschulungen, Teilqualifizierungen oder Anpassungsqualifizierungen sein“, sagt Ossyra. Viele Arbeitssuchende würden die Chance, über eine Weiterbildung wieder in den gesicherten Arbeitsmarkt zu kehren, gerne nutzen und teils auch proaktiv danach fragen. „Aber auch hier gibt es individuelle Unterschiede. Ältere Personen, die lange aus dem Lernen raus sind, fällt es in der Regel schwerer eine Weiterbildung zu starten als Jüngeren“, berichtet Ossyra. Allerdings sei im vergangenen Jahr die Jugendarbeitsarbeitslosigkeit (15 bis unter 25 Jahren) im Agenturbezirk mit 21,4 Prozent (2.408 Personen) in 2023 ungewöhnlich hoch angestiegen. „Das könnte aber damit zu erklären sein, dass weniger Unternehmen ihre Auszubildenden aufgrund der schwächeren und unsicheren Wirtschaftslage übernehmen konnten“, meint Ossyra.

Insgesamt liege die Arbeitslosigkeit in den Kreisen Wesel und Kleve aber auf einem vergleichsweise immer noch niedrigen Niveau. Die Arbeitslosenquote stieg zwar von 5,6 auf 6,3 Prozent an, mit 25.991 gemeldeten Arbeitslosen (23.140 im Jahr 2022) – davon waren 16.623 Personen im Kreis Wesel und 9.368 Personen im Kreis Kleve arbeitslos gemeldet –  ist die Zahl der Arbeitslosen aber immer noch unter dem Niveau von 2014 geblieben, wo es 29.011 Arbeitslose gab (Arbeitslosenquote: 7,3 Prozent). Mit 10.436 Langzeitarbeitslosen gab es 2023 im Agenturbezirk jedoch nur knapp 400 mehr als im Vorjahr.

Probleme in allen Branchen

Probleme, qualifizierte Fachkräfte zu finden, hätten mittlerweile jedoch alle Branchen. „Da gibt es keine mehr, die keine Probleme verzeichnet. Das Handwerk hat diese zwar schon länger, aber es kommen immer neue Bereiche dazu, wie etwa die Gastronomie“, sagt Christian Parnitzke, Bereichsleiter der Agentur für Arbeit Wesel im Bereich Arbeitsvermittlung. Die intensiven Maßnahmen in der Pflege zur Besetzung von Arbeitsstellen hätten jedoch bereits eine positive Wirkung gezeigt. „Hier ist die Zahl der Beschäftigten angestiegen, allerdings immer noch nicht ausreichend“, berichtet Ossyra. Wie in vielen anderen Branchen sei Zuwanderung eine Möglichkeit, die Bedarfslücke zu schließen.

Und die Zahlen zeigen, dass die Beschäftigung in von Zugewanderten kontinuierlich steigt. 2015 gab es im Agenturbezirk lediglich 301 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte aus den acht stärksten Asylherkunftsländern, im vergangenen Jahr waren es 3.961. Auch die Zahl der ukrainischen Arbeitnehmer in einem sozialversicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis stieg in 2023 auf durchschnittlich 802 an. Das am 19. August vergangenen Jahres verabschiedete Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung 2.0 soll in Zukunft die Einbindung von Zuwanderern unter anderem durch eine Anerkennungspartnerschaft von Qualifikationen für den Arbeitsmarkt erleichtern, sodass auch mit ihnen der Fachkräftebedarf gedeckt werden soll.

Unsichere Prognosen

Die Prognosen für das Jahr 2024 seien mit einigen Unsicherheiten behaftet. „Die konjunkturelle Entwicklung und geopolitische Auswirkungen werden die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt beeinflussen“, ist sich Ossyra sicher. Erfreulicherweise sei der Arbeitsmarkt in den Kreisel Wesel und Kleve aber recht robust und für die Zukunft gut gerüstet, auch wenn kontinuierlich Handlungsbedarf bestehe. Die Weiterbildung und Qualifizierung würden jedoch noch stärker an Bedeutung gewinnen. „Im Zuge der Transformation am Arbeitsmarkt ist es unumgänglich, in lebenslanges Lernen zu investieren. Das gilt für Beschäftigte ebenso wie für arbeitssuchende Menschen, die ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern möchten“, sagt Ossyra. Für diese anspruchsvollen Ausgaben brauche es aber starke Netzwerke, die in den Kreisen Wesel und Kleve in den vergangenen Jahren allerdings immer enger geworden seien.

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