NIEDERLANDE. Schon bei der Anreise wird klar: Viel weiter südlich geht‘s nicht, wenn man Lust auf eine Auszeit an der niederländischen Nordseeküste hat. Hier, in West-Zeeuws-Vlaanderen, ist man irgendwie immer am Wasser – und irgendwie auch immer in der Nähe der belgischen Grenze. Orte wie Cadzand, Breskens, Aardenburg oder Sluis sind auf Besucher aus Deutschland eingestellt. Dennoch geht es hier noch etwas beschaulicher zu als andernorts in der Provinz Zeeland. Hier lockt die Natur mit alten Polderwegen, hohen Deichen, weitläufigen Naturschutzgebieten und endlosen Stränden.

Der 2022 eröffnete Park Waterdunen lockt Touristen – und das zu jeder Jahreszeit. (NN-Foto: vs)

Die Landwirtschaft hat in West-Zeeuws-Vlaanderen immer eine große Rolle gespielt. So wie das Wasser, das immer näher rückt. „In den letzten 500 Jahren sind in Zeeland rund 120 Dörfer verschwunden“, weiß Bart Groot. Der Ruheständler engagiert sich ehrenamtlich im Naturschutzgebiet Waterdunen (www.hetzeeuwselandschap.nl/natuurgebieden/waterdunen) und erklärt Besuchern, was die Politik unternimmt, um die Region zu schützen. „Als das Projekt vor etwa 25 Jahren angedacht wurde, gab es heftigen Widerstand von Seiten der Bauern“, erzählt Bart. Doch zumindest diese Wogen sind längst geglättet, denn der erst 2022 eröffnete Park, an dessen Rand ein großer Campingplatz entsteht, lockt Touristen – und das zu jeder Jahreszeit. Rund 14 Kilometer Wanderwege und mehrere Vogelbeobachtungsstationen stehen hier bereit.

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Bart Groot ist einer der Freiwilligen, die durch das Naturschutzgebiet Watendunen führen. (NN-Foto: vs)

Wenn es auf See stürmisch wird (Deich und Strand sind in Sichtweite) kann durch eine Schleuse Wasser auf die Grünflächen abfließen. Gräben und Seen mit Süßwasser stellen die Bewässerung sicher. Zugleich wird getestet, wie man das Salzwasser wirtschaftlich nutzen kann. Zudem ist die Westerschelde eine der meistbefahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt. Und wenn die ganz großen Containerschiffe Antwerpen ansteuern, dann zieht dieses Spektakel stets viele Schaulustige an. Bart weiß um den ständigen Konflikt zwischen Naturschutz und wirtschaftlichen Interessen. „Die Fahrrinne soll nochmal um zwei Meter tiefer ausgegraben werden“, sagt er. „Das ist für das Ökosystem nicht gut.“

Kräuterkunde mit Ingrid

Ingrid Vanbrabant kennt sich aus in der Natur. (NN-Foto: vs)

Eine, die sich in der Natur ebenfalls gut auskennt, ist Ingrid Vanbrabant. Sie bietet auf ihrem Ferienhof „Het Kulderzipke“ (www.kulderzipke.nl) in Retranchement Führungen und Workshops an. Im Sommer lädt sie regelmäßig vom Campingplatz in Groede aus zu Strandspaziergängen ein. „Dann erzähle ich von den Muscheln, von den Pflanzen, die in den Dünen wachsen und vom Leben am und mit dem Meer“, sagt Ingrid, die eigentlich Physiotherapeutin ist, sich mit Het Kulderzipke aber einen Herzenswunsch erfüllt hat. In Gent hat sie alles über Kräuterkunde gelernt. Sie weiß, was gut fürs Herz ist, was gegen Blasen an den Füßen hilft und wie man Babys beim Zahnen unterstützt. Ingrid zeigt, was man bedenkenlos am Wegesrand pflücken und snacken kann und wie sich mit den Gaben aus der Natur Schmackhaftes herstellen lässt. Süße Marmeladen aus Löwenzahn oder Hagebutten, würziges Pesto aus Schafgarbe oder Kaffee aus Chicorée – Ingrid gibt ihr Wissen gern weiter. „Für mich ist es wichtig, dass die Menschen die Natur anschließend mit anderen Augen sehen“, sagt sie.

Kürbisse in allen Farben und Formen

Für Kürbis-Fans ist „Charlottes Pompoenen“ ein Muss. (NN-Foto: vs)

Ein Naturprodukt der besonderen Art, dass man nur im September und Oktober „erleben“ kann, findet man in Ijzendijke bei „Charlottes Pompoenen“ (www.charlottespompoenen.nl). „Das ist schon speziell“, weiß Charlotte, die vor einigen Jahren von Trockenblumen auf außergewöhnliche Kürbis-Sorten umgestiegen ist. Mehrere tausend Kürbisse von rund über bauchig bis stachelig kann man bei einem Gang über den „Kürbispfad“ entdecken. Man staunt über Liköre, Kuchen und Pralinen auf Kürbis-Basis und erfährt, wie aufwändig die Kürbis-Zucht ist und dass rund 95 Prozent ihrer Kürbisse auch essbar sind.

Rezept-Routen

Marcin Beaufort hat verschiedene Genussrouten zusammengestellt – inklusive Rezepte. (NN-Foto: vs)

Ess- und vor allem genießbar sind viele weitere Produkte aus der Region. „Wir haben hier alles, was man braucht“, weiß Marcin Beaufort. Als Koch hat er 20 Jahre lang überall auf der Welt die Gaumen der Gäste verwöhnt. Nun hilft er, zurück in der Heimat, bei der Vermarktung regionaler Erzeugnisse. „Heute möchten die Leute wissen, wo das Gemüse oder das Fleisch, das auf ihrem Teller landet, herkommt“, sagt Marcin. Auf lokale Produzenten zu setzen und saisonal zu kochen, sei nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch gesünder und nicht so teuer. Der Gourmet und passionierte Radfahrer hat verschiedene Routen (www.kooplokaalzeeuwsvlaanderen.nl) von der Häppchen-Tour über Zwiebelsuppe bis zum Spargel-Gericht zusammengestellt. Auch wer Lust auf Pfannkuchen hat, erradelt sich die Zutaten auf einem rund 25 Kilometen langen Rundkurs: Die Eier gibt’s am kleinen Stand bei D’Hont in Groede, das Mehl beim 22 Jahre jungen Nachwuchs-Müller Thijs Groosmann in der Molen Nieuwvliet und frisch gezapfte Milch im Hofladen De Heerenhoeve. Wenn man schon mal vor Ort ist, sollte man hier auch eine der (vom Sohn des Hauses) kreierten Eissorten probieren. Zu empfehlen ist unbedingt das Roseneis. Es wird aus Blüten hergestellt – und natürlich wohnt der Rosenzüchter gleich nebenan.

Bier-Tasting bei Dutch Bargain

Stylisch und lecker: In der Brauerei Dutch Bargain gibt es ein wechselndes Angebot an schmackhaften Bieren. (NN-Foto: vs)

Auch in Sachen Flüssig-Nahrung hat die Region West-Zeeuws-Vlaanderen einiges zu bieten. Da gibt es zum Beispiel die Brauerei Dutch Bargain (www.dutchbargain.com) in Groede. Als sie vor zwölf Jahren angefangen haben, war es für Marc Menue, Stijn Jordans and Thibo Baccarne noch ein Hobby, heute stellen sie rund 25.000 Hektoliter Bier im Jahr her, haben ihr Portfolio um ein Lokal und Standorte in Belgien erweitert. „2017 haben wir einen World Beer Award für unser Ale bekommen – das hat uns einen ordentlichen Schub gegeben“, sagt Marc. Er sagt auch: „Die großen Gläser haben wir extra für die Gäste aus Deutschland besorgt – die Deutschen trinken lieber daraus.“ Dabei haben es viele der Sorten faustdick hinter den Ohren und reichen mit ihrem Alkoholgehalt locker an Liköre heran. Dem Slogan „Niemals langweilig“ entsprechend, reichen die Geschmacksrichtungen von herber Grapefruit oder süßer Passionsfrucht über Koriander oder Tonkabohne bis Kaffee und Vanille. „Unser Bierbrauer Thibo ist ein echter Künstler“, weiß Marc. Das gilt auch für die Köche, die dafür sorgen, dass die Gäste beim Bier-Tasting eine ordentliche Grundlage haben. Einige Zutaten baut Marc in seinem Garten an. „Es gibt hier in Groede aber auch einen Gemeinschaftsgarten – und der Überschuss landet ebenfalls bei uns“, setzen auch Marc und seine Mitstreiter auf saisonale Produkte aus der Region.

Veldzicht: da ist der Name Programm. Ferienhäuser im Grünen findet man in West-Zeeuws-Vlaanderen ganz bestimmt. (NN-Foto: vs)

Ein Besuch in West-Zeeuws-Vlaanderen bietet sich rund ums Jahr an und es gibt sicher noch viel mehr zu entdecken – und genießen. Das Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten reicht vom Campingplatz über Ferienwohnung oder B&B bis zum Hotel. Wer es gern ruhig mag, kann etwa bei Sacha und Roger abschalten und Natur pur genießen. Bei “Veldzicht” (www.veldzichtvakantiewoningen.nl) ist der Name Programm und gleich hinter den schmucken Ferienhäuschen wohnen die Schafe Max und Lex, die sich gern streicheln lassen. Zudem werden hier Kochkurse (natürlich mit Produkten aus der Region) angeboten. Einen guten Überblick und viele weitere Aktivitäten, Locations und Kontakte findet man unter www.gastvrijzeeuwsvlaanderen.nl/de.

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