Wertlos, nur weil dem Jesuskind
ein Füßchen fehlt?

Eine Darstellung von Maria mit ihrem Sohn bringt Josef Pauls immer wieder dazu, seinen eigenen Standpunkt zur Kategorie Wert und Unwert zu überprüfen

KEVELAER. Der Heilige Josef hätte gerade in der Weihnachtszeit mehr Aufmerksamkeit verdient, meint Josef Pauls aus Kevelaer und erzählt darum folgende Geschichte. „Meine Großmutter väterlicherseits war eine fromme Frau. In keinem Jahr vergaß sie meinen Namenstag. Und in jedem Jahr gratulierte sie mir mit dem Zusatz: 19. März – Josef der Vater.

Diese Darstellung von Maria mit dem Jesuskind fasziniert und beeindruckt ihren Besitzer Josef Pauls seit seiner Kindheit. NN-Foto: Gerhard Seybert
Diese Darstellung von Maria mit dem Jesuskind fasziniert und beeindruckt ihren Besitzer Josef Pauls seit seiner Kindheit.
NN-Foto: Gerhard Seybert

Mein Vater hieß auch Josef, und da er außer mir noch drei Töchter hatte, war es für mich selbstverständlich, dass er am 19. März – Josef der Vater – Namenstag hatte. Aber ich mit meinen neun Jahren als Josef der Vater? An einem Freitagnachmittag kurz vor dem Weihnachtsfest nahm mein Vater mich mit zu einem Bildhauer, der über ihn häufig Holz bezog. Während die beiden Männer etwas besprachen, besah ich mir die Werkstatt mit den seltsamen Werkzeugen, mit den angefangenen und fertiggestellten Werken. Auf einer Fensterbank, umgeben von Töpfen und Flaschen mit Beizen und Leimen entdeckte ich sie. Sie war schöner als alle schönen Frauen, die ich in meinem jungen Leben gesehen hatte, mit langen, welligen Haaren, schlank in einem faltenreichen Gewand und mit einem lieblichen Gesicht. Auf dem Arm trug sie einen etwas molligen nackten Knaben. Ähnliche Figuren hatte ich schon gesehen und ich wusste sofort, dass hier eine Gottesmutter mit Jesuskind dargestellt war. Vorsichtig nahm ich sie mit beiden Händen und trug sie zu den Männern. Mein Vater sah mir wohl an, dass ich sie gerne behalten wollte und meinte liebevoll zu mir: „Sie wird wohl zu teuer sein.” Doch zu seinem Erstaunen und zu meiner Überraschung und wachsender Freude sagte der Bildhauer : „Du darfst sie mitnehmen. Sie will doch keiner mehr, weil sie beschädigt ist.” Ich muss ihn wohl verständnislos angeschaut haben, denn er erklärte mir geduldig, dass beim Jesuskind das rechte Füßchen abgebrochen und damit die Figur fast wertlos sei, und dass eine Reparatur sich nicht lohnen würde. Wertlos? Ich verstand die Welt nicht mehr. Was war mit den Menschen los? Sah denn keiner die Schönheit, die mich in den Bann geschlagen hatte ? Ich hielt die Figur ganz fest und legte sie im Auto auf meine Oberschenkel, sodass ich sie während der Rückfahrt gut betrachten konnte. Und in diesem Augenblick fühlte ich mich als Mann und Vater. Ich würde für die schöne Frau und ihr Kind der Beschützer und gut zu ihnen sein, auch und gerade weil dem Knaben ein Füßchen fehlte. Zum ersten Mal hatte ich eine Ahnung von dem, was meine Großmutter mit Josef der Vater meinen könnte. Diese Maria und ihr behindertes Kind, die niemand haben wollte, waren bei mir in den besten Händen. Ich fühlte mich als Stellvertreter des großen Heiligen, dessen Namen ich trug. Heute, mehr als fünfundfünfig Jahre später, steht die Gottesmutter mit dem Jesuskind auf meinem Schreibtisch. Sie erinnert mich immer wieder an meine schöne Kindheit und zwingt mich regelmäßig dazu, die Diskussion um Wert und Unwert von Dingen und Lebewesen aufmerksam zu verfolgen und meinen eigenen Standpunkt zu überprüfen”, so die Geschichte, die unser Leser Josef Pauls schrieb. Der gebürtige Weezer lebt seit vierzig Jahren in Kevelaer. Mehr als vierzig Jahre war er in Geldern und Walbeck als Grundschullehrer und Schulleiter tätig war. In seiner Freizeit schrieb und schreibt er auch Gedichte, Liedtexte und Geschichten.

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