Neue Zeit – altes Lied oder: Rilke und Arsen

Vielleicht ist das die Lösung: Nichts mehr zu Ende denken. Es gibt kein Serum gegen den Untergang …

Die Mappe

Da liegt die Mappe: „Klaus Franken – Poems on Linoleum V: Die neue Zeit“. Der erste Satz: „Wir lassen uns nichts nehmen, wir leben im Bequemen“. Die Flucht ins Behagliche. Vielleicht ist das die Lösung: Nichts mehr zu Ende denken. Klaus Franken – ein Beobachter, dem nie der Humor und die feine Ironie abhanden kamen. Jetzt, scheint es, steht er mit seinem Stift am Kraterrand. „Wir Menschen haben uns nicht verändert“, sagt er, „aber unser kriegerischer Umgang hat eine neue Qualität erreicht.“ Doch ja – da ist er: Der feine Humor, der längst mit Zynismus übermalt ist: Die Qualität des Untergangs.

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7+2

„7+2 handabgezogene Drucke von mehrfarbigen Linolschnitten. Auflage: 23 nummerierte und signierte Exemplare.“ Das klingt fast noch unbeschwert. Man öffnet die Mappe und wird zum Zeugen einer gigantischen Talfahrt: bunt bebildert. Man wollte doch die Augen schließen und jetzt kommt einer und zwingt uns ins Hinsehen: „Wir leben noch, wir leben noch. Sterben tun erst mal die anderen.“

“Du kannst es dir nicht aussuchen”

Draußen macht sich der Advent startklar. Und dann das? „Du kannst es dir nicht aussuchen“, sagt Klaus Franken. Recht hat er. Die Geschichte kennt kaum Feuerpausen. Vielleicht ist das die Lösung: Nicht mehr alles zu Ende denken. „Wenn du alles zu Ende denkst, ist es nicht auszuhalten“, sagtdenktmalt Franken. Man denkt an die kleinen Fluchten des Alltags: das letzte bisschen Freisein. Lokale Betäubung. Bei Franken heißt es „Endlösung in Sahnesoße. Da schießt man schnell mit dem Gewehr. Die Wüste einfach menschenleer. Es stinken die Leichen zum Himmel der Reichen. Doch übers Mittelmeer kommt jetzt keiner mehr.“ Und dann – nur schwarzweißgrau: „Die Menschheit geht vor die Hunde – und wir sitzen da in redsel‘ger Ruh zu vorgerückter Stunde und schauen dabei zu.“ Jetzt abschalten dürfen: Längst ist man in Trübsal ersoffen und trotzdem irgendwie dankbar, dass da einer ist und Wortebilder findet, die tief ins Gehirn einstechen – ins Gedachte einsinken: Gedenkengedanken. „Es ist schon spät – der Sommer hat sich aus dem Staub gemacht. Die Störche sitzen längst im Flieger Richtung Süden.“ Das klingt nach Rilke mit einem Hauch Arsen. Aus der Melancholie (Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los. ) ist eine irgendwie ausweglose Jetztzeitverbitterung geworden.

Überfall auf die innere Sicherheit

Frankens „Poems on Linoleum V“: Ein Überfall auf die innere Sicherheit. Da führen Menschen ein Leben auf Kosten der Zukunft. Diese Menschen – das rieselt irgendwann in die Hirnwindungen – diese Menschen sind wir. In Worten: wir. Was wir als Erbe hinterlassen? Kahlschläge und Katastrophen. Muss man denn nicht Optimismus versuchen? Verzweiflung ist vielleicht ein schlechter Retter.

Langstrumpfs Ende

Vielleicht ist das Gegengift eine Art Unbekümmertheit nach dem Motto: „Hurra, wie leben noch!“ Klaus Franken beschreibt keine Lösungen. Er verschreibt keine Betäubungsmittel. Alles istbleibt uns überlassen. Vielleicht ist das die Lösung: Nichts mehr zu Ende denken. Aber man kann sich nicht einfach wegschließen. Da ist und bleibt die Gedankenmaschine. Man kann sich die Welt nicht ewig passend denken. Auf der Rückseite der Mappe ein letztes schwarzweißes Andenken: „Jericho und anderswo“. Zwei Trompeten treten zur finalen Hymne an. Pippi Langstrumpf schweigt: „Ich mach mir die Welt Widdewidde wie sie mir gefällt“ – das funktioniert nicht wirklich. So viel hat man am Ende begriffen.

Der letzte Hafen

Und trotzdem braucht es den Hafen. Vielleicht ist es eine Beziehung – eine irgendwie noch intakte Gemeinschaft, die sich nicht von Fake News ernährt. Man kann, denkt man, nicht alles zu Ende denken. Es wäre nicht auszuhalten, aber: Was man nicht aushalten möchte, ist Teil der Wirklichkeit (das kommt von wirken und in wirken steckt es wieder: das Wir). Was bleibt am Ende: Neue Zeit, altes Lied. Oder vielleicht noch besser: Neue Zeit, altes Leid. Manchmal muss man nur zwei Buchstaben austauschen.

Klaus Frankens „Poems on Linoleum V“ ist in Kleve in der Buchhandlung Hintzen zu kaufen: 85 Euro.

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