Das Lotto Prinzip

KLEVE. „Das Museum Kurhaus erzählt seine Geschichte ab sofort selbst“ – so beginnt eine Pressemitteilung und das Erste, was der Schreiber denkt, ist: Jetzt also fangen die Steine mit dem Sprechen an. Scherz beiseite …

Public Affairs

Axel Weber kommt, würde der Niederrheiner sagen, „gut von die Wörter“. Kein Wunder: Der Mann ist „Abteilungsleiter Public Affairs“ [altmodisch: Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit] bei West Lotto. Aha. Museum und Glücksspiel. Weber erklärt denn auch das Lotto-Prinzip. 40 Prozent aller Einnahmen von West-Lotto werden – das ist gesetzlich festgelegt – ‚weitergegeben‘. „Durch das sogenannte Lotto-Prinzip wird das Gemeinwohl in ganz NRW gefördert. Von jedem eingesetzten Euro fließen rund 40 Cent an das Land und werden zu großen Teilen an gemeinnützige Organisationen aus den Bereichen Sport, Wohlfahrt, Denkmal- und Naturschutz sowie Kunst und Kultur verteilt.“ Na bitte: Zocken für den guten Zweck. Und nur damit man mal eine Zahl hat: Im Jahr 20/21 wurden aus dem Lottotopf rund 640 Millionen Euro im Rahmen des Lotto-Prinzips ‚ausgeschüttet‘. Rund 40 Millionen erhielt allein der Landessportbund.

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Steine sprechen nicht

Jetzt zum Kurhaus. Und zur Sicherheit sei noch mal gesagt: Steine sprechen nicht. Wohl aber der Sprecher eines Podcasts, der – gemeint ist der Podcast –, der nun in die zweite Staffel gegangen ist. Die Adresse: www.sprechendes-denkmal.de. Wer die Seite ansteuert, findet folgenden Text: „Auf dieser Seite stellen sich vierundzwanzig ausgewählte Denkmale in NRW vor: Wann wurden sie errichtet, was war ihr ursprünglicher Zweck und welche Bedeutung haben sie heute? Aber auch: Was haben sie erlebt und was können wir heute aus ihrer Geschichte lernen?

Die Botschaft des Denkmals

Jedes Denkmal hat eine Botschaft für uns. Sie [die Denkmale] zeigen Haltung und repräsentieren Werte, die noch heute die Basis für eine demokratische und offene Gesellschaft bilden. Gleichzeitig spiegeln die Denkmale die Vielfalt der Kulturlandschaft in NRW wider. Es lohnt sich nicht nur, in ihre Geschichten einzutauchen, sondern auch in ihren Erhalt zu investieren.“

Ein Überbleibsel aus der Vergangenheit

Und was wird so vorgestellt? Ein altes Gericht in Bad Wünnenberg zum Beispiel, ein Kino in Bünden, eine Dreherei in Mülheim … und und und … das Museum Kurhaus Kleve. Mal hinklicken. Knapp vier Minuten dauert der Podcast und das Museum stellt sich sprechend aus der Ich-Perspektive vor: „Ich bin das Museum Kurhaus Kleve und ich bin ein Kunstmuseum in Kleve am Niederrhein.“ Was lernen wir: Der Podcast setzt nichts voraus. (Könnte ja sein, dass jemand reinhört, der gar nicht vor der Tür steht.) „Mein Name ist ein Überbleibsel aus der Vergangenheit. Ich stamme aus der Blütezeit, als Kleve noch als Bad Cleve bekannt war. Es war zwischen 1742 und 1914.“ Eine lange Blütezeit. „Damals kamen viele reiche Leute aus Preußen und den Niederlanden zu Besuch.“ Dann geht‘s ans Eingemachte: „Ein gewisser Doktor Johann Heinrich Schütte hatte in Kleve eine Heilquelle entdeckt. Ein Magnet für die Menschen und belebend für die Stadt und mich … aber erst später. Ich, das Kurhaus, war da nämlich noch gar nicht erbaut. Mein Vorgänger war ein Brunnenhaus, das 1754 entstand – zusammen mit zwei Brunnengasthöfen und der eleganten, halbkreisförmigen Galerie des Amphitheaters waren wir verantwortlich für den Erfolg der Klever Kur.“

Die Verwandlung

58 Sekunden sind vergangen. „Meine Errichtung folgte erst 1845 und 1846 beziehungsweise 1872 in zwei Abschnitten. Das Friedrich-Wilhelm-Bad: ein Mittelpunkt des regen Kulturlebens. „Es war eine wunderbare Zeit und ich fühlte mich wie der Quell des Lebens. […] Der erste Weltkrieg setzte mir und dem Kulturbetrieb ein jähes Ende. Zum Glück wurde ich nicht zerstört, aber nach dem Krieg wusste erst mal niemand langfristig etwas mit mir anzufangen.“ Bei zwei Minuten und 20 Sekunden wird das Kurhaus von der Stadt Kleve gekauft und in ein Museum für Moderne Kunst verwandelt. „Seit 1997 präsentiere ich nun Kunstwerke vom Mittelalter bis zur Gegenwart.“ 1997? Da steht ja dann, rechnet man messerscharf und lottofern, ein Jubiläum ins (geschichtsträchtige) Haus. „Im Jahr 2012 wurde ich noch mal vergrößert.“ Natürlich ist auch Name-Dropping wichtig: Mataré, Beuys. Letzteren bezeichnet das Museum als Klever Künstler von Weltruf und fügt hinzu: „Ich stehe heute für eine kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit ihm [Beuys] und die Ambivalenzen seines Lebens.“ Dreieinhalb Minuten sind vorbeigeflogen. Dann der Abstand: „Das sprechende Denkmal wird Ihnen präsentiert von …“

Am besten reingehen

Na bitte. Es lässt sich was lernen. Der Podcast ist auch ansteuerbar, wenn das Haus selbst geschlossen ist. Aber natürlich lernt und erlebt man am meisten, wenn man reingeht und Kunst atmet. Und das Beste: Auch Nicht-Lotto-Spieler dürfen natürlich Kunst gucken. Das Lotto-Prinzip lässt grüßen.

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