Ein ziemlich kurzer Prozess

KLEVE. Wo soll man anfangen? Vielleicht beim Paragraph 130 des Strafgesetzbuches:

Das Gesetz

Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in Paragraph 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.

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Zufall?

Der Straftatbestand: Volksverhetzung. Gibt es eine Regie der Geschichte oder ist es Zufall, dass an einem 27. Januar am Amtsgericht unter dem Stichwort ‚Volksverhetzung‘ verhandelt wird? [Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit.] Der Angeklagte Z. hat einen Post abgesetzt – in einem russischen Netzwerk (vk.com). Der Post, eingestellt im Jahr 2020, wurde von 42 Menschen gesehen. Der Post war in englischer Sprache. Der Staatsanwalt lies den Text vor. Schade, dass man nicht stenografieren kann. Für zwei Sätze reicht es: „There was no gas chamber holocaust“, lautet der eine – „truth does not fear investigation“ der andere. (Es hat keinen Gaskammer-Holocaust gegeben. Die Wahrheit muss sich nicht vor Investigation fürchten.)

Elvis ist tot

Man denkt an „Verleugnung“ – einen Film von 2016, der sich mit eben diesem Thema befasst. Rachel Weisz, die eine Geschichtsprofessorin für Holocaust-Studien spielt, wird gefragt, warum sie nicht mit Holocaust-Leugnern diskutiert und antwortet, dass sie auch nicht mit Menschen diskutiere, die behaupten, dass Elvis noch lebe. Z. leugnet nichts. Er hat auf vk.com gepostet. Der Account: längst wieder gelöscht. Auf die Frage der Richterin, warum er gepostet habe, was zu lesen war, sagt Z., er könne sich nicht erinnern. Z. – auch das sei gesagt – ist kein Unsympath. Dergleichen findet sich nur in Filmen, die es dem Zuschauer leicht machen sollen, seine Seite und also (s)einen Standpunkt zu finden. Man mag nicht über den Inhalt des Posts diskutieren. Elvis ist tot und der Holocaust ist eine historische Tatsache. Warum aber postet einer, was Z gepostet hat? Ist das eine Frühstückslaune? Wohl eher nicht. Warum aber wird der Account hernach gelöscht? Hat es etwas mit dem Verfolgungsdruck zu tun? Nichts davon wird in dieser Verhandlung deutlich. Man erfährt, dass Z. vorstrafentechnisch kein unbeschriebenes Blatt ist. Das Kerbholz erzählt Geschichten vom Fahren ohne Fahrerlaubnis, von Beleidigung, Körperverletzung und Waffen- sowie Drogenbesitz. Z. hat auch bereits in Haft gesessen und stand zum Zeitpunkt des Posts noch unter laufender Bewährung. Unter den Vorstrafen – siehe oben – allerdings nichts „Einschlägiges“.

Durchsuchung

Z. – eine Angeklagter, der schwer einzuschätzen ist. Als die Polizei zur Durchsuchung bei ihm „auftauchte“, war es das ganz große Besteck. Z. spricht von einem ‚Terroranschlag‘. Die Haustüre habe man aufgesprengt. Seine Frau – sie sitzt im Publikum – sei noch heute traumatisiert. Zwei Rippen habe man ihm, als er schon am Boden lag, gebrochen und habe ihm in den Rücken getreten. Niemand widerspricht. Wie auch? Es sind keine Zeugen geladen. Er habe, sagt Z., zum Zeitpunkt der Durchsuchung mit dem Staatsschutz in Kontakt gestanden. Z. sieht es so: „Die hätten bloß zu klingeln brauchen.“ Was soll man sagenschreibendenken?
Ob er die Anklageschrift verstanden habe, möchte der Staatsanwalt von Z. wissen und der schüttelt den Kopf. Andererseits hat er die Vorwürfe eingeräumt. Will Z. zum Ausdruck bringen, dass er nicht versteht, warum man sich eines solchen Posts wegen vor Gericht zu verantworten hat? Hat man ein leichtes Schulterzucken gesehen, als Z. eingangs der Verhandlung gefragt wurde, ob er deutscher Staatsbürger ist?

Heftig

Um 9 Uhr hat die Verhandlung begonnen. Um 9.21 ist die Beweisaufnahme beendet. Der Staatsanwalt fordert eine dreimonatige Freiheitsstrafe – auszusetzen zur Bewährung. Positiv sieht er, dass Z. die Tat eingeräumt hat. Die Durchsuchung – das scheint auch der Ankläger zu sehen: heftig. Zu heftig vielleicht? Er sagt das nicht. Negativ: Z.s Vorstrafen und die Tatsache, dass die hier zur Rede stehende Tat unter laufender Bewährung stattgefunden hat.
Apropos Bewährung: Verlesen wird die Beurteilung von Z.s Bewährungshelferin. Z. wird als einer beschrieben, der sich an Absprachen hält ,aber anfangs der Instituion mit großem Misstrauen begegnet sei. Um 9.25 Uhr plädiert Z.s Verteidigerin: Eine niedrige Geldstrafe soll es sein. Nicht wieder das Damoklesschwert der Bewährung. Um 9.29 das Urteil: Drei Monate Freiheitsstrafe, auszusetzen zur Bewährung. Die Bewährungszeit: drei Jahre. Ein ziemlich kurzer Prozess … Man denkt über den Polizeieinsatz nach, den Staatsanwalt und Richterin ‚heftig‘ nannten. Ein taubes Gefühl bleibt zurück, aber auch die Idee, dass einfaches Klingeln vielleicht nicht ausgereicht hätte.

Empfehlung

Die Verhandlung, denkt man, war ‚kleiner‘ als ihr Thema. Man sollte dem Angeklagten das Ansehen des Films ‚Verleugnung‘ empfehlen – aber das ist vielleicht eine andere Geschichte.

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