NIEDERRHEIN. „Es herrscht ein Regime des Terrors“, sagt Kardinal Gregorio Rosa Chávez, ehemaliger Weihbischof von San Salvador. Von „willkürlichen Festnahmen, Folter und überfüllten Gefängnissen“ spricht Amnesty International. „Präsident Bukele zeigt zunehmend autoritäre Regierungsansätze“, hält das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland zwar diplomatischer, aber im Kern nicht weniger deutlich, fest. Die Unabhängigkeit der Justiz sei seit der verfassungswidrigen Ab- und Neubesetzung vieler Richter „stark beeinträchtigt“, zudem mehren sich die „Eingriffe in die Pressefreiheit und in die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft“. „Es ist wirklich schlimm“, sagt Jürgen Tönnesen, noch ganz überwältigt von seinen Eindrücken. Er ist gerade aus El Salvador zurückgekehrt und weiß: „Die Menschen brauchen Hilfe. Mehr als jemals zuvor.“

Tönnesen ist Geschäftsführer der 1982 in Goch gegründeten Flüchtlingshilfe Mittelamerika. Für den Verein hat die Solidarität viele Facetten – auch über die humanitäre Hilfe hinaus. Aktuell unterstützt die Flüchtlingshilfe finanziell unter anderem zwei Teams von Psychologinnen für von der Repression traumatisierte Kinder und auch eine Anlaufstelle für Familien, deren Angehörige unschuldig inhaftiert wurden. Sie leisten juristische Beratung, helfen beim Zusammenstellen der Dokumente und versuchen, die größte Not zu lindern. „Oft sind es Frauen mit Kindern, die verzweifelt dort ankommen und seit Tagen nichts gegessen haben“, sagt Tönnesen. Dann gibt es Kaffee und Kakao, Brot und sauberes Wasser. „Es ist nicht viel, aber wir tun, was wir können“, erzählt er.

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In El Salvador herrscht Ausnahmezustand

Seit über einem Jahr herrscht in El Salvador der Ausnahmezustand, einhergehend mit der massiven Beschneidung demokratischer Grundrechte. Mehr als 72.000 mutmaßliche Bandenmitglieder wurden seitdem festgenommen. „Darunter sind aber mindestens 20.000 Menschen, besonders aus den sehr armen, ländlichen Gegenden, die unschuldig sind und keinerlei Verbindung zu Banden haben“, sagt Jürgen Tönnesen. Ihnen werde der Prozess gemacht, ohne rechtlichen Beistand oder Anhörung. „Da gibt es dann Massenprozesse, in denen hunderte mutmaßliche Bandenmitglieder in wenigen Minuten abgefertigt werden“, beschreibt Tönnesen die dramatische Situation. Hinzu kämen die prekären Haftbedingungen. Die Gefängnisse sind nicht nur maßlos überfüllt, auch systematische Folter und Todeszellen sind dokumentiert, die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. „Die Leute sind mehr tot als lebendig, wenn sie es denn überhaupt schaffen, das zu überleben“, sagt Tönnesen.

Kampf für die Menschenrechte

Der körperliche Zustand sei das eine, der seelische das andere. „Wir haben einen langjährigen Mitarbeiter dort, der zum Glück nach Monaten wieder freigelassen wurde. Der Mann hat auch im Bürgerkrieg gekämpft, aber über seine Zeit im Gefängnis kann er bis heute nicht sprechen“, weiß Tönnesen auch um die psychischen Folgen. Das Thema Angst sei allgegenwärtig. „Es heißt, das sei der Preis für die Sicherheit, aber im Grunde wurde hier nur das eine Übel, nämlich die Bandenkriminalität, gegen ein anderes, die staatliche Willkür, ausgetauscht“, sieht Tönnesen den Weg vorgegeben. Während sich Nayib Bukele für sein hartes Durchgreifen von der scheinbaren Mehrheit der Bevölkerung feiern lässt und sich in den sozialen Medien zum selbsternannten „coolsten Diktator der Welt“ stilisiert, ist für die Flüchtlingshilfe Mittelamerika und ihre salvadorianischen Partnerorganisationen der Kampf für die Menschenrechte in den Mittelpunkt gerückt. Ohne dabei die humanitäre Hilfe aus den Augen zu verlieren. Denn die Leidtragenden sind, wie so häufig, die ärmsten Bevölkerungsschichten und die Kinder. „Mehr als 75.000 Kinder bleiben zuhause zurück – traumatisiert, ohne Mutter oder Vater. Manche von ihnen werden ihre Eltern nie wiedersehen“, macht Jürgen Tönnesen deutlich, dass sich der Verein nicht nur solidarisch zeigt, sondern auch Hoffnung geben will. Und zu dieser Hoffnung trägt die Aktion Weihnachtsfunken bei, die nun dringend Fahrt aufnehmen muss.

Die Aktion Weihnachtsfunken

Seit vielen Jahren schickt die Flüchtlingshilfe im Rahmen von Hilfsgütersendungen weihnachtliche Päckchen an Kinder armer Familien im Land, zuletzt rund 2.000 Stück, zusammen mit Rollstühlen, Krankenbetten und anderen Reha-Hilfen. Nun geht es auch darum, möglichst viele Päckchen auch für die vom Ausnahmezustand betroffenen Kinder auf den Weg zu bringen. Doch bis zur Verladung bleibt nur noch wenig Zeit, damit der Container pünktlich vor dem Fest eintrifft. „Im Moment fehlt es an Päckchen, aber auch an tatkräftiger Unterstützung“, hofft Tönnesen und sagt: „Wenn engagierte Lehrer mit ihren Schülern, wenn Pfarrgemeinden und Vereine, Jugendgruppen und viele Familien sich mit selbstgepackten Päckchen beteiligen würden, dann wäre der große Seecontainer voller Weihnachtsfunken für die zurückgelassenen Kinder noch zu schaffen.“ Mitmachen kann man noch bis zum 22. September.

Wer packt mit an?

Dankbar wäre der Verein auch für helfende und vielleicht sogar handwerklich begabte Hände, die beim Säubern und Verpacken der Hilfsgüter mitmachen. „Diese Rollstühle und viele andere Hilfsmittel gehen an soziale Einrichtungen und die Kirchen vor Ort, die dafür sorgen, dass die Hilfe da ankommt, wo sie benötigt wird“, sagt Tönnesen. Eine Zusammenarbeit mit staatlichen Einrichtungen wie den Krankenhäusern gibt es nicht mehr. „Der Kontakt zwischen der katholischen Kirche und der Regierung gestaltet sich zunehmend schwierig“, weiß Tönnesen aus den jüngst vor Ort stattgefunden Gesprächen mit Kirchenvertretern und stuft diese Entwicklung ebenfalls als sehr bedenklich ein. Rosa Chavez gilt als scharfer Kritiker der Massenverhaftungen und des Ausnahmezustandes. Nach seinen Äußerungen zum „Regime des Terrors“ habe er zuletzt Drohungen erhalten. „Und das auch immer öffentlicher und mit sehr deutlichen Worten“, sagt Tönnesen.
Wer helfen möchte, sei es mit Spenden, Tatkraft oder Päckchen für die „Weihnachtsfunken“, findet weitere Infos unter www.fluehi-ma.org oder kann sich telefonisch an Jürgen Tönnesen, 0160/5541107, wenden.

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