GELDERN/NIEDERRHEIN. Behindert, beleidigt, angegriffen: Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte werden in Deutschland immer häufiger das Ziel von Übergriffen. Wie sehr der Respekt gegenüber den verschiedenen Einsatzkräften gesunken ist, beschäftigt auch die Schüler des Zusatzkurses Sozialwissenschaften der Q2 des Friedrich-Spee-Gymnasiums. Um dem entgegenzuwirken, haben sie die Kampagne „Mehr Respekt für Einsatzkräfte“ gestartet. Zur Kickoff-Veranstaltung kamen vergangenen Dienstag zahlreiche Gäste für eine Podiumsdiskussion an das Friedrich-Spee-Gymnasium. Darunter waren auch Landrat Christoph Gerwers und die Staatssekretärin des Innenministeriums NRW, Dr. Daniela Lesmeister.

Nachdem sie durch einen Artikel in der „Zeit“ auf das Thema aufmerksam geworden waren, sind die Schüler ihm mit einer Umfrage in der Stadt Geldern weiter nachgegangen. So zeigte sich unter anderem, dass die Mehrheit der Befragten positive Erfahrungen mit Einsatzkräften gemacht hat und zwei Drittel von deren Arbeit überzeugt sind. „Das bedeutet aber auch, dass ein Drittel nicht zufrieden ist“, sagen die Schüler. Auch seien viele der Befragten davon überzeugt, dass nicht wenige ihrer Mitbürger respektlos gegenüber Einsatzkräften seien. Nicht nur haben die Gymnasiasten daraufhin ihre Kampagne gestartet. Um offene Fragen zu klären, luden sie gleich verschiedene Gäste zu einem Austausch an die Schule ein.

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Dass es auch auf dem Land häufiger an Respekt mangelt, ergab bereits im Vorfeld eine interne Nachfrage beim Gemeindebrandinspektor der Gemeinde Weeze und Notarzt, Michael Winthuis, sowie beim Bürgermeister der Stadt Kevelaer, Dr. Dominik Pichler. Die Podiumsdiskussion bestätigte diese Einschätzung nochmals – wenn auch mit ein paar Einschränkungen.

Feuerwehr: Gestiegene Sensationslust

Mehr Respekt für Einsatzkräfte
Teilten ihre Perspektiven auf das Thema: (v.l.) Michael Ermers, Björn Mölleken, Dr. Daniela Lesmeister, Christoph Gerwers, Sven Kaiser, Dominik Pichler und Andrè Bardoun. NN-Foto: Thomas Langer

„Die Übergriffe haben tatsächlich zugenommen“, sagte Dr. Daniela Lesmeister, die früher nicht nur selbst Polizeibeamtin war, sondern als Leiterin der Abteilung 4 – Polizei im Ministerium des Inneren des Landes NRW von 2017 bis 2022 auch Chefin von 57.000 Polizisten in NRW. „In meiner aktiven Zeit von 1999 bis 2004 habe ich die Auseinandersetzungen von Respektlosigkeit in dieser Art und Weise nicht erfahren.“ Welche Ausmaße das Problem annehmen kann, verdeutlichte sie an einem Fall in Duisburg-Marxloh, wo einmal die Räder eines Rettungswagens aufgestochen und ein anderes Mal sogar abmontiert worden seien. Bei Einsatzkräften hören die Entwicklung aber offenbar nicht auf. So sei zu beobachten, dass selbst Mitarbeiter der Verwaltung, etwa des Straßenverkehrsamts, öfter angegangen werden würden.

Dass die Mitarbeiter des Ordnungsdiensts manchmal auf Widerstand stoßen, berichtete auch Gelderns Bürgermeister Sven Kaiser. „Zum Glück hatten wir aber noch keine tätlichen Übergriffe.“ Gegenüber der Feuerwehr zum Beispiel handle die Bevölkerung vor Ort nach wie vor sehr respektvoll. Ähnlich sei die Situation in Kevelaer, sagt Dominik Pichler. „Was Gewalt gegen die Feuerwehr angeht, haben wir derzeit zum Glück kein Problem“, sagt Bürgermeister Dr. Dominik Pichler.

„Wenn man nicht antwortet, wird penetrant nachgebohrt”

Als Leiter der Feuerwehr in Geldern kann André Bardoun zwar ebenfalls nicht von Übergriffen gewalttätiger Natur berichten, neben Beleidigungen sei jedoch auffällig, dass die Menschen keinen großen Bogen mehr um Einsatzstellen machen würden. „Heute sind sie mit der Kamera dabei, machen Fotos und stellen Fragen. Und wenn man nicht antwortet, wird penetrant nachgebohrt.“ Es gebe sogar Fälle, in denen es um Menschenleben gehe und Nachbarn dennoch dazu aufforderten, leiser zu sein. „Wir werden nicht gerufen, wenn nichts ist“, stellte er klar. Seine Vermutung angesichts der sinkenden Hemmschwelle: „Die Bevölkerung wirkt gestresster. Es fehlt zunehmend die Geduld.“

Anstieg vor allem in Großstädten

Einen etwas größeren Überblick brachte Christoph Gerwers als Landrat mit ein, als er aus seiner Perspektive von vermehrter Gewalt gegen Einsatzkräfte berichtete. Hier schränkt er dennoch etwas ein: „Im Kreis Kleve sind wir nicht so weit, wie es vielleicht in Großstädten der Fall ist. Aber auch hier fängt es an.“ Wenn es soweit komme, reiche die Spanne von Beleidigungen bis hin zu Schlägen und Tritten. Erklären könne er sich diese Entwicklung aber nicht. „Gerade wenn Rettungskräfte kommen, um zu helfen, ist die natürliche Reaktion eigentlich Erleichterung.“ Auch Pichler ist sich da nicht sicher. „Je nachdem, wen man fragt, bekommt man unterschiedliche Antworten.“

Beide wiesen aber auf eine Unterscheidung hin: „Die Polizei kommt ohnehin meist dann, wenn Konflikte auftreten“, sagt Gerwers. Entsprechend komme es häufiger bei ihr zu Zwischenfällen, zumal auch Drogen dabei oft eine Rolle spielten. Inwiefern sich die Grenzen dennoch zum Negativen zu verschieben scheinen, untermauerte Gerwers mit ein paar Zahlen. Habe es im Kreis Kleve 2021 94 tätliche Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte gegeben, sei die Zahl 2022 auf 100 gestiegen. Bis Ende November 2023 habe es 89 Vorfälle gegeben, jedoch sei die Statistik noch nicht ganz abgeschlossen.

„Respektlosigkeiten, Beleidigungen oder Angriffe kommen überall vor. Herkunft, Alter und Geschlecht sind dabei egal.”

Michael Ermers, Dienstleiter der Polizeiwache in Geldern, arbeitet bereits seit 33 Jahren als Polizeibeamter, dementsprechend ist ihm Widerstand nicht fremd. Dass etwaige Vorfälle einem bestimmten Milieu zugeschrieben werden können, kann er allerdings nicht bestätigen. „Respektlosigkeiten, Beleidigungen oder Angriffe kommen überall vor. Herkunft, Alter und Geschlecht sind dabei egal.“ Ursachen sieht er vor allem im Alkohol, Drogen und psychischen Erkrankungen. Traurig findet er, wie alltäglich all das geworden sei. „Eine Kollegin erzählte mir kürzlich, dass sie Beleidigungen gar nicht mehr richtig wahrnimmt.“ Die Polizei sei jedoch vorbereitet, sowohl durch Trainings, als auch durch die Ausstattung, zu der Bodycams und Übersetzungsapps gehören. „Es gibt schon mal Verständigungsprobleme, die man so beheben kann“, erläutert er.

Mehr Respekt für Einsatzkräfte
Zur Kampagne haben die Schüler auch ein Plakat erstellt. Foto: privat

Auch Polizeirat Björn Mölleken beobachtet eine nachteilige Entwicklung in vielen Teilen der Gesellschaft und spricht vor allem von einer verstärkten Ich-Bezogenheit. „Es würde uns allen guttun, wenn wir mehr miteinander sprechen und aufeinander Acht geben.“ Er verweist darauf, dass die Regeln in der demokratischen Gesellschaft dem Allgemeinwohl dienen würden und das Zusammenleben vereinfachen und stärken sollen. „Dazu gehört, dass man seine eigenen Bedürfnisse manchmal hinten anstellt und Rücksicht nimmt.“ Er nutzte die Gelegenheit auch, um den Wert dessen zu betonen, in einer gefestigten Demokratie mit vielen Freiheiten in Frieden leben zu können. „Wir sollten uns bewusst machen, welches Glück wir eigentlich haben. Vielen ist das nicht vergönnt.“

Über die Probleme zu sprechen, sei laut Daniela Lesmeister der erste wichtige Schritt. Konsequenzen brauche es aber ebenfalls. So sei bereits ein Paragraph im Strafgesetzbuch verschärft worden, sodass Übergriffe auf Einsatzkräfte nun härter geahndet würden. „Wir bringen jeden Übergriff zur Anzeige“, sagt sie. Gleichzeitig habe der Landtag mehr Geld für das Thema zur Verfügung gestellt.

Kampagnen-Video online zu finden

Voranbringen möchten die Schüler ihre Kampagne unter anderem mit Plakaten, Einkaufs-Chips und einem selbstgedrehten Video. Abrufbar ist es unter fsggeldern.de.

Bei den Gästen kam das Engagement ausnahmslos hervorragend an. „Es ist ein Unterschied, ob das Projekt von Ihnen kommt oder von den Einsatzkräften“, sagte Michael Ermers an die Schüler gerichtet. Alle Anwesenden haben daher ihre Bereitschaft bekundet, die Kampagne als Multiplikatoren zu unterstützen: zum Beispiel über die eigenen Social-Media-Kanäle, die Videoleinwände der Stadt Geldern und über eine Einladung zur Präsentation am „Tag der offenen Tür“ der hiesigen Feuerwehr.

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