Bockwurstvariationen im Kurhaus

Kein Appetit

„Besser vorher gut gegessen“, möchte man Besuchern des Museums Kurhaus Kleve raten, wenn sie sich nächstens zur neuen Ausstellung auf den Weg machen.
Mit leerem Magen könnte der Besuch zur Versuchung werden. Wer möchte sich schon im Aggregatszustand „Hunger!“ mannshohen Knackwurstabbildungen aussetzen? Gleich zwei der Räume im Untergeschoss auf dem Weg zur großen Wandelhalle sind ganz und gar „verwurstet“. Man muss standhaft bleiben.

Mehr als Spielerei

Der uns dies beschert, ist der amerikanische Künstler Lucas Blalock. Und nur um dem allzu dunklen Ahnungen vorzubeugen: Der Mann hat mehr zu bieten als nur Bockwurstvariationen. Was Blalock im Kurhaus aufgebaut hat ist seine erste große Einzelausstellung in Europa. Blalock hat den Laden übernommen und so viel sei gesagt: Es handelt sich um eine freundliche Übernahme. Da lotet einer Grenzen aus. Es sind die Grenzen der Fotografie. Blalock findet dabei zu einer Fotografie, die Eingriffe sichtbar macht. Blalock geht so: Man muss die Realität (was ist das schon? ) nicht so lassen wie vorgefunden. Nun gut – diese Idee ist nicht neu, aber die Art, wie Blalock sich von den Vorgaben des Realen löst, um sie im nächsten Augenblick auszustellen, als seien sie das Wirkliche, ist mehr als eine Spielerei. Ist das Dadaismus mit der Kamera? Vielleicht. Wer will das sagen? Mit Schubladen hantiert, wer hilflos ist oder etwas zu beweisen hat.

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Copy and paste

Blalocks Kunst kommt nicht daher als wolle sie etwas beweisen. Sie lässt Zusammenhänge entstehen, die man vorher nicht gedacht hatte. Gut – das ist auch mit realistischer Fotografie zu erreichen. Blalocks Bilder sparen allerdings nicht an einer ironisch kommentierenden Note. Er entstellt ein Gesicht, indem er es mit „copy and paste“ aus sich selbst neu zusammenaddiert. Auf einem dreistockwerkhohen Bild glaubt man Brechts Augen zu erkennen – eigentlich ist es der Haarschnitt. Am Ende spielt es keine Rolle, ob‘s der Berthold ist.
Auf anderen Bildern schweben Schnurrbärte durchs Reale – Schnurrbärte, wie Scherzkekse sie auf Wahlplakate malen. Und siehe da: Nebenbei erfährt man von Kuratorin Susanne Figner, dass Blalock Fan von allerlei lustigen Menschen ist. Jacques Tati gehört dazu. Buster Keaton auch. Na bitte – da ist einer nicht mit der Kunst zum Ewig-Ernsten geworden.
Im Begleittext liest man, dass der Blalock sich mit … genau: Brecht und dessen Verfremdungstechnik, (die sich freilich aufs Theater bezog) befasst und auseinandergesetzt hat. Eigentlich ist es nicht so sehr eine Auseinander- als eine Zusammensetzung. Und noch etwas erfährt man: Auf jeder Bildrückseite („Das würden Sie normalerweise gar nicht sehen!“, sagt die Kuratorin) – auf jeder Bildrückseite gibt es ein weiteres Bild. Heimlich ist es da. Twee halen, een betalen, denkt man.

Fake News

Eigentlich wär‘s ja ein Geheimnis. Aber was ist schon geheim in einer Welt wie der unseren? Blalocks Bilder sind, um in dieser Welt zu bleiben, irgendwie Fake News mit Ansage. „Wenn du‘s glaubst“, scheint da einer zu sagen, „wenn du‘s glaubst, kann ich auch nichts machen.“
Vielleicht ist, was wir gezeigt und somit zu sehen bekommen, ein Kaleidoskop der Unmöglichkeiten, die sich vom Realen weggelebt haben und nun ein eigenes skurriles Dasein führen. Insofern ist die Knackwurstinvasion des Anfangs ein schönes Entree: Auf- und Abreger, Vor- und Nachspeise, An- und Abturner. Blalock jedenfalls hat das Kurhaus übernommen und: er macht Gefangene. Zwei Dinge sind wichtig: Man muss die Bereitschaft mitbringen, sich fesseln zu lassen und: Die Handschellen allerdings muss man selber mitbringen.

Museum Kurhaus im Netz

 

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