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Der Entwurf für ein expressionistisches Kirchenfenster.
6. Januar 2024 · Corinna Denzer-Schmidt · Goch

Sakrale Kunst im Zeitenwandel

Das Museum Goch zeigt seltene Kirchenfenster-Entwürfe von Friedrich Stummel und Anton Wendling

GOCH. Wer den kleineren Ausstellungsraum in der ersten Etage des Gocher Museums betritt, der blickt auf einen der spektakulärsten Ankäufe der letzten Jahrzehnte. Gezeigt werden hier im Rahmen von „Alles Museum 3“ (die NN berichteten) Raritäten der sakralen Glasfenster-Kunst: Entwürfe des bekannten Kirchenmalers Friedrich Stummel aus der Zeit um 1880/1900 für die St. Maria-Magdalena-Kirche Goch, die Krankenhauskapelle und die Leichenhalle des damaligen Gocher Krankenhauses im Gebäudekomplex des Tertianerinnenklosters.

Stummel, der auch die Marienbasilika in Kevelaer ausgemalt hat, war ein Vertreter der katholischen Romantik, der mit seinen klassischen Darstellungen biblische Szenen für die Gläubigen festgehalten hat – das Bild erzählt die Geschichte ohne Worte. Anton Wendling, sein nicht minder bekannter Zeitgenosse, entwarf dann 1915 drei Fenster für die St. Maria-Magdalena-Kirche; diese war bei einer Gasexplosion im gleichen Jahr schwer beschädigt worden. Hier zeigt sich ein interessanter künstlerischer Wandel, denn Wendling schuf expressionistische Kirchenfenster. Er stellt auch Heilige dar, arbeitet aber mit scharfen Graten, wenigen Farben und einer Figur, die nicht mehr verklärt nach innen blickt, sondern direkt der Welt zugewandt ist.

Museumsdirektor Dr. Stephan Mann berichtet, wie die außergewöhnlichen Exponate in die Sammlung des Museums gelangten: „Vor circa zehn Jahren kam Hein Derix, damals Seniorchef der Glasmanufaktur in Kevelaer zu uns; er verwaltete das Firmen-Archiv.“ Dort hatte Derix die Entwürfe entdeckt. Von diesem Fund war man im Museum mehr als begeistert: „Der Künstler entwirft ein Fenster, das dann bei der Firma produziert wird – mit den Entwürfen macht man eigentlich nichts, das Ergebnis ist das Fenster“, beschreibt Dr. Mann den technischen Ablauf, bei dem der Entwurf vom (Kunst)-Handwerker auf das Glas übertragen wird. Ein sensibler Vorgang, der viel Abstimmung unter den Beteiligten benötigt. Im besten Fall würden Muster und Entwürfe anschließend in den Archiven verwahrt, das sei auch bei Glasmalerei so. „Was Hein Derix uns da gezeigt hat, war phänomenal; kleine Vorlagen der minutiös ausgezeichneten Fensterentwürfe von Stummel“, erinnert sich Dr. Mann. Denn Stummel sei ein exzellenter Zeichner gewesen, das habe er dem Holzschnitzer Ferdinand Langenberg vorausgehabt. Beide hätten jedoch das katholische Millieu am Niederrhein entscheidend geprägt; kulturhistorisch und kirchenhistorisch eine spannende Zeit, in der so etwas auf hohem künstlerischen Niveau möglich gewesen sei.

Historische Bedeutung

Da erübrigte sich die Frage, ob das Museum Interesse an diesen Stücken hatte: „Wenn nicht wir, wer dann?“ Der historische Befund und die hohe Qualität der Stücke gaben sehr schnell den Ausschlag. „Das war schon noch einmal etwas völlig anderes, so tief in die Stadtgeschichte einzutauchen“, sagt Dr. Mann. Für den Ankauf der Stücke, der sich über mehrere Jahre hinzog, weil Hein Derix immer wieder etwas Interessantes aus dem Firmenarchiv zutage förderte, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt. Finanzielle Unterstützung gab es von der Kunststiftung Goch, dem Förderverein des Museums und der Volksbank an der Niers. Außerdem bewilligte der Gocher Rat damals einen Ankaufs-Etat. „Das war ein gemeinsames Ding“, unterstreicht Dr. Mann. Diese einmalige Chance für Museum und Stadt wollte man sich nicht entgehen lassen. Der absolute Höhepunkt dieser Ankäufe war allerdings ein Probefenster von Anton Wendling. „So etwas fertigt man ja nicht in der Originalgröße an, um dann zu hören, dass etwas geändert werden muss“, erklärt Dr. Mann, „solche Probefenster sind logischerweise meistens zerstört und deshalb höchst selten – das war der Clou!“ Damit sei ein Stück Geschichte – Maria Magdalena, Krankenhaus, Stummel, Wendling und katholisches Millieu – sehr „rund“ geworden, freut sich der Museumsdirektor. Dabei erhebt die aktuelle Ausstellung keinesfalls den Anspruch, komplett zu sein. „Wir gehen davon aus, dass die jeweiligen Entwürfe auch umgesetzt wurden“, erklärt Dr. Mann; bis jetzt habe man aber noch keine Fotos oder Dokumente aus dieser Zeit gefunden, die das auch belegen. Im Zweiten Weltkrieg wurden Kirche und Krankenhaus schwer zerstört, entsprechende Aufzeichnungen möglicherweise vernichtet. Zu sehen sind die Exponate bis zum 25. August, eventuell auch noch etwas länger. Damit die empfindlichen Zeichnungen keinen Schaden nehmen, wird mit reduziertem Licht im Raum gearbeitet; die größeren Arbeiten sind hinter besonderem Glas gerahmt. Später werden sie wieder im Depot gelagert.

Corinna Denzer-Schmidt
Das Probefenster mit dem Kopf des heiligen Martin von Anton Wendling ist eine absolute Rarität.

Das Probefenster mit dem Kopf des heiligen Martin von Anton Wendling ist eine absolute Rarität.

Friedrich Stummel war ein meisterhafter Zeichner, hier ein Detail der „Barmherzigkeit“. Fotos (3) : Museum Goch

Friedrich Stummel war ein meisterhafter Zeichner, hier ein Detail der „Barmherzigkeit“. Fotos (3) : Museum Goch

Der Entwurf für ein expressionistisches Kirchenfenster.

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