NIEDERRHEIN. Für Bruno Simmes ist es beinahe, als sei es gestern gewesen. „Die jungen Leute saßen auf dem Flur vor dem Saal und warteten gespannt darauf, endlich an die Reihe zu kommen“, blickt er auf den Tag zurück, an dem er seine Tochter Irina zum Vorsingen an der Folkwang Universität der Künste in Essen begleitet hat. Am Ende war die Abiturientin die Einzige ihres Jahrgangs, die eine Zusage erhielt. Heute begeistert die Sopranistin mit Wurzeln in Rindern auf den ganz großen Bühnen im In- und Ausland und ist aktuell für ihre Interpretation der Sieglinde in Richard Wagners Walküre bei den Tiroler Festspielen Erl für den Österreichischen Musiktheaterpreis 2023 in der Kategorie „Beste weibliche Hauptrolle“ nominiert.

Vor der Preisverleihung am 7. September in Wien geht es für die 37-Jährige aber erst noch nach London. Dort ist sie zu einem Vorsingen beim Royal Opera House in Covent Garden eingeladen. „Das wäre toll, wenn das klappen würde“, sagt die sympathische Opernsängerin, die beinahe einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen hätte.
Musik spielte im Hause Simmes schon immer eine große Rolle. Mutter Ruth spielt Klavier, Vater Bruno singt. „Ich habe 42 Jahr lang im MGV Materborn gesungen und davor zehn Jahre im Christus-König-Chor“, sagt der 79-Jährige, der sehr stolz auf seine Tochter ist. Dieser hatte es zunächst die Klarinette angetan. Parallel zu ihren Musikstunden bei Wolfgang Güdden nahm Irina als Jugendliche klassischen Gesangsunterricht bei Gabriele Natrop-Kepser. Etwas anderes kam für sie nicht in Frage. „Als Teenie war ich ein großer Björk-Fan, aber diese Vorliebe für klassische Musik hatte ich schon immer“, sagt sie und macht klar, dass ihr Leben keineswegs „nur“ aus Musik bestand: „Ich hatte viele andere Hobbys und einen großen Freundeskreis.“

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“Ich liebe es, nach Hause zu kommen”

Auch heute kehrt Irina Simmes, die mit ihrem Mann und ihrer zweijährigen Tochter in Basel lebt, regelmäßig und gern an den Niederrhein zurück. „Ich liebe es, nach Hause zu kommen“, sagt sie – und auch die kleine Johanna fühlt sich zu Hause bei Oma und Opa, am Ortsrand von Rindern und umgeben von Wiesen und Feldern, sichtlich wohl. In ihrer Heimat hat Irina Simmes auch schon auf der Bühne gestanden. „Als kleines Kind hat sie bei unseren Auftritten Gedichte vorgetragen und später auch mal Klarinette gespielt“, sagt Vater Bruno. Für ihn ein absolutes Highlight: der Auftritt beim Adventskonzert im Jubiläumsjahr „100 Jahre MGV Materborn“ in der Klever Stiftskirche im Jahr 2019.
Weil Irina Simmes nicht nur gern auf der Bühne steht, sondern auch gern agiert, hatte die Klarinette irgendwann ausgedient. „Der darstellerische Aspekt war für mich interessanter und letztlich ausschlaggebend dafür, dass ich mich für ein Studium der Bühnenkünste entschieden habe“, sagt sie. Deshalb fiel ihre Wahl auch auf die Folkwang-Universität und die Gesangsklasse von Professor Rachel Robins. Eine Zusage gab es zu diesem Zeitpunkt nämlich auch von der Universität in Arnheim. „Das Darstellerische hat in Essen einen hohen Stellenwert“, sagt sie. Hier wurde neben der stimmlichen Ausbildung auch intensiv an der Bühnenpräsenz, der Körpersprache und den Schauspieltechniken gefeilt.

Erste Erfahrungen auf großen Bühnen sammelte Irina Simmes im Chor im Aalto-Theater in Essen, ihren ersten professionellen Job hatte sie noch während des Studiums als Musetta in der Oper La Bohème von Puccini im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen. „Ich habe auch mal die Maria in der West Side Story gesungen, aber ich bin nicht so der Typ fürs Musical. Ich mag das Tragische – auch wenn eine Oper durchaus auch Witz haben kann“, sagt sie. Wie „intensiv“ eine Rolle gespielt werde, hänge sehr vom jeweiligen Regisseur und natürlich vom Sänger ab. „Aber am Ende leben alle darstellenden Künste davon, dass man die Rolle nicht nur spielt, sondern es in diesem Moment auch meint“, ist sie überzeugt.

Hartnäckigkeit zahlt sich manchmal aus

Das scheint sich für sie ausgezahlt zu haben, denn allein die Nominierung für den Musiktheaterpreis ist für die Sopranistin eine große Ehre. Mit ihr sind Jacquelyn Wagner, Asmik Grigorian und Nina Stemme nominiert. „Das sind herausragende, international bekannte Künstlerinnen“, wäre sie nicht enttäuscht, wenn sie den Preis nicht erhält. Zumal ihr Debüt als Sieglinde bei den Tiroler Festspielen in Erl nur deshalb zustande kam, weil Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt, sie davon überzeugen konnte, es trotz ihrer anfänglichen Bedenken auszuprobieren. „Manchmal braucht es Menschen, die anderen etwas zutrauen, was sie sich selbst nie zugetraut hätten“, ist ihm Irina Simmes heute sehr dankbar für seine Hartnäckigkeit. Die Zeit in Erl und die Arbeit mit Regisseurin Brigitte Fassbaender und dem Dirigenten Erik Nielsen habe sie sehr genossen. Das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit, denn in diesem Jahr stand Irina Simmes erneut auf der Bühne in Erl. Diesmal als Gutrune in Wagners Götterdämmerung. Schon wieder Wagner? Da hat es wohl „gefunkt“. Das räumt Simmes auch gern ein. „Mein Schwerpunkt lag bisher im Mozart-Fach, da kann man auch so wahnsinnig viel lernen. Aber der Wagner Kosmos hat es mir schon angetan.“

Stimme muss stets im Training bleiben

Wer Irina Simmes auf der Bühne sehen möchte, muss dafür aber nicht unbedingt weit reisen. In der Spielzeit 2022/23 war sie als Pat Nixon (Nixon in China von John Adams) an der Oper Dortmund zu erleben und wird hier in der Saison 2023/24 als Freia in Wagners Das Rheingold zu hören sein. Ganz gleich ob Heidelberg, Karlsruhe oder Düsseldorf – zwischen (und parallel zu) den Engagements liegen stets Monate harter Probenarbeit. „Die Violetta Valerie aus Verdis La Traviata kenne ich mittlerweile in- und auswendig, aber vieles andere muss ich mir erarbeiten“, sagt sie. Ähnlich wie bei einem Tänzer, müsse ihre Stimme stets im Training bleiben. „Bei Probenbeginn muss alles sitzen“, sagt sie.
Für die Familie tritt sie momentan etwas kürzer. „Da muss man ganz anders planen, wenn man ein Kind hat“, weiß sie. Sie habe ein gutes Maß gefunden, aber weniger stressig sei es trotzdem nicht. In ihrem Privatleben schaltet Irina Simmes die Musik übrigens einfach aus. „Vielleicht mal ein bisschen was im Hintergrund“, schiebt sie nach. Das letzte Konzert? „Das war 2019 in Basel“, muss sie nicht lang überlegen. Dort hat der Berliner DJ Jan Blomqvist aufgelegt und sie ist eigens dafür von Dortmund aus mit dem Zug in die Schweiz gefahren. Dass sie sich so gut daran erinnern kann, mag aber weniger an der Musik liegen. „Da habe ich meinen Mann kennengelernt.“

Dass die Tochter später mal Karriere mit ihrer Stimme macht und in die weite Welt hinaus zieht, wundert Bruno Simmes zumindest nicht. Vor ein paar Tagen hat er in alten Unterlagen einen Beurteilung von der musikalischen Früherziehung gefunden. „Irina hat eine sehr schöne Stimme“, steht da. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

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