NIEDERRHEIN. „Konturen“ heißt das sechste Studioalbum, das Johannes Oerding gerade frisch auf den Markt gebracht hat. Der Wahl-Hamburger ist in Geldern-Kapellen aufgewachsen und gehört zu den erfolgreichsten Musikern Deutschlands. Die 13 Songs seines neuen Albums sind eine Mischung aus „Pop, Elektro, Streichern, reduziertem Beat, NDW-Übermut und orchestralem Filmmusik-Pathos“. Und damit mischt der 37-jährige Musiker in den deutschen Charts wieder ganz oben mit.

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2019 war für dich ein Jahr voller Projekte. Wie schwierig war es, die Ruhe zu finden, um dein sechstes Album wie geplant im November herauszubringen?
Oerding: Dieses Mal hatte ich wirklich Probleme damit, weil links und rechts immer neue Türen aufgingen. Zum Beispiel „Sing meinen Song“ – das beschlagnahmt Körper und Geist ganz schön. Da bist du Monate vorher in der Vorbereitung, dann vor Ort und nachher willst du das ganze Thema auch noch am Köcheln halten. Da fiel es schwer, die Ruhemomente zu finden, in denen du dich hinsetzt und deine Gedanken sortierst. Ein bisschen musste ich mich auch wieder zwingen, im Sinne von: Raus aus dem Trubel. Ich bin an die Nordsee gefahren, habe mich quasi abgeschottet, um zumindest den Startschuss hinzubekommen für den Schreib- und Albummodus.

Deine Themen haben sich geändert, sie sind politischer und sozialkritischer. Wie kommt es?
Oerding: Mich beschäftigen gerade ganz schön viele Themen. Wenn ich auf die letzte Zeit zurückblicke, was in diesem Land los ist, was europäisch und was global los ist, gibt es da mehrere Schlüsselerlebnisse. Man spürt förmlich die Aufruhr zwischen den Menschen, es gibt so viele brodelnde Krisenherde. Da sind viele Fragen, die mir unter den Nägeln brennen, wahrscheinlich auch, weil ich älter und reifer geworden bin. Und einfach auch interessierter. Hinzu kommt, dass ich mehr und mehr eine Verantwortung spüre, mit zu diskutieren und mit zu debattieren, nicht nur als Künstler, sondern als Bürger im allgemeinen. Da kommt mir natürlich sehr entgegen, dass ich auch ein Mikrofon in der Hand habe und meine Reichweite nutzen kann, um mit diesen Songs und Themen zur Diskussion einzuladen.

Welche Songs auf dem neuen Album sind dir besonders wichtig?
Oerding: Das sind Songs wie ‚Blinde Passagiere‘, die für mich eine ernsthafte Kraft haben und auch entwickeln sollen. Aber auch ‚Anfassen‘ ist eine Nummer, die sehr gut den Zeitgeist trifft – meinen zumindest. Es geht um die Frage, wie wir mit dem ganzen digitalen Leben zurechtkommen? Bei allem Schönen, was uns die digitale Welt gebracht hat, müssen wir auch vorsichtig sein und mögliche Konsequenzen bedenken. Auf dem Album gibt es aber auch Songs wie ‚An guten Tagen‘. Für mich ist es ein wichtiger Song, weil er mich auf meiner persönlichen Reise einen wichtigen Schritt weiter gebracht und viele Menschen zusammengeführt hat – auf den Tanzflächen oder auch daneben. Es ist schön, dass man mittlerweile auch mal so ein Lied landen konnte, das es aus dem Radio raus wirklich überall hin schafft.

Das Album ‚Konturen‘ ist im Gegensatz zu den vorherigen Alben nach keinem Songtitel benannt. Warum?
Oerding: Es gibt eine Textstelle in „Alles okay“, da heißt es: „Dieser Dreck auf meiner Haut, ist mir endlich so vertraut, und diese Spuren und Konturen, die machen mich aus.“ Das drückt eigentlich gut aus, dass alles, was in den letzten Jahren passiert ist, dazu beigetragen hat, meine Konturen und mein eigenes Profil zu schärfen. Ich denke, das passt zum gesamten Album. Ich habe versucht, den Leuten da draußen wieder ein bisschen näher zu kommen, mich auch persönlich etwas mehr zu öffnen. Die Leute sollen wissen, wofür der Künstler und der Mensch Oerding abseits seiner Musik steht. Das ist auch mein Ansatz gewesen, das Album recht plakativ „Konturen“ zu nennen.

Wer dich länger kennt, horcht beim Song „Ich hab dich nicht mehr zu verlieren“ auf, ein Duett, das du mit deiner Freundin Ina Müller singst. Oft hast Du in den vergangenen Jahren gesagt, ein Duett käme für euch nicht in Frage, Zitat: Wir sind nicht Cindy und Bert…
Oerding: Und das sind wir bei dem Song ja auch nicht. Wir singen ja tatsächlich über eine Trennung, die uns ja gar nicht betrifft, weil bei uns alles gut und in Ordnung ist. Es ist nicht unser Thema. Wir sind hier einfach Interpreten, die gemerkt haben, dass diese Geschichte, die vielleicht auch die Geschichte von vielen Menschen da draußen ist, noch mehr Kraftbekommt, wenn wir sie zusammen singen. Dass der Song einfach besser wird, wenn Ina mit ihrer Stimme das Ganze noch veredelt. Ich habe ihr den Song vorgespielt, um mir eine Freigabe zu holen – wie ich das immer mache – und sie stimmte gleich mit ein und mir wurde klar: Das ist eigentlich ein Duett! Es war so wunderschön, dass wir eigentlich gar keine andere Wahl hatten, als den Song gemeinsam zu machen.

Das Tauschkonzert „Sing meinen Song“ war für dich die erste große Fernsehproduktion. Würdest du nochmal mitmachen?
Oerding: Auf jeden Fall – wäre ich in dem gleichen Status wie damals. Ich habe mir jetzt aber vorgenommen, mich die nächsten ein, zwei Jahre wieder mehr aufs Live-Spielen zu konzentrieren. Damit bin ich komplett ausgelastet. Um das gut zu machen und auch hundertprozentig, will ich mich nicht ablenken lassen. Aber ich kann jedem Künstler nur empfehlen: Wenn man die Chance bekommt, muss man es machen, denn es bringt einen einfach nur weiter.

Gab es Anfragen von anderen Fernsehsendern?
Oerding: Ja, durchaus. Wenn du im Fernsehen eine halbwegs gute Figur machst, dann entdecken dich ganz viele Leute aus der Fernsehwelt und haben Vorschläge. Ich freue mich auch sehr, aber ich kann mich nicht zweiteilen. Ich kann immer nur eine Sache sehr, sehr gut machen. Jetzt ist wieder das normale Musikerleben dran mit Touren und Live-Spielen.

Und der Tourplan ist schon gut gefüllt. Wie viele Termine stehen für 2020 fest?
Oerding: 27 Tour-Termine, dazu kommen wahrscheinlich 30 Open-Airs. Wir haben wieder ordentlich was vor im Frühjahr und Sommer. Mal gucken, was im Herbst ist. Wenn mir langweilig wird, machen wir einfach weiter.

Den Niederrhein vermissen die Fans ja bislang noch auf dem Tourplan…
Oerding: Am Niederrhein waren wir ja gerade erst. An die Konzerte in Walbeck habe ich natürlich nur gute Erinnerungen. Jetzt starten wir zuerst mal mit den größeren Städten. Oberhausen und Köln sind mit dabei, wobei Köln ausverkauft und Oberhausen kurz davor ist. Ich denke aber, dass wir im Sommer in Nordrhein-Westfalen nochmal nachlegen. Da ist dann zumindest einiges in Reichweite. Trotzdem gibt es nach wie vor immer noch meinen großen Kindheitstraum, irgendwann in „meinem Dorf“, in Kapellen, ein Konzert zu spielen. Und irgendwann werden wir auch das hinkriegen.

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