Exkursion ins Kleingedruckte

KLEVE. Was macht ein Museum spannend? Rhetorische Frage? Eher nicht, denn die einen sagen so und die anderen …

Die Mischung macht’s

Für Harald Kunde, Direktor des mkk (Museum Kurhaus Kleve) ist es die Mischung: „Natürlich könnten wir uns darauf beschränken, wechselnde Präsentationen unserer Sammlung zu zeigen, aber das allein ist es nicht. Es kommt auf eine wohldosierte Mischung aus Erwartbarem und Überraschungen an.“

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Was zu erwarten war

Erwartbar im mkk wären beispielsweise Mataré und das Frühwerk von Beuys. „Das gehört zum Kanon des Hauses. Menschen kommen unter anderem, um eben das zu sehen“, sagt Kunde. Aber – und jetzt kommen gigantische Gänsefüßchen – nur Beuys und Mataré zu zeigen, würde eine Lücke entstehen lassen. Es würde das Überraschungsmoment fehlen. „Dieses Überraschungsmoment kommt von den Wechselausstellungen“, erklärt Kunde.

Scheinbar wenig

Ein Who is Who der aktuellen Präsentation.

Wer derzeit das mkk besucht, sieht nur scheinbar ‚wenig‘. Die Ausstellung ‚Hausputz‘ ist in ihrem optischen Angebot überschaubar. Es geht um andere Dinge. In den Räumen des ehemaligen Archivs zeigt Kunde Werke aus der Sammlung. Der Effekt, der entsteht, wenn man durch die fast leeren Räumen zur Sammlungspräsentation kommt, ist irgendwie berauschend, denn was Kunde ausgesucht hat, ist hochkarätig. Namen wie Warhol, Christo, Uecker, Richter, Ruff, Gursky, Fries, Blalock tauchen auf und garantieren für ein irgendwie rauschhaft beschwingtes Sehen: Kunst einatmehn – das scheint die Devise einer Zusammenstellung, deren Rhythmus und Austarierung einfach stimmig ist.

Mehr als an der Wand hängt

Viele der Arbeiten sind Erinnerungserwecker – man sieht mehr als an der Wand hängt: Man denkt sich zurück in Vergangenheiten – manche unmittelbar, andere nahe am Vergessenskrater. Man denkt: Die Sache mit der Mischung bezieht sich nicht nur auf Sammlung und Wechselausstellung – sie ist für jede Präsentation gültig. So flaniert man durch die Räume, taumelt von einem Hochgenuss zum nächsten, fühlt sich wie beim Sonnenbaden und genießt das Hinsehen in vollen Zügen.

360-Grad-Erleben

Es ist ja nicht das Sehen allein – es ist ein 360-Grad-Erleben, das die Ebenen aufmischt. So wunderbar kann Museum sein, denkt man und könnte einen weiteren Tauchgang unternehmen: Mataré und Mittelalter ohne Sauerstoffgerät. Man schnorchelt durchs Haus und passiert Beuys‘ Hoch-Tief-Relief „Justitia“ und lernt, dass es sich um eine Auftragsarbeit für das Oberlandesgericht in Düsseldorf handelt, „die jedoch kurz nach der Anbringung wieder entfernt wurde. Offensichtlich fand man Beuys‘ moderne Archaik nicht staatstragend genug“.

Wie die Zeit gerinnt

Kunst, denkt man, ist immer eine Reibungsfläche, an der sich Vieles entzünden lässt. Kunst ist ein Durchlauferhitzer mit der Triebkraft eines Verbrennungsmotors: Ansaugen, Verdichten, Explodieren, Ausstoßen. Kunst – auch das erkennt man – kann das Verdunsten der Zeit veranschaulichen und Gegenläufigkeiten erzeugen: Hier die Warhol-Zeichnungen (Details of Renaissance Paintingsa) – ein Destillat renaissancevergangener da-Vinci-Bildlichkeit, das ins Jetzt transportiert wird: Dort die Fotografien von Ori Gersht, der mit „The Patrons“ Personen der Klever (Kunst)-Zeitgeschichte ins scheinbar bildliche Vergangene schickt und so einen Vertrag über geliehene Zeit und das Gerinnen der Augenblicke entwirft. Man reist ins Kleingedruckte der Wahrnehmung. Das Museum als wunderbarer Ort der Gleichzeitigkeiten … Kunde hat Recht, denkt man beim Hinausgehen: Die Mischung macht‘s. Es kann und darf nicht alles nur gefällig sein und die derzeitige Kombination aus Fragezeichen und Rufzeichen ist absolut sehenswert.

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