Vom großen Tanz des Lebens

Die Szenerie war vorgedacht: Yvonne Campbell Körner auf einem Stuhl auf leerer Bühne: Tatort Theater. Öffentliches Nachdenken über die Faszination der Bühne. Dann die Geschichte … Pustekuchen. Wirklichkeit trifft ein …

Schottland, Jamaika – Duisburg.

Fangen wir mit den Basics an? Yvonne Campbell Körner (YCK), Jahrgang 1952. Geboren in? „Schottland.“ Aha. Das erklärt den englischen Tonfall im ersten Teil des Namens. „Mein Vater war Jamaikaner“, beginnt YCK. „Er war Arzt.“ Später erfahre ich: Clifford Campbell, der Großvater, war der erste schwarze Gouverneur von Jamaika. Geburtsland Schottland, also. „Ja, aber wir waren da nicht lange“, sagt YCK und meint sich und die Mutter. Die Ehe der Eltern scheitert. Die Mutter geht zurück nach Deutschland: Duisburg. Man schreibt die frühen 50-er.

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„Negernegerschornsteinfeger!“

„Ich wurde damals vor allem als dunkelhäutig gelesen“, erinnert sich YCK. Die Volksschulzeit: Eine Leidenszeit. „Negernegerschornsteinfeger!“ – das riefen die Kinder. „Das Ruhrgebiet als Schmelztiegel der Nationen – das kam erst später.“ Ein anderes Deutschland?

Kinder sollen nichts kosten

YCK‘s Mutter heiratet wieder. Der Pflegevater: ein Weltkriegstraumatisierter. „Nach der Volksschule sollte ich aufs Gymnasium. Ich hatte zumindest eine Empfehlung.“ Aber: „Kinder sollten nichts kosten.“ Also: kein Gymnasium. Stattdessen: Realschule. Mittlere Reife. Ausbildung zur Arzthelferin. Dann: Arbeit in einer großen Praxis in Düsseldorf. Die Diskriminierungen lassen nach. „Aber es passierte noch lange, dass Menschen mir in die Haare griffen und sagten: ‚Darf ich mal anfassen?‘ Wenn ich heute mit dem Hund spazierengehe, fragen die Leute manchmal: ‚Darf ich den streicheln?‘ Der Unterschied: Sie fragen erst und streicheln dann. Bei Tieren funktioniert das.“

Sprachlos

Man spürt wie sich im eigenen Kern eine Sprachlosigkeit in Stellung bringt. „Irgendwann hältst du das für normal. Du hast ja nie etwas anderes erlebt.“ Da sitzt man – belagert von Unfassbarkeit. Es sollte doch um Theater gehen.

The normal one

Ein Brückenschlag: „Ich hatte in meiner Düsseldorfer Zeit eine Freundin, die unterrichtete Theaterpädagogik. Bei der war ich zweimal die Woche zum Schauspielunterricht. Das war aber nicht Einzelunterricht. Wir waren eine Gruppe. Und all das war ja damals mein Hobby. Tagsüber war ich weiterhin als Arzthelferin in der Praxis.“ „You should have studied medicine“, sagt YCK‘s Vater, als sie ihn mit 40 auf Jamaika besucht. („Du hättest Medizin studieren sollen.“) YCK in einer freien Theatergruppe. „Damals wollte niemand zur Schauspielschule. Schauspielschulen waren irgendwie suspekt. Heute ist das anders: Heute wollen viele zur Schauspielschule.“ YCK hatte nichts übrig für das Ausgeflippte. „Ich war irgendwie normal“, sagt sie und irgendwie denkt man an Klopp, Jürgen Klopp: „I‘m the normal one.“

Am besten ohne Foto

YKC heiratete, brachte drei Töchter zur Welt. „Dann ging mein damaliger Mann berufsbedingt nach Kleve. Ich ging mit.“ Das Ziel: Arbeit in einer Arztpraxis. „Ich hatte fantastische Zeugnisse“, sagt YCK. Mittlerweile war die Mitte der 90-er erreicht. Ein Job in einer Arztpraxis sollte kein Problem sein, denkt man. „Auf die Bewerbungen, die ich mit Bild abgeschickt habe, bekam ich keine Antwort. Dann wurde ich zu einem Gespräch in eine Praxis eingeladen. Denen hatte ich kein Foto geschickt und im Vorfeld klang alles irgendwie gut.“ Als YCK dann zum Gespräch erscheint, ist die Sache schnell erledigt.

Regie im Niemandsland

„Ich habe dann in einer Hotelbar gearbeitet und in einem Call-Center.“ Und das Theater? „Das kam 1998. Da bin ich über einen VHS-Kurs, den Harald Kleinecke leitete, wieder zum Theater gekommen.“ Und wie das so ist: Man kommt ins Gespräch. YCK erzählte Kleinecke von ihrer theatralen Vergangenheit. „Der Harald arbeitete damals an einem Solo. Das Stück hieß Niemandsland. Er hat mich dann gefragt, ob ich Regie führen würde.“ Rückkehr des Theaters. Rückkehr ins Theater. Theater der Rückkehr. Neuealte Heimat. Theater im Fluss.

Von der Pike auf

„Bei Harald habe ich Theaterpädagogik von der Pike auf gelernt“, blickt YCK zurück. „Ich habe dann am ‘Off Theater’ in Neuss eine Ausbildung zur Tanzpädagogin gemacht. Danach wollte ich mich selbständig machen.“ Es kam anders: YCK stieg beim Theater im Fluss ein, übernahm Kurse: Ausdruckstanz. Und Theater. „Momentan gibt es leider keine Interessenten für Kurse mit Ausdruckstanz“, sagt YCK. Tanz ist YCK’s große Liebe.

Theaternachwuchs

Sie leitet zwei Theaterkurse: einer ist für 6 – bis 10-Jährige, der andere für 11- bis 13-Jährige. „Ich sorge für den Theaternachwuchs“, sagt sie. Im Mai  (4. und 5. Mai, jeweils um 16 Uhr) wird es mit den 11- bis 13-Jährigen eine Aufführung geben. Das Stück heißt „Reines Herz???“ YCK hat es zusammen mit den Jugendlichen entwickelt.

Summertime

Und zum Jahresende: „Summertime“ – ein Solo von YCK. Es geht um ihr Leben – ihre Erfahrungen. Die Wechselwirkung von Theater und Wirklichkeit – das eine aufgeladen mit dem anderen: das Theater als Lebenskonsequenz. „Summertime“ – man denkt an Porgy und Bess. „Ja – da setzt der Titel an und ich werde bei dem Solo dieses Stück singen“, erzählt YCK. Irgendwie hat man den Eindruck als brächte da jemand die Ernte ein. YCK lädt in ihr Leben ein: Berührtwerden für Fortgeschrittene – so viel steht fest. „Summertime“ wird keine Komödie. Es wird die Reise in ein Leben – das Aufdecken von Mechanismen, die jemand aushalten muss, der „als anders gelesen wird“.

Andere Vorzeichen

Man kehrt zurück an den Anfang: Es sollte eine Theatergeschichte werden – eine mit anderen Vorzeichen. Zurück bleiben Sätze: „Wenn ich mit dem Hund unterwegs bin, fragen die Leute schon mal, ob sie den streicheln dürfen. Sie fragen zuerst. Dann streicheln sie. Wenn dir jemand auf der Straße in die Haare fasst, funktioniert das anders. Frage und Berührung finden gleichzeitig statt. Manchmal denke ich: das ist nicht mal böse gemeint“, sagt YCK, aber am Ende solcher Gesten herrscht eine unfassbare Distanzlosigkeit. „Ich habe früher einmal gedacht, das sei normal – durch meine Töchter habe ich begriffen: Das ist es ganz und gar nicht.“ Eine Idee entsteht: Mail an den Fotografen: Das Foto von YCK in Schwarzweiß. Bitte. Es geht um die Ahnung vom Eigentlichen; um das Hineinsehen.

Zurück bleiben Bilder und Eindrücke von Inszenierungen, bei denen YCK als Regisseurin verantwortlich war. Da liegt ihr Wesenskern: gestalten, einfühlen, ausdrücken. YCK setzt Energie frei: positive Energie. Ein Leben außerhalb des Windschattens. Gibt es eine Botschaft? Es gilt, den Mensch als Mensch zu lesen – unabhängig von Hautfarbe und Herkunft. Ein Leben als Ausdruckstanz …

Lebensbewegungen

Zurück in die Theaterwelt – zurück zu einer YCK, die Musik liebt. Immer geliebt hat. Und damit auch den Tanz. Für die Produktion von „Salome“ beim Theater im Fluss hat YCK mit der Darstellerin der Salome Tanzen geübt. Ein Leben wird zur Bewegung. Zur Geste. Am Ende die Erkenntnis: Man ist in ein Leben eingetreten, in dessen Zentrum das Theater regiert. Erfahrungen werden zu theatralen Botschaften. Man geht beschenkt nach Hause. Summertime.

Salome Aufführungstermine beim Theater im Fluss

 

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