GELDERN. Friedhöfe sind ein fester Bestandteil unserer Trauerkultur. Sie sind nicht nur Ruhestätten für die Verstorbenen, sondern auch ein wichtiger Ort für Hinterbliebene, die um einen lieben Menschen trauern. Auf dem Friedhof kommt man ins Gespräch – und schöpft nicht selten Hoffnung. Darüber hinaus kann ein Friedhof noch viel mehr sein: Ein Ort in der Natur, abgeschirmt vom Lärm. Besucher kommen hier zur Ruhe und nutzen die ganz besondere Atmosphäre, um inne zu halten. Ein solcher Ort ist auch der städtische Friedhof in Geldern, der am 27. April 1821 eingeweiht wurde und in der kommenden Woche seinen 200. Geburtstag feiert.

„Über Jahrhunderte hinweg wurden die Verstorbenen auf dem „Gottesacker“ beerdigt, gleich an den Kirchen“, weiß Stadtarchivarin Dr. Yvonne Bergerfurth. Doch im Laufe des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollzog sich ein Wandel – „heraus aus der Stadt“. Das hatte zunächst ganz praktische Gründe: Zum einen wurde es mit zunehmender Bevölkerung rund um die Kirchen zu eng, zum anderen hatte man Angst vor Seuchen und Krankheiten. „Ein ganz prominentes Beispiel ist der Melaten-Friedhof in Köln“, sagt Bergerfurth. Während der französischen Besatzungszeit untersagte ein Kaiserliches Dekret, in erster Linie aus hygienischen Gründen, Beerdigungen innerhalb von Städten und Dörfern. Die Kölner Stadtverwaltung kaufte deshalb ein Grundstück und beauftragte Ferdinand Franz Wallraf, der sich den Pariser Friedhof Père Lachaise zum Vorbild nahm, mit der Gestaltung. Von Anfang an plante Wallraf den Friedhof auch als Erholungsstätte und öffentliche Grünanlage. Am 29. Juni 1810 wurde der Melaten-Friedhof eingeweiht und die Friedhöfe in der Stadt geschlossen.

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Der neue Friedhof

Als der neue Gelderner Friedhof 1821 eingeweiht wurde, war Napoleon zwar bereits „Geschichte“, doch der Umzug an den Stadtrand entsprach dem Zeitgeist – und wurde von den Bürgern mitgetragen. „Damit wurden auch die evangelischen und katholischen Friedhöfe Gelderns aufgehoben“, weiß Dr. Bergerfurth. Und: „Selbstverständlich wurde der neue Friedhof in einen evangelischen und einen katholischen Teil unterteilt“, sagt sie: „So aufgeklärt war man noch nicht, etwa die Konfessionen auch nur im Tode zu vermengen.“
Dass man heute weit „beweglicher“ ist und sich stets den Bedürfnissen der Menschen anpasst, stellt Michael Jeuken heraus.
„Von der klassischen Grabstätte bis zur Beisetzung im blühenden Garten ist vieles möglich“, sagt der Gelderner Friedhofswart. Bei einem Rundgang erklärt er, was es mit Gemeinschaftsgrabstätten, Grabfeldern oder Baumreihengräbern auf sich hat, was heutzutage besonders gefragt ist – und was aus der (Bestattungs-)Mode gekommen scheint. „Früher gab es nur die Erdbestattung – heute sind es überwiegend Urnenbestattungen“, erklärt Jeuken, dass sich in den letzten Jahren einiges verändert hat. Die Ruhefrist (Laufzeit) für die Grabstätten sei zwar dieselbe – die Urnengräber benötigen aber nur etwa ein Drittel des Platzes.

Freie Wahl

Überhaupt, die großen Parkgräber mit Abstand und reichlich Rasen werden heute selten nachgefragt. Und auch die Grabstätten für Großfamilien, Onkel und Tanten inklusive, liegen absolut nicht mehr im Trend. „Wir stellen außerdem fest, dass weniger Menschen Interesse daran haben, die Grabstelle selber zu pflegen“, sagt Jeuken. Kein Problem, denn dafür gibt es Friedhofsgärtner. Wer keinen Profi beauftragen möchte, kann eine Bestattungsform wählen, in der die Pflege für 25 oder 30 Jahre gleich inbegriffen ist. Da gibt es etwa die Rasenreihengräber oder auch das Reihengrab (für Urnen) im Schatten alter Bäume. Auf diesen Flächen stehen schlichte Stelen aus Eichenholz, auf denen man ein Plakette mit dem Namen und den Lebensdaten des Verstorbenen anbringen lassen kann. Wenn man möchte. Und wenn zu einem späteren Zeitpunkt eine Umbettung gewünscht sein sollte, dann ist auch das möglich, wie Georg Kamps, Leiter der Stadtgärtnerei, erklärt. „Wir wissen bis auf den Zentimeter genau, wo wer begraben ist“, sagt er. Der Baum ist der Mittelpunkt, ein Kompass dient der Orientierung und im Kataster sind die Koordinaten sicher verzeichnet. Weil die Nachfrage momentan besonders hoch ist, wurden auf dem Gelderner Friedhof weitere Grünflächen im Schatten stattlicher Bäume mit Bodendeckern und Stauden angelegt, die künftig zur Verfügung stehen. Eine weitere „pflegefreie“ Grabstätte ist der Memoriam Garten, der mit bunten Wildblumen, Insektenhotel und einigen Sitzmöglichkeiten an einen Park denken lässt und zum Verweilen einlädt.

Möglich ist auch eine Beisetzung in einem der Kreisbaumwahlgräber, die sich ganz in der Nähe befinden. Oder den mit Birken, Buchen und Eichen in Säulenform besetzten Baumfeldern, die erst im Herbst 2017 angelegt wurden. Gefragt sind auch die „Familienbäume“. „Der alte Baumbestand bietet uns diese Möglichkeit“, erklärt Michael Jeuken. Die Angehörigen finden dort ihre letzte Ruhe – manchmal erinnert nur ein schlichter Stein an die Verstorbenen, manchmal auch ein auffälliges Kunstwerk.
Die günstigste Form der Beisetzung ist das Urnenrasenreihengrab. Seit 2016 gibt es diese Möglichkeit – über 100 Urnen wurden hier bislang beigesetzt. „Davor war es leider so, dass viele Menschen, die in Geldern geboren wurden und hier gelebt haben, nicht hier beigesetzt wurden, weil man es sich nicht leisten konnte“, ist Jeuken froh, dass eine Lösung gefunden wurde. Möglich ist seit rund 15 Jahren auch eine anonyme Bestattung. „Die Nachfrage war damals vorhanden“, erklärt Jeuken. Heute werde es seltener genutzt, weil es viele Alternativen gebe, sagt der Friedhofswart. Seit 2002 gibt es auch eine Grabstelle für Kinder, die nicht lebend zur Welt gekommen sind. Drei Mal im Jahr wird eine entsprechende Zeremonie für trauernde Eltern angeboten. 2015 hat die Stadt Geldern zudem die Kriegsgräberanlage für die Gefallenen der beiden Weltkriege umgestaltet. Kreuze mit Nameninschriften auf Granitplatten umgrenzen den Bereich, im Hintergrund steht ein schlichtes Kreuz als Mahnmal.
Kulturerbe

Auf Empfehlung der Deutschen Unesco-Kommisssion hat die Kultusministerkonferenz im März 2020 die Aufnahme der Friedhofskultur in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes beschlossen. Dieses Erbe umfasst die „lebendigen Ausdrucksformen, die von menschlichem Wissen und Können getragen, von Generation zu Generation weitervermittelt und stetig neu geschaffen und verändert werden“, wie es die Kommission formuliert. Als Spiegel der Kulturgeschichte haben Friedhöfe eine große Bedeutung. Die Grabsteine sind oft Kunstwerke, die nicht nur Namen und Daten der Verstorbenen tragen, sondern auch von deren Leben, ihren Eigenschaften und Verdiensten erzählen. Auf dem Gelderner Friedhof gibt es jedenfalls zahlreiche sehenswerte denkmalgeschützte Grabmäler (die zum materiellen Kulturerbe zählen) – und jüngst sind einige weitere hinzu gekommen.

Die Kapelle

Im Zentrum steht die 1858 errichtete Grabkapelle der Reichsgrafen von Hoensbroech, von den Geldernern auch „Haagsche Kapelle“ genannt. „Der Architekt war niemand geringerer als Vincenz Statz“, sagt die Stadtarchivarin. Immerhin wurde Statz nur fünf Jahre danach zum Diözesanbaumeister in Köln ernannt. Der neugotische Stil der Kapelle war bewusst gewählt – „das dürfte als dezidierte Präsentation des Katholizismus der Familie zu werten sein“, erläutert Dr. Bergerfurth und verweist auf die zu der Zeit starken Spannungen zwischen der katholischen Kirche und den neuen Nationalstaaten mit ihren liberalen Strömungen, die im Kulturkampf der 1870er Jahre ihren Höhepunkt fanden.
Ein Porticus mit Säulen und Giebeln aus belgischem Granit, in dessen Mittelpunkt ein Mosaikbild mit biblischer Darstellung der Kreuzigung steht, wurde in Gedenken an den Gelderner Fabrikanten Heinrich Bösken (1854-1918) errichtet. Ebenfalls aus Granit gefertigt wurde das hohe neugotische Grabkreuz (um 1900), das an die Clemensschwestern erinnert, die von 1843 an auch in Geldern die Krankenpflege übernahmen. Sehenswert ist auch das Grabmal der Familien van Baerle – Roeffs – Haerten, eine klassizistische Urnenstele aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit aufgesetzter Graburne mit Tuchüberwurf und Familienwappen. Zum „steinernen Archiv“ der Stadtgeschichte zählt auch das Grabmal der Familie Ehren/Lepelmann.

Das von dem Gelderner Bildhauer Joseph Elsemann um 1910 gestaltete Grabmal besteht aus einer dreiteiligen Grabwand auf Sockel. Auch hier geht es um die Kreuzigung. Nicht zu vergessen das Grabmal von Josef Friedrich Nettesheim (1818-1881), Geschichtsforscher und Mitbegründer des historischen Vereins für Geldern und Umgebung (1851) – ein dreiteiliges neugotisches Grabkreuz aus Sandstein. Neben diesen und vielen weiteren beeindruckenden Grabmälern, gibt es gleich vor dem Haupteingang des 200 Jahre alten Friedhofs einen weiteren Hingucker: Die Friedhofshalle, die vom Gelderner Architekten Josef Lemmen entworfen und 1968 fertiggestellt wurde – und nach der Sanierung 2016 bis 2018 im neuen Glanz erstrahlt. Erhalten blieben das prägnante herunter gezogene Dach und die wertvolle Bleiverglasung – „im Innenbereich ist man jetzt technisch auf dem neuesten Stand und kann auf alle Wünsche eingehen“, verkündet Michael Jeuken stolz.

Zum 200. Geburtstag hätte man sich vielleicht nicht unbedingt ein rauschendes Fest gewünscht – eine Feier, einen Gottesdienst, eine öffentliche Führung vielleicht schon. Bleibt nur die Empfehlung, dem Jubilar einfach mal einen Besuch abzustatten und im Stillen zu gratulieren. Mit Abstand und Corona-konform – versteht sich.

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