„Ich hatte 
keine Lebensqualität mehr“

Dank einer 24-Stunden-Assistenz kann sie ein selstbestimmtes Leben führen

KREIS KLEVE. Kleine, alltägliche Dinge sind für Tanja Triebel aus Emmerich die größte Herausforderung. „Überhaupt alleine zur Toilette zu gehen, ist für mich nicht möglich“, erzählt die 53-Jährige. Sie ist aufgrund einer Erkrankung und mehrerer Wirbelbrüche auf einen Rollstuhl sowie intensive Pflege angewiesen, lebt aber in ihrer eigenen Wohnung. Das alltägliche Leben meistert sie dank mehrerer Assistentinnen, die sich im Wechsel um sie kümmern. Doch ihr Weg dorthin war lang und schwierig – sie hat ihn erst durch die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) des Paritätischen Wohlfahrtsverbands im Kreis Kleve gefunden.

EUTB
Tanja Triebel gibt ihre Erfahrungen mittlerweile als Beraterin an andere Betroffene weiter. NN-Foto: Rüdiger Dehnen

Bis 2020 musste Triebel ihr Leben und ihre Bedürfnisse komplett auf den Pflegedienst ausrichten. „Sechs mal am Tag kam jemand vorbei, um die existenziellen Grundbedürfnisse wie Körperpflege, Essen und hauswirtschaftliche Versorgung sicherzustellen“, berichtet Triebel, die zum Verlassen der Wohnung, bei Toilettengängen oder beim zu Bett gehen und aufstehen auf fremde Hilfe angewiesen ist. „Ich habe damals mein Ess- und Trinkverhalten angepasst, damit ich nicht zu oft auf Toilette muss“, sagt Triebel. Denn das Warten auf den Pflegedienst sei oft zur Qual geworden. „Ich hatte keine Lebensqualität mehr. Es gibt nichts Schlimmeres, als auf jemanden warten zu müssen, wenn man dringend zur Toilette muss“, sagt die 53-Jährige.

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NN-Serie zur Ergänzenden unabhängigen 
Teilhabeberatung / Teil 1
Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) unterstützt bei Fragen zur Teilhabe. Zum Beispiel erfahren Ratsuchende alles Wissenswerte zur Assistenz, zu Hilfsmitteln oder zum Teilhabeplan. Die Beratungsstellen beraten Menschen mit und ohne Behinderungen, die Unterstützung für ihre volle und gleichberechtigte Teilhabe benötigen. Ebenso sind sie offen für ihre Angehörigen und ihnen nahestehende Menschen. Die Beratungen sind unabhängig und kostenlos. Ausgebildete Berater mit und ohne Behinderungen arbeiten bei den Beratungsstellen gleichberechtigt zusammen und bringen jeweils ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen ein. Kern der Beratung ist das „Peer Counseling“. Kurz gesagt: Betroffene beraten Betroffene. Die Berater sind dabei nur den Ratsuchenden verpflichtet und suchen gemeinsam mit ihnen nach geeigneten Wegen individueller Teilhabe. Sie achten und stärken dabei die Selbstbestimmung der Ratsuchenden, die sich unabhängig von ihrem Wohnort und ihrer Teilhabebeeinträchtigung an jedes EUTB-Angebot wenden können. Seit Januar 2018 wird ein Netzwerk von rund 500 Beratungsangeboten aufgebaut. Die NN wollen an dieser Stelle in einer vierteiligen Serie Ratsuchende vorstellen, denen die EUTB geholfen hat. Weitere Informationen gibt es online unter www.teilhabeberatung.de oder bei der Ergänzenden unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) im Kreis Kleve, Nassauerstraße 1 in Kleve, Telefon 02821 780021, und online unter www.teilhabeberatung-kreis-kleve.de.

Plötzlich stand die Emmericherin jedoch ganz alleine da: Der Pflegedienst musste ihr Ende 2019 aufgrund Personalmangels kündigen. „Das war ärgerlich, denn ich bin dringend auf Hilfe angewiesen“, sagt Triebel, die sich Hilfe bei der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung gesucht hat. In mehreren Beratungsgesprächen klären sie die Berater über mögliche Hilfsangebote auf – mit Erfolg: Mittlerweile hat Triebel eine 24-stündige Betreuung an sieben Tagen in der Woche, bei der sich mehrere Assistentinnen im drei-Schicht-Modell abwechseln. Diese Leistungen sind nunmehr nicht mehr lediglich auf Leistungen zur Pflege begrenzt, sondern um Leistungen zur sozialen Teilhabe erweitert und vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) im Rahmen des Persönlichen Budgets getragen. 

Einfacheres Leben

„Ich kann endlich ein selbstbestimmtes Leben führen“, sagt Triebel erleichtert. Sie könne Essen und Trinken wann sie möchte, könne zur Toilette gehen, wenn sie das Bedürfnis verspüre, Spazierfahrten mit dem Rollstuhl unternehmen sowie an ihrer geliebten Theatergruppe in Emmerich teilnehmen. „Mein Leben ist sehr viel einfacher geworden. Ohne die EUTB hätte ich das aber niemals gewusst. Dafür bin ich der EUTB unendlich dankbar“ sagt Triebel. 

Ihre eigenen Erfahrungen gibt sie mittlerweile selbst an Betroffene weiter. „Es wird leider von den Krankenkassen oftmals zu wenig über mögliche Hilfsangebote aufgeklärt. Die meisten wissen nicht, was ihnen alles zusteht“, sagt Triebel. Deshalb sei es ihr ein Herzensanliegen als Betroffene ihre Erfahrungen an weitere Betroffene nach dem „Peer Counseling“-Konzept weiterzugeben. Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung berate, wo und wie Anträge gestellt werden könnten, und gäbe Formulierungshilfen. Wenn aufgrund der Beeinträchtigung Anträge nicht eigenständig ausgefüllt werden könnten, unterstütze sie auch dabei, damit Ratsuchende wichtige Lebensqualität zurückbekommen.

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