Das Sofa-Gefühl auf der Bühne

Mattes Wissing ist Gitarrist aus Leidenschaft. Dass er eigentlich Matthias Wissing heißt, hat er wahrscheinlich längst nicht mehr auf dem Schirm. Wissing dürfte vielen durch die (Cover) Band Daddy Longleg bekannt sein, mit der er seit 1999 unterwegs ist.
„1999 haben wir in der Buchhandlung Dambeck in Emmerich unser erstes Konzert gespielt“, erinnert sich Wissing. Wie viele Auftritte er zusammen mit den beiden anderen aus dem Trio (das übrigens noch immer in der Ursprungsbesetzung zusammenspielt) absolviert hat, lässt sich wahrscheinlich nur schätzen. Die drei treten bei öffentlichen Konzerten auf, „aber in letzter Zeit werden wir immer häufiger auch privat gebucht“, erzählt Wissing.

Immer schon mal

Wissing lebt von und mit Musik, aber wichtiger noch: Er lebt für die Musik. „Ich wollte eigentlich schon immer auch mal ein Solo-Programm auf die Beine stellen“, verrät er im Gespräch mit den NN. Genau das hat er jetzt gemacht. „Chronik“ nennt er das Ganze. („Das Ganze“ besteht übrigens aus zweimal einer Stunde Musik.) Und warum heißt es Chronik? „Ich habe einfach mal meine ganz persönlichen Lieblingsstücke zusammengestellt.“ Das Ganze beginnt musikalisch in den 70-ern und endet im Heute. Gibt es keine Lieblingsstücke aus der Zeit davor? „Doch. Natürlich. Aber ich wollte mit der Auswahl dort beginnen, wo auch mein Bewusstein für Rock- und Popmusik beginnt“, erklärt Wissing. Er ist Jahrgang 1962. „Chronik“ ist somit auch ein Versuch, sich der eigenen musikalischen Vergangenheit zu nähern – sie zurückzuholen. Es geht um das Sofa-Gefühl. „Damals habe ich vom Lagerfeuer bis zu Auftritten mit verschiedenen Bands alles gespielt“, erinnert sich Wissing und fügt hinzu: „Am schönsten aber war es häufig, einfach mit der Gitarre auf dem Sofa zu sitzen und Stücke zu spielen. Ich habe mir gedacht, dass ich das gern auf die Bühne bringen möchte.“

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Die Qual der Wahl

Am schwierigsten ist es dabei, eine Auswahl zu treffen, denn Wissing könnte, wenn er wollte, weit mehr als nur zwei Stunden mit Musik füllen. In „Chronik“ spielt er übrigens auch Eigenkompositionen. Man erlebt also, wie ein Gitarrist mit der Musik und in die Musik wächst. Auf der Bühne: nicht viel Schnickschnack. „Ein paar Effektpedale, die ich mit dem Fuß bediene. Dazu – auch mit dem Fuß zu spielen – ein bisschen Rhythmus.“ Drei Gitarren, eine Box, ein Mikro, ein bisschen Licht. Fertig. Nicht zu vergessen, ein Tablet, das die Texte zur Verfügung stellt. (Da kommt ja in zwei Stunden schon ein bisschen was zusammen.) „Die Akkorde habe ich alle im Kopf“, sagt Wissing.
Und jetzt mal Butter bei die Fische. Was ist drin? Was nicht? „Es geht los mit Sweet und Slade.“ (Die Nachgeborenen mögen an dieser Stelle einfach mal googeln.) „Als ich anfing, Musik bewusst wahrzunehmen, gab es noch die ‚Diskothek im WDR‘ mit Mal Sondock. Und natürlich Ilja Richter.“ Auf Slade und Sweet folgten andere Zeiten und andere Töne: Genesis, Peter Gabriel, aber auch Rio Reiser, Supertramp und und und …
Was ist das erste Stück der Show? „Das wird ‚Jeans on‘ sein.“ Von wem? Erwischt. „Das kann ich jetzt nicht mal sagen. Das war auf jeden Fall ein One-Hit-Wonder. Deshalb fällt mir auch jetzt der Name nicht ein.“ Die Melodie schon: Wissing singt mal kurz die Melodie. (Zuhause schaut man‘s dann doch mal nach: David Dundas.) Das Ding atmet die Endsiebziger. Nette Musik.

Udo geht natürlich auch

Wissing hat übrigens auch keine Angst vor Stücken von Udo Jürgens. „Der hat tolle Musik gemacht und tolle Texte.“ Beim Heute ist die Auswahl nicht ganz einfach. Aber es findet sich was: Gregor Meyle – Keine ist wie du. Ein „Feuerzeugstück“.
Jetzt zum „eigentlich“. Eigentlich wollte Mattes Wissing die Premiere von „Chronik“ am 3. April im Schlösschen Borghees in Emmerich feiern. Abgesagt: Corona. Für den 15. Mai war ein Auftritt im „Scala“ im Wesel geplant. „Der wird ja wahrscheinlich auch ausfallen“, sagt Wissing. Immerhin: Im März 2021 ist ein Auftritt im Buena Ressa geplant. Könnte passen.
„Natürlich ist das mit den Absagen schade“, sagt Wissing, der seinen Lebensunterhalt mit Gitarrenunterricht verdient. „Wenn das nicht mehr geht, habe ich ein Problem.“ Ein bisschen was hat er zurückgelegt – für zwei Monate – das Eingemachte. 25 Schüler – „den Honorarausfall steckst du nicht mal eben weg“.
Wer sich für Wissing interessiert, sei auf die Homepage des Musikers verwiesen: www.matteswissing.de. „Da findet man auch Videos mit Ausschnitten aus dem neuen Programm.“ Aufgenommen im Musikkeller. Immerhin: Da kann Wissing arbeiten, egal was kommt.

Top 5

Jetzt mal ganz was Hartes: fünf Lieblingsstücke – jetzt und hier:
„Sledgehammer“ (Peter Gabriel), „For absent friends“ (Genesis), „Keine ist wie du“ (Gregor Meyle), „Wish you were here „ (Pink Floyd) … dann eine etwas längere Gedankenpause und „School“ (Supertramp). „In zwei Stunden würde ich wahrscheinlich schon wieder andere Stücke nennen. Das ist so verdammt schwer, alles auf fünf Titel zu reduzieren.“ Kommen denn alle diese Titel im Programm vor? „Nein. School mache ich nicht. Da kommt ein längeres Piano-Solo vor und es ergibt keinen Sinn, das wegzulassen.“ Man macht sich auf den Weg zu Youtube und lässt sich berauschen vom Gestern. Ja, „Chronik“ ist ganz bestimmt auch ein Aufbahren des Vergangenen, aber das wären Bach, Brahms und Beethoven auch. Es geht, auch für einen wie Wissing darum, das eigene Leben in den Tönen der anderen zu finden, unterzubringen und umzuinterpretieren. Nichts in unserem Kopf dockt so schnell ans Leben an wie Töne, die das Vergangene zum Film werden lassen.
Und wann ist Premiere? „Das ist eine Frage, die sich momentan nicht beantworten lässt. Ich hoffe, dass es nicht allzu lange dauern wird bis dahin. Ich sag Bescheid.“
Mit Daddy Longleg wird es übrigens wie gehabt weiter gehen. Hätte man „Chronik“ nicht auch mit der Band „auflegen“ können? „Nicht alles. Ich weiß ja, wie die anderen beiden ticken und da hätte es Stücke gegeben, über die wir hätten diskutieren müssen. Ist halt Geschmackssache. aber ich möchte eben die freie Entscheidung haben. Das hat mit der Band am Ende nichts zu tun“, sagt Wissing. Solo-Karrieren neben dem Band-Leben sind im übrigen ja nichts Neues.

Mattes Wissings Homepage

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