Han Groot-Obbink: „Es geht jetzt nur zusammen“

Han Groot-Obbink fordert im NN-Interview ein Gemeinschaftsgefühl. Der Niederrhein soll in diesem Jahr stärker promotet werden

NIEDERRHEIN. Für die gastronomischen Betriebe am Niederrhein ist die Zeit nach wie vor schwer. Sie haben mit einem drastischen Umsatzrückgang aufgrund der Coronavirus-Pandemie zu kämpfen. Han Groot-Obbink, Vorsitzender der Kreisgruppe Kleve des Deutschen Gaststätten- und Hotel-Verbandes (Dehoga), sprach mit NN-Redakteurin Sabrina Peters über die Hilfen der Regierung und der Kommunen, darüber wie die Gastronomie wieder gestärkt werden muss und welche Chance die Krise für den Niederrhein auch sein kann.

Han Groot-Obbink
Han Groot-Obbink hofft auf weitere Lockerungen. NN-Foto (Archiv): RD

Seit rund einem Monat dürfen gastronomische Betriebe nach dem Lockdown wieder öffnen. Wie waren die Rückmeldungen der Gastronomen dazu?
Han Groot-Obbink: Als die Meldung kam, dass gastronomische Betriebe wieder öffnen dürfen, war im ersten Moment die Freude darüber groß. Die Betriebe waren froh, dass sie wieder etwas tun konnten, Gäs­te empfangen durften und es endlich wieder etwas gemütlich werden durfte. Allerdings gab es auch von Anfang an Bedenken: Wie sieht es aus, wenn anderthalb Meter Sicherheitsabstand gewährleistet werden muss? Wie viele Leute dürfen noch an einem Tisch zusammensitzen? Wie sehen die konkreten Regeln aus? Was darf und was darf nicht? Welche Maßnahmen müssen dafür getroffen werden? Das war am Anfang nicht direkt deutlich.

-Anzeige-

Die gastronomischen Betriebe konnten die Auflagen letztendlich aber gut erfüllen.
Groot-Obbink: Für die Unternehmer bedeutete das zwar extra Arbeit und weitere Investitionen bei damals kaum Einnahmen, aber sie haben es geschafft. Viele haben aber das Gefühl, dass sie nun als eine Art Polizist agieren müssen. Statt einer freundlichen Umarmung zur Begrüßung, wie es für viele Gastronomen einfach dazugehört, müssen sie jetzt darauf achten, dass die Sicherheitsabstände eingehalten werden oder dass die Bedienungen und auch der Gast auf dem Weg zum Tisch oder zur Toilette einen Mundschutz tragen. Das war am Anfang alles noch etwas fremd. Aber das hat sich jetzt nach einem Monat eingespielt. Unternehmer und Gäste haben sich daran mittlerweile gewöhnt.

War die Resonanz aus der Bevölkerung auf die Wiedereröffnung groß?
Groot-Obbink: Nein, die Menschen sind noch enorm verhalten. Wir sind noch lange nicht wieder dort, wo wir vor Corona waren. Zum Restaurant-Besuch oder zu einer Kneipe gehört die Gemütlichkeit. Dazu müssen aber auch viele Leute zusammen sein. Ein Abstand ist immer kühl. Wir konnten jedoch froh sein, dass an Pfingsten das Wetter gut war. Die Außengastronomie wurde dadurch sehr stark genutzt.

Viele Städte und Gemeinden haben bereits angekündigt, den Gastronomen in diesem Jahr die Gebühren für die Außengastronomie zu erlassen und auch die Flächen auszuweiten. Ist das bereits eine Hilfe?
Groot-Obbink: Ja, auf jeden Fall. Wir können dadurch die Terrassen erweitern und den nötigen Sicherheitsabstand zwischen den Tischen einhalten. Das hat bereits einen sehr schönen Effekt gehabt. Auch dass auf Gebühren verzichtet wurde, war gut und wichtig. Es war auch wichtig, dass die Politik Signale abgegeben und den Unternehmern damit gezeigt hat, dass sie gehört werden und nicht alleine sind.

Die Große Koalition hat beschlossen, den Umsatzsteuersatz für die Gastronomie von 19 auf 16 Prozent und den ermäßigten Steuersatz von sieben auf fünf Prozent ab dem 1. Juli bis zum 30. Juni 2021 zu senken. Reicht das?
Groot-Obbink: Es ist bereits hilfreich, aber es ist schade, dass das zeitlich befristet ist. Wir vom Verband kämpfen ohnehin schon jahrelang darum, dass der Umsatzsteuersatz gesenkt wird. Wir schauen dabei auch auf die Länder um uns herum. In den Niederlanden, Belgien oder Frankreich sind die Steuersätze schon seit vielen Jahren auf viele Sachen niedriger als bei uns. Deutschland hat im Bereich der Gastronomie einen der höchsten Steuersätze. Die Umsatzsteuer für Hotellerie ist bereits vor einigen Jahren auf sieben Prozent gesenkt worden. Wir kämpfen darum, dass das auch im Bereich der Gastronomie hoffentlich bald passieren wird. Eine weitere Krux an der Sache ist aber, dass der Bäcker beim Verkauf eines Brötchens nur sieben Prozent Umsatzsteuer zahlen muss, wenn der Kunde das Brötchen mitnimmt. Verzehrt er es aber im Café, muss der Bäcker 19 Prozent Umsatzsteuer zahlen – obwohl es dasselbe Brötchen ist.

“Das Konjunkturpaket ist nicht ausreichend”

Welche weiteren Signale wünschen Sie sich von der Regierung?
Groot-Obbink: Das zuletzt beschlossene Konjunkturpaket der Regierung ist nicht ausreichend, da es nur einem Teil der Betriebe überhaupt zur Verfügung steht und nur bis Ende August läuft. Da wird die Krise aber noch nicht vorbei sein. An dieser Stelle muss nachgebessert werden – für alle Betriebe, unabhängig von der Größe und den Umsatzverlusten. Wir brauchen eine Hilfe mindestens bis zum Jahresende.

In ganz Deutschland sagen Gastronomen, dass die Situation für sie nach wie vor existenzbedrohend ist. Wie sieht es am Nieder­rhein aus?
Groot-Obbink: Ganz genauso. Alle Betriebe haben immer noch teilweise enorme Umsatzeinbußen. Viele Gastronomen sind in der Zeit der Schließung zwar kreativ geworden und haben zum Beispiel einen Abhol- und Lieferservice ins Leben gerufen. Aber wenn – so wie zurzeit – ein Restaurant mit 100 Sitzplätzen nur noch mit 30/35 Sitzplätzen besetzt werden darf, dann bekommen viele Gastronomen Probleme. Das kann momentan fast kein einziger Betrieb tragen. Ein Rettungsfonds der Regierung ist deshalb wirklich notwendig. Dabei muss ich allerdings erwähnen, dass ich wirklich positiv überrascht war, wie schnell das beantragte Kurzarbeitergeld bei den Unternehmen angekommen ist. Es war nach zwei bis drei Wochen da. Das hatte ich nicht erwartet. Es hilft den Unternehmern jedoch enorm weiter, denn die Ausgaben laufen ja weiter.

Wie blicken Sie der Zukunft entgegen?
Groot-Obbink: Das größte Problem, das ich sehe, sind unsere Mitarbeiter. Im Moment können wir sie noch mit 60 Prozent Kurzarbeitergeld nach Hause schicken. Aber das ist keine Lösung für die Zukunft. Wenn die Regeln so bleiben, müssen wir unser Mitarbeiter-System überdenken. Denn wir werden viel weniger Mitarbeiter brauchen. Das Kurzarbeitergeld wird es aber ja nicht ewig für sie geben. Was passiert etwa nach einem Jahr? Im Moment haben wir nicht für alle eine Arbeit, wenn es so bleibt.

“Jeder Gastronom nimmt seine Pflichten sehr ernst”

Sie sagen, dass viele Bürger zurzeit unsicher sind, ob sie ein Restaurant besuchen sollen und dass immer noch das Vertrauen in einen solchen Restaurantbesuch fehlt. Ist diese Sorge berechtigt?
Groot-Obbink: Nein. Jeder Gastronom nimmt seine Pflichten sehr ernst. In Deutschland haben wir ohnehin bereits die höchsten hygienischen Standards. Darauf können wir auch sehr stolz sein. Zudem wird alles dafür getan, dass ein Restaurantbesuch so sicher wie möglich ist. Es werden Kontaktdaten aufgenommen, um jeden Gast im Falle einer Infektion benachrichtigen zu können. Darüber hinaus tragen Service-Kräfte einen Mund-Nasen-Schutz und desinfizieren sich regelmäßig die Hände.

Was müssen Gäste zurzeit beim Restaurantbesuch beachten?
Groot-Obbink: Ein spontaner Restaurantbesuch ist momentan nur schwer möglich. In vielen Restaurants muss man einen Tisch reservieren. Manche Unternehmer arbeiten sogar mit bestimmten Zeitfenstern, in denen sie einen Tisch vergeben, da sie einfach nur sehr begrenzt Leute gleichzeitig bewirten dürfen. Zusätzlich müssen Gäste ein Formular ausfüllen und ihre Kontaktdaten angeben. Darüber hinaus muss der Gast für den Weg zum Tisch und zur Toilette einen Mundschutz tragen. Am Tisch darf er aber abgenommen werden. Somit kann er also weiterhin gemütlich am Tisch essen – lediglich die Bewirtung dauert vielleicht manchmal etwas länger. Außerdem dürfen mittlerweile wieder bis zu zehn Menschen – auch außerhalb eines Hausstandes – an einem Tisch sitzen. Das war auch wichtig, da so wieder mehr Leute gleichzeitig bewirtet werden können. Es wäre wichtig, dass in nächster Zeit auch wieder Geburtstage oder Hochzeiten in etwas größeren Gruppen gefeiert werden können.

Wie können Gäste Gastronomen jetzt unterstützen?
Groot-Obbink: Sie müssen einfach wieder Restaurants besuchen, sonst werden nicht alle Betriebe die Zeit überleben. Wichtig dabei wird aber auch sein, dass möglichst viele Menschen ihren Arbeitsplatz behalten. Denn nur so haben sie Geld zur Verfügung, dass sie in einen Restaurantbesuch investieren können. Ich bin aber davon überzeugt, dass bei vielen Menschen das Vertrauen in einen Restaurantbesuch in nächster Zeit wieder zurückkommen wird. Nach der langen Zeit wollen viele ja nun auch endlich wieder raus und einen geselligen Tag oder Abend mit Menschen in Restaurants oder Kneipen verbringen.

In Kalkar hat der Werbering eine Aktion gestartet, dass ältere Gutscheine pro 15 Euro Gutscheinwert um fünf Euro aufgestockt werden. Gibt es weitere, ähnliche Aktionen am Niederrhein?
Groot-Obbink: Viele Städte und Gemeinden organisieren zurzeit Aktionen, um die Gastronomie-Betriebe zu unterstützen und damit auch ein Signal zu setzen. Sie haben erkannt, wie wichtig das jetzt für die Gastronomie ist. Man muss jetzt nicht mehr in Problemen, sondern in Lösungen denken und voraussehen. Es wird wichtig sein, dass man jetzt in den Städten wieder anfängt, kleinere Veranstaltungen zu organisieren, mit denen auch die Gastronomie unterstützt wird. Zum Beispiel könnte man auf dem Kalkarer Marktplatz eine Bühne aufbauen, auf der Musiker spielen können. Davon würden alle Restaurant-Betreiber am Marktplatz profitieren. Für einzelne Restaurants sind solche Auftritte von Künstlern dagegen nur schwer alleine zu stemmen. Ihnen fehlt der Platz, aber in diesen Zeiten auch das Geld dafür.

Welche Vorhaben haben Sie noch für die Zukunft, um die Gastronomie wieder zu stärken?
Groot-Obbink: In Kalkar sind wir gerade dabei, eine Art Städtetour mit den kleineren Ortschaften und Vereinen zu organisieren. Dabei soll auch die Gastronomie integriert werden, damit die Teilnehmer dort anhalten und konsumieren können. Wichtig dabei ist auch, dass wir wieder das Gemeinschaftsgefühl in den Städten stärken. Es geht jetzt nur zusammen. Wir müssen uns jetzt alle mehr zusammentun und sagen: Wir sind die Gastronomie von Kleve, Kalkar, Straelen, Kreis Kleve oder vom Niederrhein. Darin liegen auch Möglichkeiten.

Für viele fällt der Urlaub im Ausland in diesem Jahr coronabedingt aus. Ist das auch eine Chance für den Niederrhein?
Groot-Obbink: Auf jeden Fall. Wir haben so viele tolle Städte und Gemeinden. Wir leben da, wo viele andere Urlaub machen. Das vergessen wir viel zu oft. Wir haben zwar keine großen Berge, aber wir haben tolle Wander- und Fahrradrouten. Deshalb wollen wir nun auch das Knotenpunktsystem des Kreises Kleve für Fahrradtouren weiter nach vorne bringen und zeigen, wie abwechslungsreich der Nieder­rhein ist. Man kann in Rees oder Emmerich Schiff fahren, Xanten oder Kevelaer haben wundervolle Innenstädte und wir haben wundervolle Baggerseen in Kessel, Wissel oder Xanten. Wir werden in diesem Jahr unsere eigene Region noch mehr promoten, als wir das in den vergangenen Jahren gemacht haben. Darin steckt definitiv auch Potenzial, von dem wir profitieren können.

“Wir müssen unsere regionalen Produkte mehr vermarkten”

Auch kulinarisch hat der Niederrhein einiges zu bieten.
Groot-Obbink: Absolut, und unsere regionalen Produkte müssen wir viel mehr vermarkten. Wir haben so viele schöne Obstplantagen, Erdbeer- oder Spargelfelder. Das ist so eine tolle Umgebung, wenn man die besucht, fühlt man sich wirklich wie im Urlaub. Ich glaube auch, dass die wenigsten wissen, wie so eine Obstplantage aussieht. Diese sollten sich in diesem Sommer viel mehr Leute einmal anschauen und sich erklären lassen, wie der Anbau funktioniert.

Der Sommer ist ja auch die Zeit des Schlemmen und des Genießens: Wie wird das aus Ihrer Sicht in diesem Jahr aussehen?
Groot-Obbink: Das liegt vor allem daran, welche Regeln kommen werden. Wenn es weitere Lockerungen gibt, werden die Gastronomen sofort darauf reagieren und wieder Veranstaltungen organisieren. Denn zum Schlemmen und Genießen gehört die Geselligkeit. Gastronomen wollen das wieder in die Hand nehmen und etwas tun. Dafür muss das Gesellige aber wieder zurückkommen. Das geht nur durch weitere Lockerungen. Den Menschen würde das so viel Positives zurückgeben.

Vorheriger ArtikelKessel: Wohnhaus-Anbau brannte komplett aus
Nächster ArtikelAktueller Stand der Corona-Fälle im Kreis Wesel