NIEDERRHEIN. Zuhause, das sind Inna und ihr Mann Yuri eigentlich in Odessa, der Hafenstadt am schwarzen Meer; eine Metropole, die für ihre historischen Bauten aus dem 19. Jahrhundert und viele Sehenswürdigkeiten berühmt ist. Yuri ist Rentner, Inna arbeitet vor ihrer Entlassung 31 Jahre lang unter anderem als Buchhalterin und Ingenieurin in der Energiebranche, seitdem ist sie Hausfrau.

Am 24. Februar dieses Jahres ändert sich mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine alles. Der Krieg macht sämtliche Zukunftsplanungen zunichte. Die beiden fliehen schließlich vor Terror und Bomben und kommen nach Deutschland. Seit Juni leben sie mit der jüngsten Tocher, die im dritten Jahr an der Polytechnischen Hochschule in Odessa studiert, in Goch, in einem Wohnheim für Flüchtlinge. „Ich mag Goch wirklich“, sagt Inna, die dankbar für all die Hilfe ist, die sie bisher bekommen haben. Trotz aller Umstände richtet sie den Blick nach vorn; sie wünscht sich, dass ihre jüngste Tochter in Deutschland weiterstudieren kann. Und: „Wir möchten eine eigene Wohnung finden.“ Ihre beiden anderen – verheirateten – Töchter sind in Odessa geblieben. „Wir telefonieren jeden Tag“, erzählt Inna. Ihr größter Wunsch zum Weihnachtsfest, wie könnte es auch anders sein: „Dass der Krieg endlich aufhört!“ und: „Ich würde zu Weihnachten gerne meine ganze Familie sehen.“

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Traditionen

Denn hier wie dort ist Weihnachten ein großes Fest, allerdings mit unterschiedlichen Traditionen. Plätzchen backen im Advent, das kenne man nicht, so Inna. Geschenke gibt es nicht am Heiligabend, sondern zu Nikolaus. Der größte Unterschied ist der Termin: In der orthodoxen Kirche, der Innas Familie angehört, wird Weihnachten am 6. (Heiligabend) und 7. Januar gefeiert – das richtet sich nach dem julianischen Kalender. Aber auch das ist in diesem Jahr erstmals anders: Offiziell wird jetzt in der Ukraine am 25. Dezember Weihnachten gefeiert; ein Zeichen der Abgrenzung gegenüber Russland und dessen kultureller Übermacht.

Wäre Inna zuhause, dann wäre sie schon längst mit den Vorbereitungen für die Gerichte beschäftigt, die Weihnachten auf den Tisch kommen sollen. Zwölf sind es, um an die zwölf Apostel zu erinnern. Es sind Fastenspeisen ohne Fleisch oder Milch, denn erst am Heiligabend endet das Fasten vor Weihnachten. Es gibt zum Beispiel Salate, gefüllten und geräucherten Fisch oder kleine Teigtaschen. Was auf gar keinen Fall fehlen darf, ist „Kutja“. Die Basis dieser süßen Speise sind gekochte Weizenkörner, Mohnsamen und Honig – zum Verfeinern hat jede Familie ihr eigenes Rezept. Alle müssen mindestens einen Löffel davon essen, das bringt Glück für das kommenden Jahr. Am Heiligabend gedenkt man außerdem der verstorbenen Verwandten, berichtet Inna: „Das Fest wird von der Erinnerung an sie getragen.“

Inna ist offen für andere Traditionen: „Ich würde gerne wissen, wie man hier feiert.“ Und einen katholischen Gottesdienst möchte sie zu Weihnachten besuchen. Im Wohnheim, in dem 100 Menschen aus der Ukraine und aus Syrien leben, so erzählt sie, steht natürlich ein bunter Weihnachtsbaum: „Den haben wir für die Kinder geschmückt.“ Am 25. Dezember wollen alle gemeinsam feiern, essen und sich etwas schenken.
Für Inna und ihre Familie wäre es das größte Geschenk, das nächste Weihnachtsfest wieder zuhause feiern zu können.

Großes Bild: Inna (m.) fühlt sich am Niederrhein willkommen und ist dankbar für die große Unterstützung. Die kommt auch vom Verein „Goch hilft“, der sich ehrenamtlich um Flüchtlinge und Bedürftige kümmert (im Bild Ursula Janßen, l., und der Vereinsvorsitzende Sascha Ruelfs). NN-Foto: Rüdiger Dehnen

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