NIEDERRHEIN. „Justiz sucht nach Schuld und Unschuld – das Publikum nicht selten nach Schwarz und Weiß, Gut und Böse. Aber was, wenn die Welt ist, wie sie ist? Regenbogengrau. (…) Manches Urteil lässt einen mehr oder weniger rat- und rastlos zurück. (…) Und dann sind da die Tage, die Vertrauen schenken…“ NN-Redakteur Heiner Frost schreibt seit 15 Jahren Gerichtsreportagen. 2017 erschien unter dem Titel „Am Ende der Zweifel“ eine erste Sammlung seiner Gerichtstexte. Jetzt legt er mit „Gerichtigkeit“ eine weitere Auswahl vor. „Es gibt eigentlich nichts, was es nicht gibt“, sagt Frost.

Entsprechend vielschichtig ist das kompakte Taschenbuch, das soeben in der edition anderswo erschienen ist. 33 Prozesse, 174 Seiten und thematisch ein Querschnitt dessen, was sich tagtäglich (sicher nicht nur) vor dem Klever Amts- und Landgericht abspielt. Für Frost wichtig: „Man darf bei der Berichterstattung bestimmte Grenzen nicht überschreiten.“ Bewusst verzichte er auf Namen und je nach Anklage auch auf die Ortsmarke. „Ich möchte weder den Angeklagten, noch dessen Familie, Freunde oder Nachbarn in die Öffentlichkeit zerren“, sagt Frost. Wo andere Journalisten früher schon mal Wetten abschlossen, wie das Urteil wohl ausfallen wird, zog er sich zurück. „Man darf nie vergessen, dass es hier um Menschen, um Schicksale, geht“, sagt er. „Natürlich machen mich manche Dinge wütend, aber es ist nicht meine Aufgabe, eine Entscheidungen zu fällen.“

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Seine Meinung: Eine objektive Berichterstattung ist nur möglich, wenn man subjektiv damit umgeht. Und: Jede Geschichte sei auf der Suche nach dem richtigen Erzählton. Das stößt natürlich nicht immer auf Gegenliebe. Die Reaktionen auf seine Artikel fallen durchaus auch mal negativ aus. Doch mit Kritik kann Frost umgehen und sie auch annehmen. Was ihm häufig schwerer fällt, ist der Umgang mit dem Erlebten. „Ich nehme jeden Fall mit nach Hause, bringe ihn zu Papier – und versuche dann, ihn loszulassen“, sagt er. Doch das gelinge nicht immer. Vieles sei „schwer auszuhalten“. „Ich habe nicht generell Mitleid mit den Tätern oder empfinde Sympathie für die Opfer, aber ich höre gut zu und möchte den Hintergrund verstehen“, sagt Frost, der jahrelang die „Jaily News“, die Gefangenenzeitung der Klever Justizvollzugsanstalt, betreut hat. Er kenne also auch die „andere Seite“ und sei dadurch womöglich sensibilisiert.

Vielleicht auch deshalb setzt Frost stets auf das Komplettpaket. Nur zum Auftakt und zur Urteilsverkündung? Das macht Frost nicht. „Den kompletten Verlauf der Verhandlung zu verfolgen, das ist mir sehr wichtig. Auch, wenn das sehr zeitaufwändig und anstregend sein kann. Ich schreibe nicht alles auf, aber die komplette Geschichte zu hören, ändert ja auch das Denken“, sagt er.

Wer „Gerichtigkeit“ zur Hand nimmt, sollte keinen Voyeurismus erwarten. Dafür reicht die Sammlung von schräg (wenn es etwa um dem Tod eines „Filmhuhns“ geht) über lehrreich (wenn man erfährt, warum ein signiertes Bild zur Urkunde wird) bis bedrückend (wenn ein Angeklagter ständig seinen Kopf bewegen muss, weil „sie“ ihm Zement in den Hals gegossen haben). Jeder Prozess – ein Blick in die Gesellschaft. Und manchmal auch wie eine Wundertüte. Da wird aus einem Fall, der vor dem Amtsgericht verhandelt und deswegen nur mit dem Stichwort „Betrug“ angekündigt wird, plötzlich eine ganz große Nummer. „Ich frage mich, weshalb nicht viel mehr Menschen ins Gericht gehen“, sagt Frost. Oder man nimmt das Buch zur Hand. Sagt die Redaktion.

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