NIEDERRHEIN. „Die Politik muss dringend handeln“, sagt Dr. Frank Bergmann, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO). Er warnt: „Die wohnortnahe ambulante Versorgung ist in akuter Gefahr.“ Frust, Ärger und nicht zuletzt auch massive Existenzängste seien bei der niedergelassenen Ärzteschaft so groß wie selten zuvor. Bergmann: „Entweder die politischen Verantwortungsträger werden ihrem Namen gerecht und übernehmen endlich Verantwortung – oder die vertragsärztliche Versorgung in Deutschland wird künftig nicht mehr das leisten können, was man von ihr erwartet.“

Protest: Am Mittwoch blieben die Apotheken geschlossen. NN-Foto: CDS

Bergmann fordert „gleiche Spielregeln für Praxen und Krankenhäuser“. „Jeder Bäcker gibt die steigenden Kosten an seine Kunden weiter, aber die Arztpraxen müssen mit dem zurechtkommen, was die Krankenkassen zahlen“, sieht Bergmann kaum Spielraum für Honorarverhandlungen. Fachkräfte würden in den stationären Bereich abwandern, weil sie dort mehr verdienen. Ein Hausarzt verdiene gut 20 Prozent weniger als ein Oberarzt im Krankenhaus – das erleichtere nicht unbedingt die Suche nach, gerade auf dem Land, dringend benötigten Nachfolgern.

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Im Oktober hat sich das Aktionsbündnis „Praxenkollaps Nordrhein“ formiert, aber auch andere freie Heilberufe sind betroffen, darunter Zahnarztpraxen und Apotheken. Gemeinsam wurde ein Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz auf den Weg gebracht, um auf die akute Gefährdung der ambulanten medizinischen Versorgung durch die aktuelle Gesundheitspolitik hinzuweisen. Bergmann begrüßt diesen Schulterschluss. Man werde so lange auf den drohenden Kollaps aufmerksam machen, wie es nötig sei.

“Prävention bleibt auf der Strecke”

Andreas Kruschwitz, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Nordrhein (KZVNR), warnt ebenfalls, dass die wohnortnahe ambulante Basisversorgung gefährdet sei. Ein Grund dafür sei der hohe bürokratische Aufwand, der junge Zahnärzte davor abschrecke, eine Praxis zu übernehmen. Zudem spricht Kruschwitz von „Leistungskürzungen durch die Hintertür“ und nennt als Beispiel das vor zwei Jahren gestartete präventionsmedizinische Großprojekt zur Bekämpfung der Volkskrankheit Parodontitis. Alle seien sich einig gewesen, dass die durch wissenschaftliche Studien abgesicherte Behandlungsform zwar Mehrkosten verursachen würde, aber auf mittlere Sicht – wie beim Karies – Milliarden einspart. Dank neuer gesetzlicher Vorgaben würden Patienten mit dringendem Handlungsbedarf zwar nicht abgewiesen, „aber ausgerechnet die Prävention bleibt wieder einmal auf der Strecke.“

Apotheken: Lieferengpässe und Fachkräftemangel

Auch aus Sicht der Apotheken im Rheinland ist die aktuelle Gesundheits- und Arzneimittelsituation im Land extrem unbefriedigend und reformbedürftig. Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, verweist auf den massiven Rückgang bei der Anzahl der hiesigen Apotheken – bei gleichzeitig steigendem Versorgungsbedarf. „Die Bevölkerung wächst und wird immer älter“, weiß Preis.

Nach Berechnungen des Apothekerverbandes führe dies in den nächsten zwei Jahrzehnten zu einem Anstieg bei den Arzneimittelabgaben und sonstigen pharmazeutischen Leistungen von über 30 Prozent. Allein bei den besonders beratungsintensiven über 70-Jährigen werde der Anstieg über 70 Prozent sein. Die verbleibenden Kollegen müssten also in Zukunft erheblich mehr Bürger versorgen – „und das trotz massiver Lieferengpässe bei Arzneimitteln und eklatantem Fachkräftemangel“, so Preis. Gab es 2018 „nur“ 197 Meldungen von Engpässen, sind es im laufenden Jahr schon über 500. Statistisch gesehen sei heute jedes zweite Rezept von Engpässen betroffen. Preis betont: „Die bisherigen Maßnahmen von Seiten des Staates sind nicht ausreichend.“

Von „Light-Apotheken“ ohne Fachpersonal und Labore hält Preis wenig. „Arzneimittel sind keine beliebigen Waren“, ist seine Meinung. Am Mittwoch blieben deshalb die Apotheken im Westen für einen Tag geschlossen. Auch die niedergelassenen Ärzte protestierten am Mittwoch und ließen ihre Telefone unbesetzt.

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