Fluxus: Leichter Atem

BEDBURG-HAU. Auf der Brücke zum Schloss: Ein Gurgeln. Man stutzt. Blick wasserwärts: Da hängt ein Lautsprecher. Klänge über Meereshöhe. Willkommen in der Fluxus-Welt …
Der Titel sagt‘s. Es geht – auch – um Musik. Und natürlich kann alles zu Musik (erklärt) werden. Das Atmen der Besucher zum Beispiel: Bewegt man sich gedanklich abseits der rein lebenserhaltenden Maßnahme, wird der Atem zum Klang. Und wenn sich die Atemklänge (der Besucher) überlagern, entsteht flugs (pardon: flux) eine Partitur.

Die Atempartitur

An einer der Wände: die Anweisung: „Breathe in, Breathe out and continue for as long as possible“. Das Ganze: in ein Klaviersystem geschrieben. (Zwei Notensysteme – das Obere im Violin-, das Untere im Bassschlüssel.)
„Fluxus Musik Zone West“ führt ins Reich der 60-er und 70-er. Man betritt das Terrain der Vieldeutigkeiten und irgendwie auch immer die Umlaufbahn des Augenzwinkerns.
Zwei Schwerpunkte habe die Ausstellung, sagt Kuratorin Judith Waldmann. Sie trägt Maske und fast möchte man meinen: Das hier ist eine Aktion. Ist es aber nicht. Waldmann hat die Sommergrippe und möchte niemanden anstecken. Für die Ausstellung gilt Gegenteiliges: Natürlich soll es um Anstecken gehen. Die Viren: Gutartig in jeder Hinsicht (bitte wörtlich nehmen).

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Kunst/Musik

Ach ja: die Schwerpunkte. Da wäre zum einen – der Titel erzählt es ja – die Schnittstelle Kunst/Musik. Viele Fluxuskünstler der ersten Generationen studierten Komposition bei einem der großen Geister der modernen Tonsprache: John Cage.
Kunst und Musik. Auf einem Monitor: Joseph Beuys mit Band. Der Mann mit Hut schwingt das Mikro: Sprechgesang zuerst – dann Melodiefragmente. Das Video – heute produziert – könnte viral gehen. Man schaut aufs Schildchen und staunt: „Beuys und BAP“ – die großrheinische Koalitin. „Sonne statt Reagan“ steht da auch. Youtubelinke zu Beuys und BAP Auf einem anderen Foto machen sich mehrere Herren mit allerlei Werkzeug an einem Flügel zu schaffen und man ahnt: Die Sache wird nicht gut ausgehen…

Geschichte

Gleich denkt man zurück an ein sterbendes Klavier: Es war das Jahr 2000, als Beck Hansen ein Klavier von der Altane [vom Erdboden aus gestützter balkonartiger Anbau; Anm. d. Red.] in den Tod stieß: „Klong!“ Ein paar Tage vor dem Klong rief ein Klever Florist den Moyländer Verwaltungsdirektor Johannes Look an. Der Florist hatte eine Bestellung von Yoko Ono erhalten. Er solle für einen Herrn Beck Blumen und jede Menge Schokolade besorgen. Das Ganze solle nach Moyland geliefert werden. Scherz? Aber gar nicht. Bestellung von Yoko Onos Büro … alles Geschichte.

Meilensteine

Schwerpunkt zwei beschreibt Judith Waldmann wie folgt: „Ein besonderes Augenmerk wird auf Meilensteine der Fluxus-Geschichte gelegt, die in Nordrhein-Westfalen geschrieben wurde. Hierzu gehören beispielsweise die Fluxus-Festivals ‘Festum Fluxorum’ 1963 und das ’24-Stunden-Happening’ in der Galerie Parnass in Wuppertal (1965).“
Zur Moyländer Farbe gehört längst, dass nicht nur zurückgeschaut wird. Die Ausstellung, so heißt es in einem Text, zeige zwar hauptsächlich Künstler der ersten Generation und deren historische Arbeiten, aber durch die Integration einer herausragenden zeitgenössischen Position finde eine Brechung statt.

Glocken an der Treppe

David Horvitz bereichert die Ausstellung mit multisensorischen Arbeiten. Eine davon ist gleich beim Aufstieg in die erste Etage (leider nur) zu sehen: Da hängen kleine Glocken und folgen in ihrer Schräge der Neigung der Treppe. Man schlendert drunter weg und würde so gern läuten dürfen. Geht leider nicht. Zu fragil die Konstruktion. Zu gefährlich die Berührung. Und während man an den Glocken entlangtreppt, taucht der Gedanke auf: Auch das ist Fluxus: Man denkt sich einen Klang und pflanzt ihn im Kopf in den Raum, den zu erobern man soeben im Begriff ist. Man hat ja den Atem dabei und komponiert quasi im Vorübergehen.

Destroyed Musik

Von weitem hört man Beuys „Jaajajajaja, näänänänänä“ meckern, hört den Meister singen, steht später vor einer Wand, an der zerkratzte goldene Schallplatten in einen Rahmen gesperrt sind. „Destroyed Music“ heißt die Arbeit von Milan Knizak. Der Blitz fährt ins Gehirn. Stark, denkt man. Und dann ein Klavier – gefangen in einem hölzernen Kasten. Da, wo die Tasten zu sehen wären, steht: „In case of loneliness only“. „Jaajajajaja, näänänänänä“, weht es herüber. Im Kopf: Beuys „Sibirische Symphonie“. Ein Flügel – hingewischt auf Papier: Töne sind nicht nötig. Das Papier spricht. Irgendwie grandios.

Who is who

Zeit für‘s Name-Dropping. Wessen Werke sind zu sehen? Joseph Beuys, George Brecht, Mark Brusse, John Cage, Henning Christiansen, Philip Corner, Adam Henry, David Horvitz, Ute Klophaus, Milan Knizak, Kraftwerk, Ferdinand Kriwet, George Maciunas, Charlotte Moorman, Yoko Ono, Nam June Paik, Benjamin Petterson, Takako Saito, Emil Schult, Mieko Shiomi und Ben Vautier.

Eröffnung

Zur Eröffnung am Sonntag um 11.30 Uhr wird es eine Performance von Tatako Saito geben. Saito ist eine Fluxus-Künstlerin der ersten Generation und mittlerweile 94 Jahre alt. Aber: Was sagen Zahlen? Herz und Kopf brennen ja weiter …
„Fluxus Musik Zone West“ ist sehenswert. (Wichtig: Lesebrille nicht vergessen: Es gibt einiges an Beschriftungen abzuarbeiten. Ein Kunstwerk: drei Schildchen.) Irgendwie ist man am Ende beschwingt. Damals, denkt man, war die Welt anders. Damals standen alle Türe offen und die Kunst experimentierte mit der Schrankenlosigkeit der Möglichkeiten. Irgendwie rührend.

Siko

Während man sitztundschreibt, fällt der Strom aus … Der Text: Zerstört, denkt man und der Puls steigt. Rückkehr des Stroms. Text noch vorhanden: Der Computer hat sich in der Millisekunde des Abschieds alles schnell gemerkt: Sicherungskopie. Grandios. Auch Ausstellungen sind Sicherungskopien. Sie konservieren Werke. Und was ist mit dem Geist? Kuratoren holen ihn zurück. Im Schloss: ein leichter Atem …
„Fluxus Musik Zone West” ist von Sonntag an bis zum 7. Januar im Museum Schloss Moyland zu sehen.

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