Auf unbestimmte Zeit

Frank Günzel ist Einrichtungsleiter und Geschäftsführer eines Betreuungs- und Pflegezentrums in Goch: Haus Am Heiligenweg. Der vergangene Freitag war für ihn ein „historischer Tag“.

Freitag, der 13.

„Unsere Einrichtung wurde 1994 von meiner Mutter begründet. Am Freitag, 13. März, um 14.30 haben wir im Rahmen der Corona-Vorsorge unser Haus geschlossen. Das war ein ziemlich eigenartiges Gefühl.“ Das Haus am Heiligenweg hat 81 Bewohner. Ein Kosmos. Eine Welt im Kleinen – eine Welt, die bis zum vergangenen Freitag durchlässig war. Menschen kamen zu Besuch, die Bewohner waren unterwegs. All das hat sich geändert.

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Erste Info

Als Frank Günzel am 27. Februar die erste „Info zum neuen Corona-Virus“ vom Verband Deutscher Alten und Behindertenhilfe (VDAB e.V.) bekam, war Corona irgendwie noch weit weg – eine Krankheit in China. „Bereits in dieser ersten Info war allerdings ein Entwurf für einen Notfallplan im Fall einer Pandemie enthalten“, erinnert sich Günzel. Dazu: die Hygiene-Tipps, die mittlerweile fast jeder kennt.
Am 11. März: die zweite Info vom VDAB. „Alle Infos waren immer auch mit vielen Links versehen“, sagt Günzel. Drei Buchstaben rückten Stück für Stück in den Mittelpunkt: RKI – das steht für das Robert Koch Institut.

Shutdown

Am vergangenen Freitag stellte Günzel dann ein neunköpfiges Notfallteam zusammen. Ein Notfallplan wurde ausgearbeitet. Um 14.30 Uhr am selben Tag dann der Shut-Down.
Die Bewohner vom Haus am Heiligenweg können seitdem keine Besucher mehr empfangen. „Drei unserer Bewohner befinden sich derzeit im Sterbeprozess und werden vom Palliativ-Netzwerk Niederrhein betreut. Wenn dann nächste Angehörige kommen möchten, ist das natürlich eine Ausnahmesituation“, sagt Frank Günzel.
Derzeit wird – viel mehr noch als sonst – dokumentiert. Wenn „Externe“ ins Haus kommen, muss abgefragt werden, ob sie innerhalb der letzten 14 Tage in einem Corona-Risko-Gebiet waren. Informationen darüber, was ein Risiko-Gebiet ist, ändern sich dabei laufend.

Keine Gottesdienste

Alle, die das Haus betreten, werden namentlich erfasst, die Uhrzeit wird festgehalten. Aber wer betritt denn nach dem Shutdown – abgesehen von den 65 Mitgliedern des Pflegedienstes und 20 weiteren Dienstleistern – die Einrichtung? Günzel: „Das können beispielsweise Ärzte sein oder die Leute vom Palliativ-Netzwerk Niederrhein.“ Katholische und Evangelische Geistliche, die sonst Gottesdienste im Haus abgehalten haben, gehören zu den Externen, für die momentan die Besuchersperre gilt.

Autark für drei Wochen

Und was ist mit Lieferungen? „Zu diesem Zweck haben wir eigens sogenannte Wirtschaftswege definiert.“ Wenn zum Beispiel Brot geliefert wird, fährt der Lieferant bis zu einem bestimmten Punkt, ruft dann an, stellt die Lieferung an einem definierten Punkt ab, wo sie dann von Mitgliedern des Teams abgeholt wird. Günzel: „Von den Lieferanten darf keiner mehr ins Haus.“
Wie sieht es mit Vorräten aus? Günzel: „Wir sind – abgesehen von ein paar Dingen, drei Wochen autark.“ Ein Problem: die Medikamente. „Normalerweise werden die wöchentlich verschrieben und abgeholt beziehungsweise geliefert.“ Günzel möchte auch da auf Nummer sicher gehen und einen Vorrat haben. Zu den Vorräten gehören nicht nur Lebensmittel. Es geht auch um Pflegemittel und alles, was sonst noch gebraucht wird.

Keiner weiß, wie lange es dauern wird

Wie nehmen die Bewohner den Zustand auf? „Am Freitag mussten wir schon viel erklären.“ Kontakt zur „Außenwelt“ findet für die Bewohner derzeit nur über Telefon oder Internet statt. Das Schlimme: Niemand weiß, wie lange dieser Zustand anhalten wird.
Franks Günzels Frau Britta, die auch zum Notfallteam gehört: „Man spürt, das alle noch näher zusammenrücken als das sonst schon der Fall war.“ Was würde eigentlich passieren, wenn jemand der Bewohner Symptome zeigt? Frank Günzel: „Für diesen Fall haben wir ein Krisenzimmer eingerichtet, indem der Bewohner dann bis zur Aufnahme in ein Krankenhaus bleiben kann.“ Und was, wenn es jemanden aus dem Team trifft? Auch daran muss natürlich gedacht werden. „Wenn wir jemanden mit entsprechenden Symptomen haben, wird er oder sie sofort freigestellt.“

Leiharbeiter für den Ernstfall

Längst hat Günzel Kontakt zu Leiharbeitsfirmen aufgenommen, die im Fall eines Falles geschultes Personal zur Verfügung stellen. Ausflüge in die Stadt, die sonst für viele Bewohner willkommener Teil der Abwechslung waren, können momentan – zumindest als Gruppenangebote – nicht stattfinden. „Da wäre das Risiko dann zu groß“, sagt Britta Günzel. Aber natürlich soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Bewohner nun allesamt eingesperrt würde. Apropos: Beliebt sind nach wie vor Ausfahrten mit einem der beiden hauseigenen Sprinter. Einfach mal eine Tour ins Blaue. Irgendwie auf ein Eis oder einen Kaffee anhalten ist allerdings nicht möglich.

Gute Zusammenarbeit

Günzel lobt audrücklich die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt und der WTG-Behörde, früher Heimaufsicht: „Ich habe da Ansprechpartner. Zur Not kann ich auch nachts anrufen. Das ist in einer solchen Situation natürlich besonders wichtig.“
Seit dem 16. März gibt es nun eine „Allgemeinverfügung“ des Kreises Kleve, bei der es um „Besuchseinschränkungen für vollstationäre Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der EingliederungshiIfe, in denen besonders
schutzbedürftige Personen leben sowie für anbieterverantwortete Wohngemeinschaften im Sinne des § 24 Abs. 3 – 5 Wohn-und Teilhabegesetzes“ geht. Neun Punkte sind dort aufgelistet.
1. Besuche sind ab sofort auf das Notwendigste zu beschränken; je Bewohnerin / je Bewohner im Regelfall eine Person je Tag. Die Besuche sollen maximal eine Stunde dauern. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind von der Einrichtung über persönliche Schutzmaßnahmen zu unterweisen und haben diese einzuhalten.

2. Gemeinschaftsaktivitäten mit Externen sind ab sofort untersagt.

3. Besuche haben nur noch auf dem Zimmer stattzufinden, nicht mehr in Gemeinschaftsräumen.

4. Die Zugänge in die Einrichtung sind zu minimieren. Es soll eine Besucher- und Mitarbeiterregistrierung mittels Register eingeführt werden. Die Erfassung stellt ein wichtiges Instrument für die Ermittlung von Kontaktpersonen zum Nachweis von Infektionsketten dar.

5. Personen, die sich innerhalb der letzten 14 Tage in einem Risikogebiet oder einem besonders betroffenen Gebiet entsprechend der jeweils aktuellen Festlegung durch das Robert-Koch-lnstitut (RKI) (https://www.rki.de/DE/Content/lnfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete.html) aufgehalten haben, dürfen für einen Zeitraum von 14 Tagen seit Rückkehr aus einem dieser Gebiete diese Einrichtungen nicht betreten.

6. Kontaktpersonen der Kategorien 1 und 2 (https://www.rki.de/DE/Content/lnfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Mana gement_Downtoad.pdf?_blob=publicationFile), dürfen die Einrichtungen nicht betreten.

7. Es können Ausnahmen für nahestehende Personen (z. B. im Rahmen der Sterbebegleitung) im Einzelfall unter Auflagen zugelassen werden.

8. Diese Allgemeinverfügung ist unverzüglich an allen Zugängen deutlich sichtbar auszuhängen.

9. Diese Einschränkungen gelten zunächst bis zum 19. April.
Was den Punkt 1 der Verfügung angeht, sieht Günzel allerdings ein zu hohes Risiko und möchte diesbezüglich noch Rücksorache mit den Behörden nehmen.

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