Sommer an der Côte d‘Azur: Tom Cox konnte während der ersten Monate seines Frankreich-Aufenthalts noch viele Ausflüge unternehmen und hat in dieser Zeit viele schöne Orte besucht und Freundschaften geschlossen.

NIEDERRHEIN. So hatte sich Tom Cox seine Auszeit eigentlich nicht vorgestellt. Nach dem Abitur wollte der 18-jährige Straelener ins Ausland – in erster Linie, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Denn im nächsten Jahr wird er wieder die Schulbank drücken und International Business studieren. Im Juli konnte er trotz der Corona-Pandemie seine Reise nach Nizza antreten. Aktuell weiß er allerdings nicht, ob er in den nächsten Tagen seine Sachen packen und frühzeitig wieder abreisen muss.

„Die ersten zwei, drei Monate waren es in jedem Fall wert“, bereut Tom seine Entscheidung keineswegs. Dabei war bis zuletzt nicht klar, ob das Praktikum in einem französischen Hotel im Südosten des Corona-gebeutelten Landes wirklich würde stattfinden können. Erst Mitte Mai kam die definitive Zusage, Anfang Juli ging es für den jungen Abiturienten los. „Als ich im Sommer dort angekommen bin, war ich überrascht“, blickt Tom zurück. An der französischen Riviera stand die Hochsaison vor der Tür, von Abstands- und Hygieneregeln schienen die Franzosen zu diesem Zeitpunkt wenig zu halten. „Eine Maskenpflicht gab es nicht und die Bars und Restaurants waren gut gefüllt“, sagt Tom.

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Tom Cox bei seiner Arbeit an der Hotelrezeption in Nizza.
Fotos: privat

Das änderte sich allerdings schon im August, als die Zahl der mit Covid-19 Infizierten wieder zunahm. Plexiglasscheiben und Desinfektionssprays wurden installiert, etwas später auch die Maskenpflicht vorgeschrieben.
Im Oktober kam die Ausgangssperre. Nach 21 Uhr sollte sich niemand mehr ohne Grund draußen aufhalten. Trotz der Maßnahmen nehmen die Neuinfektionen zu. Gestern waren es über 58.000 innerhalb von 24 Stunden. Mehr als 39.000 Menschen sind in Frankreich bereits im Zusammenhang mit dem Virus gestorben.

Landesweiter Lockdown

In der vergangenen Woche trat wegen dieser dramatischen Entwicklung erneut ein landesweiter Lockdown in Kraft. Bis zum 1. Dezember müssen Restaurants, Bars und alle nicht unentbehrlichen Geschäfte schließen. Die Franzosen dürfen ihre Häuser nur noch aus zwingenden Gründen verlassen, etwa um zur Arbeit oder zum Arzt zu gehen. Die von der Regierung geforderte Verlängerung des Gesundheitsnotstands bis zum 16. Februar 2021 wurde am Dienstag abgelehnt. Aktuell sieht es so aus, dass er zum 14. Dezember aufgehoben wird.

Eine Bescheinigung von seinem Arbeitgeber trägt Tom immer bei sich. Allerdings nützt ihm das gerade wenig, denn seit gestern ist auch das Hotel geschlossen. „Wir wissen nicht, ob es im Dezember wieder öffnen kann. Vielleicht kurz vor Weihnachten, über die Feiertage. Es kann aber auch sein, dass es in diesem Jahr gar nicht mehr auf macht“, schildert Tom die Situation. Schon in den letzten Wochen habe sich abgezeichnet, dass es wirtschaftlich kaum noch Sinn machte, den Hotelbetrieb aufrecht zu halten. Das Restaurant war bereits geschlossen, die Auslastung lag bei knapp einem Fünftel. Zuletzt war es unter zehn Prozent.

Angespannte Stimmung

Andere Praktikanten haben bereits ihre Koffer gepackt. Sie werden in den nächsten Tagen die Heimreise antreten. Tom weiß noch nicht, ob er sich anschließen wird. Denn auch die WG, in der Tom mit anderen jungen Leuten untergebracht ist, wird aufgelöst. Nun hofft Tom, die letzten Wochen – offiziell würde sein Praktikum Anfang Januar enden – bei französischen Freunden unter zu kommen. „Es würde mir schließlich nichts bringen, wenn ich alleine wohne und nicht vor die Tür komme“, erklärt er. Schließlich sei er in Frankreich, um die Sprache zu sprechen. Hinzu kommt, dass die Stimmung in der fünftgrößten Stadt Frankreichs ohnehin gerade auf ihrem Tiefpunkt angekommen zu sein scheint. „Die Menschen hier sind sehr angespannt. Es ist eine schwere Zeit“, sagt Tom. Es war am 29. Oktober, ein Tag nach Emmanuel Macrons Ankündigung, erneut den Lockdown auszurufen, als ein islamistischer Attentäter in der Kirche Notre-Dame-de-l’Assomption in Nizza drei Menschen getötet und mehrere weitere verletzt hat.

An diesen Morgen kann sich Tom noch sehr genau erinnern. „Diese Basilika befindet sich auf der gleichen Straße wie das Hotel, in dem ich arbeite, etwa fünf Minuten zu Fuß entfernt“, sagt er. Tom hatte Dienst, stand wie meist hinter der Rezeption und kümmerte sich um die (wenigen) Gäste. „Meine Chefin ging kurz raus, um sich einen Kaffee zu holen und kam ganz aufgelöst zurück.“ Zunächst war nicht klar, ob der oder die Täter noch in der Gegend waren. Alle hatten Angst. Man fühlte sich an den Terroranschlag vom 14. Juli 2016 erinnert. Damals, am Nationalfeiertag, fuhr ein Islamist in Nizza mit einem LKW in eine Menschenmenge und tötete 86 Menschen.

Im Oktober diesen Jahres, nur zwei Wochen vor dem Messerangriff, wurde bei Paris der Lehrer Samuel Paty von einem jungen Tschetschenen angegriffen und enthauptet, weil er umstrittene Mohammed-Karikaturen im Unterricht gezeigt hatte. „In Frankreich ist man sich der Terror-Gefahr sehr bewusst. Es gehört hier zum Alltag dazu“, weiß Tom. Kein anderes europäisches Land wurde in den vergangenen Jahren so oft Schauplatz von Terrorakten. Seit 2015 sind insgesamt 270 Menschen in Frankreich bei islamistischen Attentaten getötet worden. „Diese Anschläge führen auch dazu, dass rechtspopulistische Parteien stärker werden“, sagt Tom. Marine Le Pen vom Rassemblement national sprach bereits von einem „Krieg“ und auch die konservativen Républicains drängen nun auf einen neuerlichen sicherheitspolitischen Ausnahmezustand, der gewisse Grundrechte außer Kraft setzt.

Tom möchte sein Zeit
trotzdem nicht missen

Missen möchte Tom seine Zeit in Frankreich trotzdem nicht. „Ich habe unglaublich viel gelernt und meinen Horizont immens erweitert“, sagt der 18-Jährige. Immerhin war er das erste Mal allein unterwegs und auf sich selbst gestellt. „Gerade in den ersten Wochen bin ich viel herumgekommen und habe dabei auch viele tolle Menschen kennen gelernt“, sagt er. Daraus seien auch Freundschaften entstanden. „Für mich war es in jedem eine Erfahrung, auf die ich nicht verzichten möchte“, steht für Tom fest. Und auch, wenn er bald wieder in Richtung Heimat aufbrechen müsste, ist er zuversichtlich, dass er seine Pläne für das kommende Jahr nicht aufgeben muss. „Ich halte jetzt gerade Ausschau nach Möglichkeiten, weitere sechs Monate ins Ausland zu gehen.“ Dann soll es in den englischsprachigen Raum gehen. „Mein Studium beginnt schließlich erst im Sommer“, sagt er. Aufgeben kommt für ihn jedenfalls nicht in Frage.

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