Verkehrsunfallstatistik der Kreispolizeibehörde

KREIS KLEVE. Wie schön, denkt man: Im Radio sprechen sie in den Nachrichten von einem historischen Tief. Gemeint ist nicht das Wetter – gemeint sind die Unfallzahlen des vergangenen Jahres im Land Nordrhein-Westfalen. Nie hat es so wenig Tote (458) gegeben. Es sind 32 weniger als im Jahr zuvor.

Ein Unfallbericht

12. Oktober 2020, 15.50 Uhr, Emmerich am Rhein-Vrasselt, Reeser Straße (L 7): Eine 32-jährige Emmericherin befuhr mit ihrem Opel Corsa die Reeser Straße aus Richtung Praest in Richtung Emmerich. Mit ihr im Auto saßen ihre drei Kinder, ein sechs Monate alter Säugling und die zwei Töchter, drei und sechs Jahre alt. Kurz vor dem Ortseingang Vrasselt geriet die 32-Jährige aus bisher ungeklärter Ursache auf die Gegenfahrbahn und stieß dort frontal mit einem Krankentransportwagen zusammen, der in Gegenrichtung unterwegs war. Trotz Vollbremsung und dem Versuch auszuweichen war es dem 58-jährigen Fahrer des Krankenwagens nicht gelungen, den Zusammenstoß zu verhindern. Der sechs Monate alte Junge verstarb trotz Reanimationsversuchen noch vor Ort. Die 32-jährige Fahrerin sowie die beiden anderen Kleinkinder erlitten schwerste und lebensbedrohliche Verletzungen und wurden, teilweise mit Rettungshubschrauber, unterschiedlichen Spezialkliniken zugeführt. Der 58-jährige Fahrer des Krankenwagens erlitt leichte Verletzungen. Der tragische Verkehrsunfall hat für die junge Familie weitreichende Konsequenzen. Die junge Mutter und ihre mittlerweile vierjährige Tochter liegen – sechs Monate nach dem Unfall – immer noch in einer Bochumer Spezialklinik.(Aus einem Polizeibericht.) Es fühlt sich anders an, wenn Statistiken an Geschichten andocken und leblose Zahlen zu Erzählungen werden.

-Anzeige-

Ein Minus und ein Aber

Es ist der Tag der Bekanntgabe der Verkehrsunfallstatistik der Kreispolizeibehörde Kleve. Achim Jaspers, Leiter der Direktion Verkehr, hat auch ein Minus zu verkünden: 12,7 Prozent weniger Unfälle als im Jahr 2019. Man atmet auf. Eine Schrumpfung von 9.740 auf 7.897. Dann das Aber. Im Jahr 2019 starben 15 Menschen auf den Straßen im Kreis Kleve. Im Jahr 2020 waren es 17. Das schmerzt. Trotzdem muss man betonen, dass der Grenzbereich zwischen schweren und tödlichen Verletzungen immer auch ein Produkt von „Zufällen“ ist. Trotzdem: Am Ende bleiben Zahlen. Aus 15 Toten wurden 17. Es gibt kein Tippex für Zahlen wie diese. „Bei den Unfallursachen weit vorn rangieren ‚Vorfahrt und Abbiegen‘. Drei Motorradfahrer kamen im vergangenen Jahr ums Leben. Bei der Rekonstruktion des Unfallgeschehens stellte sich in allen Fällen heraus, dass es sich um Abbiegeunfälle handelte“, sagt Jaspers. Das sagt noch nichts darüber aus, wer beim Abbiegen wen übersehen hat.

Trostpflaster

Vielleicht ist es an der Zeit für ein „Trostpflaster“ – eine gute Nachricht. Jaspers: „Die Zahl der verunglückten Kinder ist von 138 im Jahr 2019 auf 98 im Jahr 2020 zurückgegangen.“ Das ist mehr als eine statistische Schwankungsbreite. So klingen gute Nachrichten. Kaum etwas allerdings ist ohne ein Aber zu denken. „Den Rückgang bei diesen Zahlen müssen wir im Corona-Zusammenhang sehen“, sagt Jaspers. Gemeint ist die Tatsache, dass im Lockdown weniger Kinder auf dem Schulweg waren.
Deutlich gestiegen ist (leider) die Zahl der verletzten Rad- und Pedelecfahrer. Landrätin Silke Gorißen: „Eine Zahl, die mich zum Nachdenken anregt, ist die Anzahl der verunglückten Pedelecfahrer.“ 68 waren es 2019 – ein Jahr später hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Ein Radfahrer und eine Pedelecfahrerin wurden tödlich verletzt. Allein bei den Pedelecfahrenden stieg die Zahl der Verletzten von 18 auf 38. Jaspers: „Die Gesamtzahl der verunglückten Radfahrenden ist um 51 gestiegen. Das entspricht einem Plus von 15 Prozent. Dazu kommt, dass die Radfahrenden bei der Zahl der Verunglückten weiterhin überproportional hoch vertreten sind.“ (Im Jahr 2020 waren es 29,6 Prozent, ein Jahr zuvor 25,4 Prozent.)
Kann man die steigende Verunglücktenzahl mit einem vergleichbaren Mehr an Pedelec-Käufen in Relation bringen? Jaspers: „Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, denn uns liegen keine Zahlen darüber vor, wie die Zahlen für verkaufte Pedelecs im Kreis Kleve im vergangenen Jahr aussahen. Es gibt da bestenfalls bundesweite Zahlen.“

3.144 Verstöße

Bei den „Kontrollen im täglichen Dienst“ wurden 2020 3.144 Verkehrsverstöße von Radfahrern festgestellt.
Jaspers: „Dabei waren unter anderem das Benutzen des falschen Radwegs, das Fahren ohne vorgeschriebene Beleuchtung und besonders das Missachten von Verkehrszeichen (unter anderem Vorfahrtsregelung sowie das Nutzen elektronischer Geräte wie Smartphones in fast 700 Fällen) Hauptgründe für ein polizeiliches Eingreifen.“
Was für Verkehrsteilnehmer, die sich mit dem Auto bewegen, zum Selbstverständlichen gehöre, schienen dieselben Menschen, wenn sie aufs Rad steigen, nicht selten auszublenden, so Japsers.

Unfallfluchten

Ein weiterer „Posten“ in der Statistik: Unfallfluchten. Insgesamt 1.629 registrierte Unfallfluchten fanden 2020 statt. Bei 1.538 handelte es sich „nur“ um Sachschäden. Die Aufklärungsquote beim Thema Unfallflucht liegt insgesamt bei 44,50 Prozent. Bezogen auf die Unfälle mit Personenschäden liegt die Aufklärungsquote der Unfallfluchten bei 7.250 Prozent.

Maxime

Manche mögen denken, dass Zahlen – hat man nur genug davon – irgendwann abperlen. Das stimmt nur dann, wenn man die Zahlen von den Geschichten abkoppelt. Verkehrsteilnahme bedeutet, sich so zu verhalten, dass andere heil ankommen. Wenn das zur Maxime würde, ist jeder auch in der Zielmenge aller anderen enthalten. Wer sich ausschließlich um die eigene Sicherheit sorgt, hat alle anderen nicht auf dem Plan.

Vorheriger Artikel7-Tage-Inzidenz im Kreis Wesel sinkt auf 50,2
Nächster Artikel7-Tage-Inzidenz im Kreis Kleve sinkt leicht auf 98,3