Trauma-Ambulanz: Das Leid der Opfer

KREIS KLEVE. Opfer haben es schwer. Sie werden nicht selten mehrmals geopfert: bei der Tat zuerst, dann (im Rahmen der Ermittlungen) bei der notwendigen Beschreibung dessen, was ihnen widerfuhr und schließlich bei einem Prozess, in dessen Verlauf sie dem Täter begegnen und wieder aussagen müssen.
Gut, dass es das Opferentschädigungsgesetz (OEG) gibt, das Opfern einer Gewalttat (und eventuell auch ihren Angehörigen – „German Wings Flug 9525“ und der „Breitscheidplatz“ wären Beispiele) Hilfe verspricht – Hilfe finanzieller und (häufig viel bedeutender) seelischer Art.

Geld repariert keine Seele

„Geld repariert keine Seele“, sagt Johannes Meurs, Opferschützer bei der Kreispolizeibehörde Kleve. „Wenn du mit Opfern zu tun hast, zählt vor allem eines: Vertrauen. Alle, die mit Opfern zu tun haben, brauchen vor allem eines: Konkrete Ansprechpartner. Eine Telefonnummer allein ist wenig wert, wenn du nicht weiß, wer dein Gespräch entgegennimmt. Es geht darum, konkret zu wissen, an wen du dich wenden kannst.“

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Anlaufstellen

„Gewaltopfer, Angehörige und Hinterbliebene können in Trauma-Ambulanzen schnelle psychotherapeutische Unterstützung erhalten“, heißt es auf einer Internetseite des Landschaftsverbands Rheinland (LVR). Hier findet sich auch eine PDF-Datei mit entsprechenden Anlaufstellen. Schaut man unter „Kreis Kleve“ nach, finden sich zwei Adressen: LVR-Klinik Bedburg-Hau, Grüner Winkel 8, und LVR-Klinik Bedburg-Hau (Sternbuschklinik), Nassauerallee 93-97). Zwischen der Kontaktaufnahme mit der Trauma-Ambulanz und dem Erstgespräch mit einem Psychologen sollten möglichst nicht mehr als drei Tage vergehen.

Möglichkeiten

Wie erfahren Opfer von den Möglichkeiten der Hilfe mittels des OEG? Conny Zander, Bewährungshelferin und in Kleve auch in der Zeugenbetreuung tätig: „Wenn ich auf Menschen treffe, die Opfer einer Gewalttat geworden sind, weise ich sie auf die Möglichkeit des OEG hin oder stelle gegebenenfalls den ersten Kontakt her. Da ist ja auf Seiten der Opfer sehr viel Unsicherheit im Spiel. Der Schritt, sich Hilfe zu suchen, ist für viele unglaublich schwer.“

Enorme Bedeutung

Auch Zander sagt: „Es geht in solchen Fällen um Ansprechpartner. Es reicht nicht, jemandem einfach einen Flyer oder eine Telefonnummer in die Hand zu drücken. Ich möchte sagen können: ‚Rufen Sie Herrn X an oder Frau Y. Ich kenne die. Denen können sie vertrauen. Die machen das gut. Die kümmern sich um Sie.‘ Das hat enorme Bedeutung für Menschen, in deren Leben fast nichts mehr normal ist.“

Sehr belastend

Auf der Internet-Seite des LVR heißt es weiter: „Das Erleben einer Gewalttat kann sehr belastend sein. Um schnell zu helfen, hat der Landschaftsverband mit mehreren Kliniken im Rheinland Verträge zur Einrichtung von Trauma-Ambulanzen abgeschlossen. Dort können Betroffene, wenn Sie einen Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz gestellt haben, zunächst fünf Stunden psychotherapeutische Beratung erhalten.“ In den Trauma-Ambulanzen kümmert man sich seit mehr als zehn Jahren um traumatisierte Opfer.

Der erste Schritt

„Der erste Schritt ist ungeheuer wichtig und sollte möglichst zeitnah vollzogen werden“, sagt Johannes Meurs. „Natürlich bin ich kein Profi in Sachen Psychotherapie, aber ich gehe mit dem Begriff Trauma vorsichtig um. ‚Trauma‘ heißt ja zunächst einmal: Da passiert etwas, mit dem du nicht gerechnet hast – etwas, das – salopp gesagt – die Kapazität deiner Festplatte übersteigt. Jeder Mensch reagiert anders auf so etwas. Wichtig aber ist, dass du dann auf jemanden triffst, der dich genau dort abholt, wo du stehst, der dich ernst nimmt mit deinen Problemen und Schwierigkeiten. Ich stelle immer wieder fest: Es geht um Vertrauen und darum, dass die erste Hilfe schnell kommt. Und natürlich sollte sie von Menschen kommen, die sich auskennen.“

Keine Überweisung

Weiter im LVR-Text: „Wenn ein weiterer Bedarf besteht, kann die Trauma-Ambulanz nach Zustimmung des LVR bis zu zehn weitere Stunden Akuttherapie anbieten. Darüber hinaus können Betroffene ein halbes Jahr nach Ende der Behandlung zur Nachsorge einen zusätzlichen Termin in der Trauma-Ambulanz wahrnehmen. […] Die Leistungen der Trauma-Ambulanz werden von den Vertragskliniken direkt beim LVR beantragt. Es ist keine ärztliche Überweisung erforderlich.“

Der Weiße Ring

Das klingt gut und Karl-Heinz Schayen, Leiter der Außenstellen Kleve und Wesel beim Weißen Ring sagt: „Unser Opferentschädigungsgesetz ist ein hervorragendes Instrument.“ (73 Opferfälle hat die Außenstelle Kleve des Weißen Rings im Jahr 2019 betreut. In 23 Fällen wurde ein OEG-Antrag gestellt, in weiteren 19 Fällen ein Hinweis auf die Möglichkeit eines Antrags gegeben.)

Recherchen

Beginnt man die Recherchen, taucht das „Aber“ immer wieder auf und mit dem Aber das Schweigen. Gespräche finden plötzlich nicht mehr an öffentlichen Orten statt. Namen müssen geändert werden. Man gewinnt den Eindruck: Es läuft nicht rund. Johannes Meurs: „Die Arbeit mit Opfern von Gewalttaten wird in ihrer Bedeutung häufig unterschätzt und von vielen nicht ausreichend wahrgenommen.”
Laura (Name geändert): „Mein Eindruck ist, dass bei der LVR-Klinik in Bedburg-Hau im Bereich Betreuung auf dem Gebiet Opfer von Gewaltverbrechen Expertise verloren geht. Ich kann mir vorstellen, dass, wenn du in der Trauma-Ambulanz anrufst, zwar jemand ans Telefon geht, aber du weißt halt nicht, wer das ist. Genau da liegt das erste Hindernis.“

Suboptimal

Googelt man „Trauma-Ambulanz Bedburg-Hau“, gelangt man (Stand 19. August, 16 Uhr) auf die Internetseite der LVR-Klinik.

Internetseite der Trauma-Ambulanz

So weit, so gut. Der Text auf der Seite beginnt folgendermaßen: „In der Trauma-Ambulanz werden Kinder und Jugendliche psychotherapeutisch versorgt, die aufgrund schlimmer und oft als lebensbedrohlich erlebter Ereignisse psychische Probleme und Störungen entwickelt haben.“ Ist man als erwachsenes Opfer einer Gewalttat auf der Suche nach Hilfe, ist dieser Text eher suboptimal.
Aktualisiert wurde die Seite zuletzt am 18. Februar 2020. Die aktuelle Fassung der Seite unterscheidet sich von einer Fassung vom 14. Juni 2018 (gefunden bei https://web-archive.org) nur durch einen Namen. 2018 wurden als zuständige Mitarbeiter „Frau Stempel“ und „Herr Conrad“ erwähnt, in der aktuellen Fassung findet sich nur noch „Herr Conrad“. Von erwachsenen Trauma-Patienten ist in beiden Versionen nicht die Rede. Ansprechpartner für Erwachsene fehlen.

Gegebenenfalls nachbessern

Anita Tönnesen Schlack ist seit vier Jahren die ärztliche Direktorin der LVR-Klinik in Bedburg-Hau. Auf die Internetseite der Trauma-Ambulanz angesprochen sagt sie: „Wenn das so ist, wie Sie es sagen, dann muss da natürlich ein zusätzlicher Hinweis eingefügt werden.“
Konkrete Ansprechpartner, so Tönnesen Schlack, gebe es durchaus. „Es gibt eine regelmäßige Zusammenarbeit auch mit dem Opferschutz und Herr Meurs kennt die entsprechenden Ansprechpartner in unserem Haus.“ Natürlich, so Tönnesen Schlack, gebe es in jedem Betrieb auch personelle Wechsel und damit Änderungen bei den Zuständigkeiten.
Dass drei Tage nach Kontaktaufnahme seitens eines Opfers ein Erstgespräch stattfinden solle, sei selbstverständlich bekannt, aber es sei nicht gänzlich auszuschließen, dass es hin und wieder zu einer Verzögerung kommen könne.
„Sollte sich herausstellen, dass wir nicht alle an uns gerichteten Anfragen ‚bedienen‘ können, werden wir – da können Sie sicher sein – in jedem Fall nachbessern. Wir sind uns der Verantwortung für unsere Patienten bewusst und leisten seit mehr als zehn Jahren gute Arbeit auf diesem Gebiet. “

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