
Kein Potenzial ungenutzt lassen
Menschen mit Behinderung oder anderen Handicaps einzustellen, bietet nicht nur den Betroffenen eine Chance, sondern auch den Unternehmen selbst
Mit seiner Hörbehinderung und Lernschwierigkeiten gestaltete sich der Sprung in die Berufswelt für Kevin Rosenberg etwas schwieriger. Aber mit dem SOS Kinderdorf Niederrhein als Bildungsträger an seiner Seite, ging es am Ende dann doch ganz schön fix. „Wir haben geschaut, wo die Stärken und Schwächen liegen. Bei Kevin war das einfach“, erzählt Qualifikationstrainer Hubert Opwis. Nach den üblichen sechs bis acht Wochen, in denen auch einige Grundkenntnisse der jungen Teilnehmer geschult wurden, ging es mit Blick auf die Zukunftschancen daran, einen geeigneten Betrieb zu finden.
Für Kevin Rosenberg war dieser Betrieb Piron Metallbau, wo er im September 2021 seine dreijährige unterstützte Beschäftigung begann. Wenn Inhaber Sascha Piron von dieser Zeit erzählt, hört man ein wenig den Experiment-Charakter heraus, den dieser Ansatz auch für ihn mit sich brachte. „Man hat uns gefragt, ob wir einen Praktikanten aufnehmen würden. Ich sagte, so lange für uns nichts Negatives dabei herumkommt, können wir das gerne machen.“ Die Rechnung ging auf und Rosenberg blieb: „Wir haben gemerkt, dass Kevin gut zu uns passt.“ In der Werkstatt nahm sich das Team von Anfang an ausreichend Zeit für den Neuzugang. „Nicht nur unser Ausbilder, auch die anderen sind auf ihn und seine Bedürfnisse eingegangen und haben, wenn es nötig war, auch mehrmals etwas erklärt“, sagt Piron.
Rosenbergs Arbeitgeber war dabei aber nicht auf sich allein gestellt: Mindestens einmal in der Woche wurde Rosenberg in der Werkstatt auch vom SOS Kinderdorf begleitet. Außerdem reflektierte man jede Arbeitswoche beim wöchentlichen Projekttag am Klapheckenhof in Kleve-Kellen. Zufrieden ist auch Rosenberg: Selbst wenn die Maßnahme keinen Ausbildungsabschluss enthalten hat, übernimmt er heute als fester Teil des Teams „viele kleine Arbeiten“ eines Metallwerkers, etwa das Bohren oder Entgraten. Einen anderen Beruf kann er sich nicht mehr vorstellen. „Am Anfang war es noch viel Ausprobieren, aber nach einer gewissen Zeit wurde mir klar, dass es das Richtige für mich ist“, sagt er.
Das freut Sascha Piron: „Wenn sich jemand bewirbt, ist für mich das wichtigste Kriterium: Er muss Interesse daran haben.“ Das macht Kevin Rosenberg für ihn zu einem echten Gewinn, auch wenn die Einschränkungen von Menschen mit Handicap natürlich nicht verschwänden, gibt er zu. „Man muss sich auf sie einlassen.“ Angesichts zunehmender Erfolgsstorys sowie der schwierigen Situation könnte das Arbeitgebern aber zunehmend leichter fallen, denn: „Wir haben weniger einen Fachkräftemangel, sondern vor allem einen Arbeitskräftemangel“, gibt Piron zu bedenken.
Arbeitgeber für das Thema zu sensibilisieren und Arbeitnehmern Chancen zu ermöglichen, ist das erklärte Ziel der Agentur für Arbeit Wesel. „Der Trend geht in die richtige Richtung“, sagt Vanessa Wütscher, Reha/SB-Spezialistin und Ansprechpartnerin bei Einstellungen von Menschen mit Behinderung und beruflicher Rehabilitation. Nicht nur, weil die Firmen immer offener für Menschen mit Handicap seien: „Die meisten sind auch sehr zufrieden.“ Ausnahmen gebe es natürlich ebenfalls, zum Beispiel wenn kleinere Unternehmen den eventuell anfallenden Mehraufwand nicht stemmen könnten oder andere Probleme aufträten. „Dafür haben wir Verständnis: ein Arbeitgeber muss auch wirtschaftlich denken. Es muss für beide Seiten passen.“
Grundsätzlich seien jedoch viele Sorgen der Unternehmer unbegründet, erklärt Wütscher. „Die größte Sorge ist derzeit, dass man einen Menschen mit Schwerbehinderung auch dann im Team halten muss, wenn es mal Probleme geben sollte. Aber das ist ein weit verbreiteter Mythos. Dafür gibt es Probezeiten, Praktika und andere Formen wie die Einstiegsqualifizierung, sodass man schauen kann, ob es passt.“
Zudem erhalten Firmen für ihre Mühen Unterstützung seitens der Agentur für Arbeit und ihrer Netzwerkpartner. Das kann eine Beratung sein, oder ein Zuschuss wie der Eingliederungszuschuss. „Wir können als Agentur für Arbeit aber nur die erste Zeit der Beschäftigung fördern“, ergänzt Stefan Schapfeld, Teamleiter Berufliche Rehabilitanden und Teilhabe. Für die Zeit danach gebe es allerdings über den Landschaftsverband die Möglichkeit für den Beschäftigungssicherungszuschuss, der aus Mitteln der Ausgleichsabgabe finanziert werde. „Auch hier geben wir gerne einen Ansprechpartner an die Hand.“
Wie die Statistik zeigt, trüben aber auch ein paar Wermutstropfen die positive Tendenz: „Die Arbeitsmarktlage macht sich auch für Menschen mit Handicap bemerkbar. Wir haben in diesem Jahr mit steigender Arbeitslosigkeit zu tun, wenn auch auf einem niedrigen Niveau: Im Kreis Kleve gibt es 586 Arbeitslose mit schwerer Behinderung, 2023 waren es 579“, erklärt Stefan Schapfeld.
Außerdem erfüllten weniger als die Hälfte der Arbeitgeber ihre Beschäftigungspflicht, sagt Sabine Hanzen-Paprotta, Pressesprecherin der Arbeitsagentur. „In 2022 waren es im Kreis Kleve 39,7 Prozent.“ Man mache sich jedoch daran, diese Zahlen für die Zukunft weiter zu verbessern, sagt Vanessa Wütscher: „Wir arbeiten stetig daran und versuchen, die Hemmschwellen noch weiter abzubauen.“ Eine Motivation könnte auch die in 2025 steigende Ausgleichsabgabe sein: Diese müssen Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen zahlen, die nicht der Verpflichtung nachkommen, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten oder anderen anrechnungsfähigen Menschen zu besetzen.
Während der noch bis Dienstag, 3. Dezember, laufenden „Woche der Menschen mit Behinderung“ können interessierte Personalverantwortliche mit den Expertinnen der Agentur für Arbeit Wesel telefonisch Fragen rund um Einstellung und Beschäftigung klären. Magdalena Mucha für den Kreis Wesel und Vanessa Wütscher für den Kreis Kleve bieten von 8 bis 15 Uhr eine Hotline an unter Telefon 0281/9620-357 und 02821/714-155; zudem ist eine Mailbox geschaltet. Anfragen per E-Mail sind ebenfalls möglich an Wesel.Arbeitgeber-Team141@arbeitsagentur.de und Kleve.143-Arbeitgeber-Service@arbeitsagentur.de.Blicken auf eine erfolgreiche Zeit zurück: (v.l.) Stefan Schapfeld, Hubert Opwis, Kevin Rosenberg, Vanessa Wütscher und Sascha Piron. NN-Foto: T. Langer
