Weniger Smartphone, dafür mehr Zeit mit dem Kind

Emmerich startet die Postkarten-Aktion „Sprich lieber mit deinem Kind“

EMMERICH. Im Durchschnitt 88 Mal schauen Smartphone-Nutzer auf ihr Gerät. Meistens unbewusst. Experten sprechen auch vom digitalen Dauerstress. Dieser kann nicht nur negative Auswirkungen auf Erwachsene, sondern auch auf Kinder und sogar Babys haben – auch wenn diese gar nicht selbst das Smartphone bedienen. Viele Eltern schenken in vielen Situationen unbewusst ihren Smartphones mehr Aufmerksamkeit als ihren Kindern. Das Netzwerk Pro Kids Emmerich macht gemeinsam mit dem Fachbereich Schule, Jugend und Sport der Stadt Emmerich auf diesen Umstand und die möglichen Folgen aufmerksam. Dazu verteilen sie anlässlich der Aktion „Sprich lieber mit deinem Kind” an öffentlichen Orten Flyer und Postkarten.

Qualitätszeit statt Smartphone fordern Gaby Niemeck vom Netzwerk Pro Kids, Hebamme Maria van Husen-Röhrig und Kita-Leiterin Ulla Klossek. NN-Foto: SP

Der Aktion liegt eine bundesweite Kampagne zugrunde. „Deren Layout hat uns aber wenig gefallen. Das war nicht ansprechend”, sagte Gaby Niemeck vom Netzwerk Pro Kids Emmerich. Für ihre Postkarten haben sie daher das Klever Modell als Vorbild genommen. In der Kreisstadt läuft die Kampagne bereits sehr erfolgreich. Postkarten mussten sogar nachgedruckt werden. Die Emmericher haben die Motive im Wesentlich von den Klevern übernommen. Auf vier verschiedenen Postkarten sind jeweils ein Elternteil mit einem Kind oder einem Säugling zu sehen. Sprüche wie „Mama, leg‘ doch mal das Handy weg!”, „War ich böse? Oder warum spricht Papa nicht mit mir?” oder „Bin ich dir wichtig?” sollen in erster Linie wachrütteln und auf die Problematik aufmerksam machen.

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Handyfrei im Kreißsaal

„Vielen Eltern ist das gar nicht mehr bewusst, wie oft sie das Smartphone in der Hand haben”, sagt Hebamme Maria van Husen-Röhrig. Sie erlebe ganz häufig, dass das Smartphone ständiger Begleiter ist. „Wir sind bald soweit, dass wir sagen müssen: Handyfrei im Kreißsaal. Eltern dokumentieren mittlerweile nämlich jedes Detail und teilen es via WhatsApp oder in den sozialen Netzwerken, anstatt sich auf sich selbst, den Partner oder das Baby zu konzentrieren”, sagt van Husen-Röhrig. Das könne sogar Auswirkungen auf das noch ungeborene Kind haben. „Wir sehen beim CTG schonmal, dass die Herzfrequenz des Kindes plötzlich ansteigt, weil die Mutter auf ihrem Smartphone eine Nachricht erhält und denkt, dass sie jetzt reagieren muss”, erläutert van Husen-Röhrig.

Dabei sehe sie durchaus auch Vorteile an den heutigen Smartphones – wenn sie bewusst eingesetzt werden. Ein Foto vom Neugeborenen zu machen, sei okay. „Aber der Moment kommt nicht wieder”, sagt van Husen-Röhrig. Blick- und Körperkontakt sei besonders in der ersten Zeit nach der Geburt wichtig. Deshalb habe das Smartphone auch während des Stillens nichts in der Hand zu suchen. „Bedingungslose Zuwendung ist beim Stillen oder auch, wenn die Flasche gegeben wird, immens wichtig. Es passiert schon auf Baby-Niveau Kommunikation”, sagt van Husen-Röhrig. Bei ihren Hausbesuchen als Hebamme könne sie des Öfteren aber merken, dass Babys, deren Mamas beim Füttern das Smartphone bedienen, unentspannter seien als Babys, welche die volle Aufmerksamkeit erhalten.

Kinder sprechen schlechter

Ähnliche Erfahrungen hat auch Ulla Klossek, Leiterin des Familienzentrums Arche Noah gemacht. „Kinder sprechen und lernen heute schlechter als früher”, sagt Klossek. Ein Grund dafür sei auch das Smartphone. „Wir stellen fest, dass Kinder bereits ab einem Jahr das Smartphone auf jeden Fall kennen. Sie machen oft diese typischen Wisch-Bewegen, die man beim Bedienen eines Smartphones macht”, sagt Klossek.

Probleme sehen beide Fachfrauen aber nicht nur in der Mediennutzung der Eltern. „Viele Kinder dürfen sehr früh ein Smartphone bedienen, um sich damit zu beschäftigen. In den Schlaf gesungen werden Kinder heutzutage kaum noch. Stattdessen läuft das Smartphone”, sagt van Husen-Röhrig.

Mehr Qualitätszeit

Den drei Fachfrauen geht es bei der Aktion allerdings nicht darum, Smartphones auch für Kinder komplett zu verbieten. Die Dosis mache schließlich das Gift. „Die Technik ist nun mal da und lässt sich nicht mehr wegdiskutieren. Aber Kinder müssen erleben, dass das Teil auch mal weggelegt wird”, betont Klossek. Stattdessen solle mehr Qualitätszeit mit den Kindern geschaffen werden, in der das Smartphone mal keine Rolle spiele.

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