Wenn kein Zug mehr fährt

KLEVE. Der 13. kann nicht immer auf einen Freitag fallen. Martin Riemers Geschichte zeigt, dass das Unheil eher in der Zahl steckt.

Martin Riemer ist 55. Seit 1985 sitzt er im Rollstuhl. Diagnose: Multiple Sklerose. MS. 1992 kam der gebürtige Berliner an den Niederrhein. Die Liebe war‘s. Letztes Jahr im Mai starb seine Frau. Auch sie saß im Rollstuhl. Auch sie war an MS erkrankt. Was sie umbrachte, war der Krebs. Riemer ist ein eher ruhiger Typ. „Das Wichtigste in einer Beziehung ist das Wort“, sagt er. Das habe er seiner Frau immer gesagt: Man kann über alles reden. Da ist was dran. Martin Riemer wohnt in Weeze. Einmal am Tag kommt ein Pflegedienst – ansonsten kümmern sich Schwiegermutte und Schwägerinnen. Wenn Riemer einen Ausflug macht, ist er oft in Kleve unterwegs. Fortbewegungsmittel ist – neben seinem elektromotorbetriebenen Rollstuhl – die Bahn.

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Riemer: „In einen Bus komme ich mit einem Rollstuhl nicht rein. Ansonsten passen der Rollstuhl und ich nur in ein Großraumtaxi.“
Neulich, es war Donnerstag, der 13. März, war Riemer in Kleve unterwegs. An- und Abreise wie immer mit der Bahn. Am 13. März gewitterte es heftig im Klever Raum. Kann passieren. Kann auch passieren, dass der Blitz irgendwo einschlägt. An diesem Tag traf es das Stellwerk in Bedburg-Hau. Nicht gut für den Schienenverkehr, denn als Riemer um 17.21 Uhr den Zug nach Weeze nehmen wollte, erfuhr er vom Blitzeinschlag und davon, dass um 19 Uhr wieder mit Zugverkehr zu rechnen sein. Kann passieren. „Um 19 Uhr hieß es dann, der Zug würde um 20 Uhr fahren, eine Stunde später hieß es: Der Zug fährt um 21 Uhr“, und um 21 Uhr dann das: Rien ne va plus. Nichts geht mehr. Zumindest nicht auf der Schiene. „Wir wurden dann unterrichtet, dass nun Schienenersatzverkehr eingerichtet würde.“ Gut für alle. die noch wohin wollten. Nicht ganz so gut für Riemer, denn: „Schienenersatzverkehr bedeutet Bus und in einen Bus komme ich mit meinem Rollstuhl nicht rein.“ Riemers Rollstuhl: Quasi ein XXL Modell, das man nicht mal eben von Hand bewegt. (Martin Riemer: „Der Rollstuhl ist 60 Zentimeter breit, 1,50 Meter lang und, 1,40 Meter hoch – das ist verstellbar – und hat ein Gewicht von circa 90 Kilo. Wenn ich drin sitze, sind es 160 Kilo.“)

Was tun? Martin Riemer: „Ich habe dann ein paar Taxiunternehmen angerufen, hörte aber von denen, dass entweder kein Großraumtaxi zur Verfügung steht oder aber kein Fahrer.“ (Informationen der Redaktion zufolge muss die Nutzung eines Großraumtaxis in der Regel vorher angemeldet werden, was in einem Fall wie dem von Martin Riemer schwer möglich ist.) Längst war es gegen 21.30 Uhr – Riemer am Ende seiner Kräfte – wollte nur noch nach Hause. Am Schluss rief er die 110 an. Notruf beim ‚Freund und Helfer‘. „Ich hatte dann eine Dame am Telefon, die mir unmissverständlich klar gemacht hat, dass sie nichts für mich tun kann.“ Riemer wurde gefragt, ob Verwandte nicht den Transport übernehmen könnten. „Das ging auch nicht, denn meine Verwandten verfügen nicht über ein Fahrzeug, mit dem sie mich und den Rollstuhl transportieren könnten.“ Dass die Polizei nicht helfen konnte – für Riemer eine Enttäuschung, denn „wenn schon die Polizei nicht helfen kann – an wen soll man sich wenden?“ Riemer weiter: „Am Schluss war ich einigermaßen sauer. Ich habe dann gesagt: Wenn die Polizei mein Freund und Helfer ist, dann kündige ich hiermit die Freundschaft.“

Der Pressesprecher der Kreispolizeibehörde, Ingo Schankweiler, äußerte sich der Redaktion gegenüber wie folgt: „Der Anrufer bei der Polizeileitstelle (Martin Riemer Anm. d. Red.) befand sich nach mir zur Verfügung stehenden Informationen in keiner hilflosen Lage, was ein polizeiliches Einschreiten erforderlich gemacht hätte. Er verfügte über ein funktionstüchtiges Mobiltelefon und über Kontakte zu seinen Angehörigen. Seine Erwartungshaltung, die Polizei möge für ihn eine Transportgelegenheit sorgen, konnte nicht erfüllt werden, zumal er berichtete, dass die Taxitransportunternehmen ad hoc nicht in der Lage gewesen seien, ihn mit dem E-Rollstuhl zu transportieren. So bedauerlich das ist, konnte die Polizei hier leider nicht helfend zur Seite stehen.“

Am Ende des Tages machte sich Riemer im Rollstuhl auf den Weg zum Hotel Rilano. „Da gibt es zwar ein behindertengerechtes Zimmer, aber das war leider vergeben.“ Riemer bekam dann eine „Suite“. 116 Euro wurden fällig. „Am Abend habe ich mir noch ein Getränk bestellt. Ich war echt frustriert. Auf das Frühstück – das hätte extra gekostet – habe ich verzichtet. Ich dachte mir: Das ist dann zu dreist.“ Riemer bezahlte die Rechnung, fuhr zum Bahnhof und anschließend mit dem Zug nach Weeze. Ende einer Dienstfahrt. „Die Hotelrechnung habe ich dann bei der NordWestBahn eingereicht. „Die Leute von der Bahn waren alle freundlich zu mir“, erinnert er sich. „Was mich wirklich enttäuscht hat, war mein Anruf bei der Polizei.“

Auch zur Nordwestbahn hat Riemer Kontakt aufgenommen und seine Hotelrechnung eingereicht. Die Antwort vom 20. März lautet: „Sehr geehrter Herr Riemer, leider war es uns bisher noch nicht möglich, Ihr Anliegen vom 14. März zu bearbeiten. Dafür bitten wir Sie um Entschuldigung. Zur Zeit erreichen uns täglich zahlreiche Anfragen zu den verschiedensten Themen. Wir werden Ihnen schnellstmöglich antworten und danken Ihnen für Ihre Geduld. Für Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen.“ Fortsetzung folgt?

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