Hausbesuch bei der Ex

KLEVE. Anreise ohne Blumen. Man schellt – es bellt. Ludos Stimme ist gewachsen: in den Bassbereich. (Ludo ist der Hund des Hauses – First-Dog bis vor kurzem und jetzt ein Hund wie andere auch.) Dann öffnet sie. Alles wirkt gelöst. „Gehn‘ wir in den Wintergarten?“ Warum nicht …? Die ersten Tage in Freiheit. Wie fühlt es sich an? „Toll“, sagt Sonja Northing. Seit November ist sie Kleves-Ex. Oder heißt es Exe? Egal.

Ein Hammerschlag?

War das wie ein Hammerschlag – auf einmal ohne Amt und Würden? „Ohne Amt vielleicht, aber ganz bestimmt nicht ohne Würde.“ Apropos Würde: Was würde die Northing denn tun in der Zukunft, wenn man sie fragen täte? „Erst mal sacken lassen. Mindestens bis zum Jahresende. Ich bin ja jetzt Pensionärin. Ach ja: Kaffee? Gin, wie gewünscht? Und oder?“ (Stimmt: Am Stichwahlabend hat man es nicht zum Termin geschafft. Die Welt gehört den Siegern.) Also bitte: Kaffee, schwarz und Gin. Ist ja Wochenende.

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Danke

„Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin S. Northing, leider haben sich nicht genug Bürger bei der Wahl 2020 für Sie als Bürgermeisterin entschieden. Weil ich Ihre Arbeit und Ihren Stil sehr geschätzt habe, habe ich häufig in Gesprächen für Sie und Ihre Arbeit Partei ergriffen. Für Ihren Einsatz für Kleve, letztlich für mich als Bürger, bedanke ich mich sehr herzlich. Ich kann sagen, Sie haben sich wirklich um Kleve verdient gemacht. Respekt! Danke!!!“
[Email an Sonja Northing nach der Stichwahl.]

Noch ungewohnt

Wie war das nun am ersten Tag nach den Amt? „Ich hatte bis zur Stichwahl Zeit, mich auf diese Situation vorzubereiten. Ein Hammerschlag war es also nicht. Vergangenheit ist nun mal nicht zu ändern.“ Aber: Irgendwann – einen kurzen Augenblick nur – ist Vergangenheit ja Gegenwart. Die Niederlage. „Ich hatte als Bürgermeisterin auch nicht immer Zeit, mich in Emotionen hineinzusteigern. Man macht etwas, und immer kommt gleich schon das Nächste.“ Und jetzt? „Jetzt habe ich Zeit. Das fühlt sich noch ungewohnt an, aber das Gefühl wird jeden Tag besser. Ich war und bin schnell im Verarbeiten von Dingen.“ Was sagt die Sonja-politica? „Das ist doch das Schöne an demokratischen Wahlen: Man bekommt ein Ergebnis und akzeptiert es. Natürlich habe ich mich am ersten Arbeitstag nach der Wahlniederlage – das war der Dienstag, denn am Montag hatte ich frei – sehr schwer getan, ins Rathaus zu gehen. Aber eigene Befindlichkeiten zu überwinden, gehört zum Bürgermeisteramt, da man sich dem Allgemeinwohl verpflichtet hat. Man kann das auch Professionalität nennen.

Zum Glück zwingen

Aber nun ist es vorbei. Man musste mich wohl anscheinend zu meinem Glück zwingen. Ich bin frei und ich muss mich nicht mehr aufregen. Wenn ich eines sehr deutlich spüre, dann ist es die Entlastuntg. Ich habe jetzt nicht mehr diese Verantwortung zu tragen. Nicht falsch verstehen: Ich habe das gern und aus voller Überzeugung getan, aber so, wie es jetzt ist, muss ich mich an die neue Situation gewöhnen. Anfangs habe ich natürlich gedacht: Was mache ich denn jetzt? Wo ist die Lebensaufgabe? Da haben alle gesagt: ‚Lass doch erst mal sacken.‘ Jetzt bin ich dabei, mich zu entschleunigen – alles erst einmal auf mich wirken zu lassen – und höre: ‚Aber du musst doch was machen. Du brauchst doch eine Aufgabe.‘ Antwort: Ich habe Zeit.“

Vorschwebezustand

Ja – man bildet sich ein, dass da eine Frau sitzt, deren Leben sich momentan in einem Vorschwebezustand befindet. Auch mit einem Monat Vormeditation und einer Woche Wirklichkeit, denkt man, lassen sich fünf Jahre nicht wegwischen wie Spinnweben. Auch Freiheit braucht Gewöhnung: Da muss eine zurückwachsen in ein Leben, das fünf Jahre lang fremdbestimmt war und das jetzt wieder ihr Leben ist. Ganz und gar. Wichtig war der Northing, auch das sagt sie, in ihrer letzten Ratssitzung nochmals den Heimatpreis und den Umweltpreis verleihen zu dürfen. Wie war das mit der Verabschiedung? Man habe sie, sagt die Northing, gefragt, ob sie eine Verabschiedung wolle. „Ich habe gesagt, dass ich nichts Großes möchte.“ (Also keinen Zapfenstreich? „Das habe ich nicht gesagt.“) Oft seien Verabschiedungen … nein, sie möchte diesen Gedanken nicht in der Zeitung lesen. Es sei richtig gewesen, in Bescheidenheit die Brücke zu verlassen – erst recht in Corona-Zeiten.

Kein Zapfenstreich

Und was ist mit den Gedanken von Werner Steinecke? Der hatte in einem Leserbrief geschrieben:
Mit, gelinde gesagt, Verwunderung habe ich den Rückblick von Sonja Northing auf ihre Zeit als BürgermeisterIn gelesen. Freundlich, besonnen und voller Nachsicht auf das manchmal tumultöse Geschehen hat sie reagiert. Dies hätte man der Verwaltungsspitze und den Fraktionen von CDU und Grünen auch gewünscht, als Frau Northing die für sie sicher nicht leichte allerletzte Ratssitzung leitete. Es gab einen Blumenstrauß von Petra Tekath (SPD) und das war‘s. Und selbstverständlich kein Wort von der Männerfronde Haas und Rauer. Als Theo [Brauer …] vor ein paar Jahren abtrat, gab es bundespräsidentenlike einen Zapfenstreich und Blaskapellen in der Stadt. […] Die Stadtführung in Kleve heute ist […] dabei, jeden Anstand und jede Höflichkeit und Anerkennung für die geleistete Arbeit und den Einsatz von Frau Northing zu vermeiden. (Aus einem Leserbrief von Werner Steinecke.)
„Das ist schon richtig, was Werner Steinecke geschrieben hat. Es ging ja um meine letzte Ratssitzung. Ja – ein Dankeschön – eine Würdigung von den anderen Fraktionen wäre schon schön gewesen. Außer der SPD hat sich niemand bedankt“, sagt die Northing und da schimmert in einem Sekundenbruchteil ihr Unverständnis für diese Art Umgang mit dem Amt, ihrer Person und Leistung durch.

Neue Gegenwart

Genug davon. Vorbei. Eine neue Gegenwart: „Es ist schon einfacher, sich plötzlich nicht mehr für alles interessieren zu müssen. Stopp – natürlich interessieren mich die Kolleginnen und Kollegen nach wie vor. Da sind ja auch persönliche Beziehungen entstanden und die werden auch weitergehen. Aber erst einmal habe ich mich in dieser ersten Woche zurückgehalten und mich nirgends gemeldet.“
Wenn jetzt jemand käme und um Rat fragte in Sachen Bürgermeisteramt – was wäre mitzuteilen? „Ich würde die Person erst einmal zu mir einladen – zu einem längeren Gespräch. Es wäre sehr wichtig, über die Motivation zu sprechen. Natürlich ist das sehr individuell, aber niemand sollte ein solches Amt aus finanziellen Erwägungen anstreben oder aus Machtinteresse. Nein – lassen Sie es mich so sagen: ich wäre dann nicht die richtige Ansprechpartnerin. Wenn jemand sich für Demokratie interessiert und zum Wohl einer Gemeinde arbeiten möchte, dann wäre ich eine Ansprechpartnerin. Als BürgermeisterIn musst du Interesse an allen Gebieten haben, führen können, Rechtskenntnisse mitbringen oder sie sich aneignen und: ein gutes Herz haben.“ Man denkt, dass hier nicht die Kardiologie gemeint ist. Und dann wieder auch doch. Der Job ist hart. Man muss wegstecken können. „So ein Amt ist natürlich auch eine Herausforderung für eine Beziehung. Der Partner muss das, was man da macht, natürlich mit tragen. Es ist natürlich auch gut, die gleichen Ideale zu teilen. Auch Partner müssen einiges aushalten, denn da taucht ja auch immer wieder der Name auf. Das muss man gemeinsam erfahren. Fest steht: An einer guten Beziehung muss jeden Tag gearbeitet werden. Genau das mache ich: Jeden Tag war und bin ich mit meinem Mann glücklich.“

Gesehen, gelesen, genehmigt: Kleves Ex-First-Dog Ludo. NN-Foto: Rüdiger Dehnen.

Freiheit braucht Gerüst

Und jetzt: die Freiheit. Braucht Freiheit ein Gerüst? „Auf jeden Fall. Eine Tagesstruktur ist wichtig. Ich könnte das auch nicht – einfach ohne Struktur drauflos zu leben. Das ist wichtig. Ich stehe wie gehabt jeden Morgen um halb sechs auf. Dann mache ich Frühstück. Danach wird mein Mann liebevoll geweckt. Jeden Tag bin ich nun im Wald unterwegs: spazieren gehen – sonstige Aufgaben gibt es genug. Ich kann jetzt auch endlich wieder mehr Zeit in Freundschaften investieren. Da gibt es einiges auf- und nachzuholen.“

Klimaschutz

Kann denn Sonja Northing sich vorstellen, demnächst wieder eine Aufgabe zu übernehmen? „Ja natürlich. Es ist ja kein tagesfüllendes Programm, hier die Bude aufzuräumen. Ich war ein Arbeitstier. Immer gewesen.Wenn ich mich engagiere, dann müsste es etwas Bewegendes sein. Menschen sind mir wichtig, die Demokratie zu stärken und die Umwelt zu schützen. Das ergibt Sinn. Wenn wir uns da nicht zusammentun und alle an einem Strang ziehen, dann müssen wir über andere Dinge nicht mehr reden.“

 

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