Bergmann sieht “Licht am Ende des Corona-Tunnels”

Der Landtagsabgeordnete Dr. Günther Bergmann (CDU) im NN-Interview: Kommende Beschlüsse müssen klar sein, Entspannung wird erst ein Impfstoff bringen

Günther Bergmann
Günther Bergmann im Düsseldorfer Landtag. Foto: CDU

KREIS KLEVE. Angesichts weiter steigender Corona-Fallzahlen wird allgemein erwartet, dass Bund und Länder an diesem Wochenende einen „harten“ Lockdown möglicherweise schon vor Weihnachten beschließen, der bis zum 10. Januar dauern könnte. Im NN-Interview spricht der Kreis Klever CDU-Landtagsabgeordnete Dr. Günther Bergmann über die bisherigen Corona-Maßnahmen, ihre Auswirkungen und die Stimmung in der Bevölkerung.

Herr Dr. Bergmann, zum 2. November mussten unter anderem Gastronomiebetriebe schließen mit der Begründung, es sei nicht auszuschließen, dass sie Hotspots seien, wie es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn formulierte. Gleichzeitig drängte NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer darauf, die Schulen offen zu halten, da nicht erwiesen sei, dass es sich um Hotspots handelt. Wie passt das zusammen?
Dr. Günther Bergmann: Die Entscheidung war, Kontakte in der Freizeit drastisch zu reduzieren, weil gehandelt werden musste und Schulen offengehalten werden sollten. Während man nämlich der Gastronomie wenigstens finanziell helfen kann, ist das bei Schule ganz anders. Schließlich zeigen die Erfahrungen aus dem Frühjahr, welche Schäden durch Schulschließungen entstehen. Kinder aus ihrem Schulalltag rauszunehmen, überforderte leider oftmals die Schüler ebenso wie die Eltern, deren Urlaub inzwischen ja auch aufgebraucht ist und die ein Betreuungsproblem hätten. Bei rund 2,5 Millionen Schülerinnen und Schülern in NRW sind übrigens die Infektions- und Quarantänezahlen wirklich bis dato relativ überschaubar, auch weil Lehrer- und Schülerschaft sehr verantwortungsvoll im Schulalltag handeln. Kompliment und Dank dafür! Letzte Woche waren 96,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler sowie 90 Prozent der Lehrkräfte im Präsenzunterricht; an 84,3 Prozent der Schulen wurde in allen Klassen Präsenzunterricht gegeben, wobei alternative Unterrichtsformen schon seit Monaten von Fall zu Fall in Abstimmung mit der Aufsicht (nicht der Kommune) auch möglich sind, das sagen auch immer wieder Schulministerin Yvonne Gebauer und ihre fünfzehn Amtskollegen in Deutschland.

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“Ich appelliere an des Verantwortungsgefühl eines jeden”

Inzwischen muss man sagen: Die Maßnahmen im November haben nicht die erhoffte Wirkung erzielt. Ist es nicht vielmehr so, dass beispielsweise mit der Schließung der Gastronomie Treffen aus einer „kontrollierbaren“ Umgebung wie einem Restaurant in eine nicht zu kontrollierende Umgebung, nämlich den privaten Bereich, verlagert wurden?
Bergmann: Vorab: Bei welchen Zahlen wären wir heute denn ohne Einschränkungen? Ich glaube, die wären durch die Decke gegangen und jeder würde heute sagen, Politik hätte Einschränkungen machen müssen. Wir können heute bei 75 Prozent der Fälle nicht mehr nachvollziehen, woher die Infektion kommt – das ist traurige Realität. Ich appelliere an das Verantwortungsfühl eines jeden, denn es darf sich nicht nur um einen selber drehen, sondern wir müssen stets auch den Nächsten im Auge haben. Deshalb kann ich auch nicht verstehen, dass es immer noch Leute gibt, die private Feten machen, obwohl sie um die Gefahr für Freunde und Verwandte in den nächsten Tagen wissen. Das ist aus meiner Sicht unverantwortlich! Wichtig für mich ist eine Zahl, die viel zu wenig in den inzwischen von viel Egozentrik geprägten Diskussionen betrachtet wird: Wieviel freie Kapazitäten bei Intensivbetten mit Beatmung haben wir noch? In NRW gab es am 10. Dezember noch 680 freie Beatmungsbetten mit geschultem Personal; das sind weniger als zwei je Kommune in NRW. Vor zwei Monaten waren noch 1.386 und vor einem Monat 993 frei – das zeigt, was gerade passiert. Daran muss sich Politik ausrichten, nicht an Einzelinteressen, weil wir an das Ganze denken müssen. Allein diese Zahlen zeigen, dass Corona keine „normale Grippe“ ist, wie leider immer noch einige behaupten. Dass das alles von Tag zu Tag schwerer zu ertragen ist, kann ich gut verstehen, aber wir müssen schlichtweg alles daransetzen, die Virusverbreitung zu behindern.

“Präsenzunterricht ist für viele Kinder sehr wichtig”

Weshalb lehnt NRW einen flächendeckenden Wechselunterricht zur Eindämmung der Corona-Pandemie weiterhin ab, obwohl es Schulen gibt, an denen in manchen Klassen 90 Prozent der Schüler in Quarantäne sind? Wurde hier der bereits im Oktober etwa von Bildungsexperten geforderte „Plan B“ bis heute verschlafen?
Bergmann: Ich erhalte täglich Mails und Anrufe von Leuten, die entweder die totale Schließung der Schulen fordern oder eben genau das Gegenteil. Bei dieser Polarisierung in der Gesellschaft würde der Druck auf selbst entscheidende Kommunen viel zu groß. Hier steht das Land in der Verantwortung, und Schulministerin Gebauer nimmt diese schwierige Aufgabe sehr sorgsam wahr. So besteht schon heute die Möglichkeit für Sonderregelungen, aber eben nicht für eine ganze Kommune per se, sondern immer in Abstimmung mit der Schulaufsicht. Präsenzunterricht ist gerade – aber nicht nur – für Kinder, die in einem schwierigen Umfeld aufwachsen, sehr wichtig. Übrigens: Ein Plan „B“ hört sich nach einer von uns allen herbeigesehnten Planungssicherheit an; die gibt es aber bei einer Pandemie leider nicht. Wir brauchen flexible, schulformgenaue Lösungen, die auch schnell anpassbar sind.

Derzeit wird darüber diskutiert, einen „harten“ Lockdown nach Weihnachten zu starten und dann auch Einzelhandelsgeschäfte zu schließen. Schaut man in die Läden in der Region, sind diese bereits jetzt einen Großteil des Tages leer. Wie soll eine solche Maßnahme dann weiterhelfen?
Bergmann: Wenn die Maßnahmen, die ja ganz bewusst bisher den Einzelhandel ausnahmen, bis jetzt nur den weiteren Anstieg abbremsten, wir aber runter müssen von dem hohen Niveau, muss es weitere Einschränkungen geben. Ich weiß sehr gut aus vielen Gesprächen mit und Mails von Einzelhändlern, welch schwierige Zeit sie durchlaufen. Das kann man nicht schönreden. Ich empfehle jedem Kreis Klever, den Kauf von Gutscheinen des örtlichen stationären Handels und nicht reine Online-Geschenkbesorgungen; dann wird wenigstens Umsatz der Zukunft in den Geschäften vor Ort gehalten und somit geholfen.

“Beschlüsse müssen klar sein und dürfen nicht verwirren”

Ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, die Corona-Regelungen über Weihnachten und Neujahr zu lockern?
Bergmann: Ich will es mal so sagen: Schon rein pädagogisch scheint mir eine Pause von Zurückhaltung mit der Gefahr einer zeitversetzten neuen Explosion der Zahlen nicht clever zu sein. Und: Silvester halte ich deutlich für verzichtbarer als Weihnachten. Wir werden sehen, welche Entscheidungen in der Kanzlerin-Runde am Wochenende fallen und was wir nächste Woche im Landtag diesbezüglich beschließen. Die Beschlüsse müssen klar sein und dürfen die Menschen nicht weiter verwirren.

Ist es für Sie verständlich, wenn Bürger mittlerweile von einem planlosen Handeln seitens der Bundes- und Landesregierung sprechen und die getroffenen Maßnahmen für teilweise nicht nachvollziehbar halten?
Bergmann: Klar, das ist alles schwierig, wenn man normalerweise immer langfristig planen kann. Das geht aber bei einer sich ständig ändernden Lage nicht, da muss man doppelt flexibel sein und schnell situationsgerecht handeln. Planbarkeit bei einer sich fast täglich ändernden Lage ist nur für Tage, nicht Wochen oder gar Monate möglich. So einfach und deprimierend zugleich das auch ist. Schließlich gibt es keine Blaupause für die Bekämpfung einer Pandemie – leider.

Sehen Sie die Chance, dass ein „harter“ Lockdown ins neue Jahr hinein zu einer Besserung der Corona-Lage führen kann?
Bergmann: Ich glaube, dass wir so die zweite Welle noch stärker anhalten, vielleicht sogar etwas brechen können. Schon der Verlauf der Spanischen Grippe vor 100 Jahren hat gezeigt, dass die Wellenbewegungen jahreszeitlich unterschiedlich stark ausgeprägt über das Land ziehen – und dabei leider viele Opfer fordern. Aber: Erst nach Impfungen großer Teile der Bevölkerung werden wir wieder beruhigter in die Zukunft schauen können. Das ist das Licht am Ende des Corona-Tunnels.

* Nach Redaktionsschluss hat NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Freitagmittag schnellstmöglich und bundesweit einen “harten” Lockdown gefordert. Dazu gehöre, dass auch an Weihnachten und Silvester nur zwei Hausstände und maximal fünf Personen sich treffen dürfen. Zudem werde die Präsenzpflicht an den Schulen in NRW ab Montag, 14. Dezember, aufgehoben. Erst am 11. Januar soll der Unterricht wieder beginnen. Kindergartenkinder sollten möglichst zwischen 14. Dezember und 10. Januar nicht die Kita besuchen.

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