
Ein Mann, vier Päpste
Werner Stalder (86) nimmt im Heiligen Jahr nach 25 Papst-Audienzen endgültig Abschied von Rom
NÜTTERDEN. Werner Stalder ist in Sorge. Jeden Tag verfolgt er die „Vatican News“. Mit Papst Franziskus, der sich seit einiger Zeit im Krankenhaus befindet, fühlt sich der 86-Jährige schon deshalb verbunden, weil er aus Argentinien kommt. „Er kennt das Dorf Boqueròn und ist schon dort gewesen“, weiß Stalder und verweist auf die Partnerschaft, die seit 1974 zwischen der Kranenburger Kirchengemeinde St. Antonius Abbas und dem nordargentinischen Bistum Anatuya besteht. Stalder hat die Aktion Anatuya, die im vergangenen Jahr 50. Jubiläum feiern konnte, damals gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth initiiert und mehr als vier Jahrzehnte federführend geleitet.
Franziskus, sagt Stalder, sei ein besonderer Papst – „und sehr bescheiden“. Seine Sorge für die Armen und sein unermüdliches Bemühen, Gutes zu tun, zeichne ihn aus. „Er wohnt weder im päpstlichen Palast, noch macht er Urlaub“, weiß Stalder. Acht Mal hat er ihn getroffen, auch im Rahmen eines privaten Gottesdienstes mit der päpstlichen Familie. „Das war außergewöhnlich“, ist Stalder beeindruckt von dieser Begegnung. Im Januar hat er ihn zuletzt gesehen. Es war ein Abschied. „Da bin ich mit meinem Neffen in Rom gewesen – zum letzten Mal“, erzählt er. Zu beschwerlich sei das Reisen für ihn geworden. Im Heiligen Jahr 2025 den Schlussstrich ziehen und die vier Heiligen Pforten durchschreiten, das ist Stalder geglückt. Abschied genommen hat er auch von Rom, einer Stadt, in die er sich auf Anhieb verliebt hat. 1962 war er zum ersten Mal dort. „Insgesamt bin ich 40 Mal in Rom gewesen, war bei 25 Papst-Audienzen und habe vier Päpste getroffen“, ist Werner Stalder dankbar. Selbst bei der Beerdigung von Papst Johannes Paul I., der nur 33 Tage im Amt gewesen ist, war er dabei. „Das war natürlich ein Zufall, dass ich ausgerechnet zu dieser Zeit in Rom gewesen bin“, sagt der 86-Jährige heute. Ein Mal hat er eine Audienz von Papst Paul VI. besucht, zwölf Mal war er bei Johannes Paul II., vier Mal traf er Benedikt XVI. und jüngst zum achten Mal Franziskus. Meist hatte er auch Geschenke dabei. So überbrachte er eine in Nütterden gefertigte Weihnachtskrippe für die „Mutter und Haupt aller Kirchen des Erdkreises“, die Lateranbasilika. Oder auch den Kellener Kirchenkalender, gebunden in weißem Ziegenleder, und einmal eine Statue des Heiligen Willibrord. „Eine Begegnung, die ich nie vergessen werde, war mein letzter Besuch bei Johannes Paul II. im Dezember 2004, wenige Monate vor seinem Tod“, sagt Stalder. Damals habe der von seiner schweren Parkinson-Erkrankung gezeichnete Papst kaum noch sprechen können. „Ich habe ihm ein Buch über 60 Jahre Karl-Leisner-Priesterweihe mitgebracht. Er machte ein Kreuzzeichen und sagte: Ich segne! Das hat mich tief berührt.“ Erinnern kann sich Stalder auch gut an eine Papst-Audienz bei Paul VI., die er im Mai 1971 gemeinsam mit Kaplan Theodor Pleßmann aus Kellen besucht hat. „Der Papst war sehr gut informiert und als wir darauf hingewiesen haben, dass wir nah an der Grenze zu den Niederlanden wohnen, hat er gesagt: Beten Sie für die Kirche in Holland. Es ist meine große Sorge.“ Ein Schmunzeln kann sich Stalder nicht verkneifen, wenn er an eine Audienz bei Papst Franziskus im Jahr 2019 zurückdenkt: „Da stand das Kölner Dreigestirn neben mir und der Heilige Vater fragte leicht irritiert, was es denn mit dem Mann im Frauenkostüm auf sich habe.“
So hat Werner Stalder unzählige Geschichten parat, wenn es um seine Rom-Reisen geht. Großformatige Fotografien und Anekdoten füllen ganze Aktenordner. „Mit den Jahren habe ich dort Freundschaften geschlossen und es gibt viele Menschen im unmittelbaren Umfeld des Papstes, die mich kennen“, ist Stalder stolz. Über viele Jahre konnte er so auch anderen Gläubigen aus der Region zu einer Begegnung mit dem Papst verhelfen – mal hat er eine Romfahrt für Ministranten organisiert, mal für seine Bruderschaft und einmal hat er auch die Städtische Singgemeinde an die Hand genommen: „Da gab es ein wunderschönes Konzert zusammen mit dem Kammerorchester aus Nijmegen.“ Häufig begleiteten ihn auch seine Familie, ehemalige Klassenkameraden und Freunde. Und nicht selten gelang es ihm, ganz nah beim Heiligen Vater in der „prima fila“, der ersten Reihe, zu stehen. So etwas beruht natürlich nicht auf Zufall, schließlich vergibt die Apostolische Präfektur diese begehrten Plätze. Überhaupt ist so eine Papst-Audienz mit einem gewissen Aufwand verbunden. „Man muss zunächst schriftlich eine entsprechende Anfrage an die Präfektur richten und erhält dann eine Registriernummer, mit der man zum Bronzetor geht“, erklärt Stalder. Wer allerdings einen Platz in den vorderen Reihen möchte, muss gute Kontakte haben. Werner Stalder hat zum Beispiel seit vielen Jahren ein Empfehlungsschreiben vom Bischof dabei. Türen geöffnet habe ihm ganz am Anfang seine Funktion als Sprecher des Karl-Leisner-Kreises. Im Zuge der Seligsprechung habe er im Austausch mit dem Vatikan gestanden und Kontakte geknüpft. So gelang es ihm nicht nur privat durch den vatikanischen Garten zu flanieren, sondern seine Reisen waren stets auch mit einem Besuch in der deutschen Abteilung des Staatssekretariats verbunden. Futter für sein „spezielles Hobby“ hat ihm das auch eingebracht. „Ich sammle Unterschriften von Bischöfen und Kardinälen“, sagt Stalder. 113 „Autogramme“ hat er zusammen bekommen, „und ich habe mit allen persönlich gesprochen“, sagt er. Sogar Papst Franziskus hat unterschrieben (am 16. Januar 2019) und auch der Kardinalstaatssekretär, „der zweite Mann gleich nach dem Papst“.
Werner Stalder ist ein tiefgläubiger Mensch und auch die Skandale der letzten Jahre können ihn nicht in seinem Glauben beirren. Ein Grund dafür ist „Oma Stalder“. „Sie hat die Familie geprägt“, erinnert er sich an seine Großmutter Maria. „Mein Opa ist 1918 gefallen. Sie hat als Kriegswitwe ein Haus gebaut, sieben Kinder alleine großgezogen – und alle sind glücklich geworden“, habe er „tiefsten Respekt“ vor dieser Leistung und weiß, dass ihr der Glaube stets Trost und Stütze gewesen ist. Wenn Werner Stalder jetzt sagt, dass die Rom-Reise im Januar seine letzte gewesen ist, dann meint er es auch so. „Für mich ist es eine runde Sache und toppen kann man das eigentlich auch nicht mehr“, sagt der 86-Jährige. Selbst ein möglicher neuer Papst könnte ihn nicht reizen. „Es wäre vielleicht verlockend, wenn ich denjenigen kennen würde“, räumt er ein, rechnet aber nicht damit. „Papst Franziskus hat viele der möglichen Kandidaten selbst ernannt und das sind überwiegend Leute, die, seiner Linie entsprechend, eher die Ränder der Kirche abdecken und aus ganz entlegenen Teilen der Erde kommen“, weiß er. Die deutsche Katholische Kirche sei hingegen momentan „unterrepräsentiert“, auch Anwärter aus Italien gebe es kaum.

Im Mai 1971: Werner Stalder (r.) und Kaplan Theodor Pleßmann trafen Papst Paul VI. Foto: privat
Werner Stalder mit Papst Franziskus. NN-Foto: Rüdiger Dehnen
