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Fast 30 Studierende und Professoren von der Hochschule Rhein-Waal besuchten für zwei Tage das Klever Bildungsprojekt in Dogbo. Foto: pro dogbo
4. November 2025 Von NN-Online · Kleve

Zwischen Hörsaal und altem Königreich

Studierende und Professoren besuchen Benin und Klever Bildungsprojekt in Dogbo

KLEVE. Das gab es bislang noch nicht im Ausbildungszentrum von pro dogbo in Benin: Fast 30 Studierende und Professoren der Hochschule Rhein-Waal besuchten für zwei Tage das Klever Bildungsprojekt in Dogbo und tauchten ein in die Kultur und Lebensrealität der Menschen vor Ort. Im Rahmen einer Exkursion ins westafrikanische Benin zu den drei Partneruniversitäten der HSRW, machten die Besucher aus Kleve auch im kleinen Städtchen Dogbo Station und wurden dort herzlichst empfangen.

Der Auftakt in Benin für die Besucher aus Kleve konnte gegensätzlicher kaum sein: Hier der Campus der Hochschule Rhein-Waal in Kleve – klare Linien, Glas, Beton, Wissen in Modulhandbüchern. Und dort Cotonou, Benins Wirtschaftsmetropole – Hupkonzerte, Grillduft, feuchte Erde, Mopeds im Zickzack. Dazwischen rund 5.000 Kilometer Luftlinie und ein Kosmos an Erfahrungen, den 23 Studierende und fünf Professoren der Fakultät Life Sciences und Gesellschaft und Ökonomie für zwölf Tage zu ihrem Hörsaal machen. Es ist kein touristischer Ausflug, sondern eine Expedition ins Konkrete, ein gewollter Perspektivwechsel. Professor Matthias Kleinke bringt das Ziel auf den Punkt: „Lernen, das nicht in der Theorie stehenbleibt. Annahmen prüfen, Nuancen erkennen, Zusammenhänge spüren. Was passiert, wenn ein akademischer Lehrplan die geschützten Räume verlässt und auf die komplexe, widersprüchliche, faszinierende Realität Westafrikas trifft?“. Diese Reise gibt Antworten.

Die Klever Hochschule pflegt seit Jahren Kontakte ins Afrika unterhalb der Sahara. Benin in Westafrika bot zudem ein Netzwerk, das Türen öffnet. Eine Schlüsselfigur ist Professor Achille Assogbadjo von der Universität Abomey-Calavi im Süden Benins, der durch den renommierten Georg-Forster Forschungspreis der Alexander von Humboldt Stiftung, schon mehrmals zu Gast in der Hochschule in Kleve war. Pro dogbo, 2002 gegründet, fördert Kinder und Jugendliche in ihrer Schul- und Berufsausbildung in der Region Dogbo. Zusammen mit lokalen Partnern und der Studenteninitiative Weitblick aus Münster wurden seitdem über 25 Schulen für jeweils 150 Kinder gebaut: Dauerhaft und nachhaltig verbesserte Lernbedingungen für rund 4000 Kinder der Region. Und die Dankbarkeit ist spürbar: Mit Tänzen, Gesängen und Trommelrhythmen begrüßen die Mädchen und Jungen die Gäste aus Kleve in der Grundschule, die von pro dogbo, Weitblick und Fußballweltmeister Mario Götze gemeinsam errichtet wurde. Der Funke springt schnell über und bald tanzen Studierende und die Kinder in der Sonne zusammen auf dem Schulhof.

Klaus van Briel, Vorsitzender von pro dogbo, geht mit den Gästen durch das mittlerweile staatlich anerkannte Ausbildungszentrum in Dogbo. Es verfügt über eine Bäckerei, Kfz- und Metallwerkstatt, wo Jugendliche eine Berufsausbildung erhalten, die ihnen Perspektiven eröffnen. Backofen, Maschinen, Werkzeuge und die Gebäude wurden über private Spenden finanziert. Solidarität, die man anfassen kann – und die zeigt, wie eng der Niederrhein mit Benin verbunden ist. Die Gruppe der Studierenden und Professoren lernen ein Land kennen, das sich seit einigen Jahren in einem fundamentalen Umbruch und Aufbruch befindet. So besuchen sie bei der Wirtschaftsmetropole Cotonou einen Industriepark, der von der Idee getragen ist, die Rohstoffe nicht mehr billig zu exportieren. Auf 1600 Hektar entstehen dort Industrieanlagen, Gewerbe- und Wohnflächen, Logistikbereiche mit eigenem Containerterminal, Lkw-Park und separater Strom- und Wasserversorgung. Die Profite der Weiterverarbeitungen sollen in Benin gemacht werden und nicht mehr anderswo. Benin will die nächsten Schritte der Wertschöpfung im Land halten. Im Fokus stehen hier die Verarbeitung von Cashewnüssen, Soja, Ananas sowie Baumwollverarbeitung von der Spinnerei bis Konfektion, Holzverarbeitung und Montage von Elektronikteilen. Schon heute laufen Textilmaschinen, werden Keramikfliesen produziert – ein praktischer Anschauungsunterricht in Entwicklungsökonomie und ein selbstbewusstes Statement ökonomischer Souveränität. Der Besucher ist eingeladen, alte Nord-Süd-Erzählungen zu überprüfen.

Benin ist eine parlamentarische Demokratie – und zugleich ein Land mit hybrider Governance. Moderne Verwaltung und alte Autorität arbeiten nicht gegeneinander, sondern miteinander. Aber: keine Moderne ohne den Blick auf die eigene Tradition. Das lernen die Gäste aus Kleve in Dogbo, 130 Kilometer von der Atlantikküste entfernt, kennen. Denn hier statten sie dem König von Dogbo einen Besuch ab, der das Bildungsprojekt aus Kleve aus eigener Anschauung kennt. Er ist einer von 17 landesweit staatlicherseits anerkannten Könige und kann sich auf eine jahrhundertealte Tradition berufen. In seiner einfachen Hütte sitzt er unter einem kunstvoll verzierten Schirm – mit seinen Insignien, nicht mit „Marken“-Logo. Ein Willkommensgruß an die Gäste ist das gemeinsame Trinken des lokal hergestellten Palmschnaps - als Zeichen des Respekts und der Verbundenheit. Der König ist kein absolutistischer Herrscher, seine Autorität ist sozialer Natur. Er vermittelt, schlichtet, gibt Rat – eine niedrigschwellige Justiz, kulturell verankert und oft näher am Alltag als staatliche Institutionen. Seine Legitimität ist spirituell grundiert: Nicht Erbfolge entscheidet, sondern das Orakel. Wie komplex diese Ordnungen sind, zeigt sich in Dogbo: Dort leben der König mit eigener Frau und eine Königin nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. Beide dürfen sich im Alltag niemals begegnen, nur bei Zeremonien im „heiligen Wald“ bei Dogbo sind Treffen erlaubt. Die Königin ist mit spirituellen Aufgaben betraut und besonders für Frauen die Ansprechperson in der Region. Sie entlässt Studierende und Professoren auch mit einem gemeinsam getrunkenen Schnaps, der mit Kräutern versehen ist.

Wer vom Niederrhein kommt, blickt zunächst irritiert auf Benins Felder. Keine akkuraten Rechtecke, sondern Vielfalt in Etagen: Agroforst. Orangenbäume oben, darunter Ananas; Schatten, Feuchte, Biodiversität – ein System, das chaotisch wirkt und hoch effizient ist. Was im Tropenhaus der Hochschule in Kleve auf kleinem Raum wächst, kann Prof. Jens Gebauer hier den Studierenden in freier Natur nahebringen. Orangen werden von den Bäumen gepflückt, frisches Zuckerrohr in mundgerechten Stücken serviert. Der Süden Benins ist sehr fruchtbar und grün. An Wasser mangelt es hier noch nicht. So sind die Märkte der Region ein Schaufenster des landwirtschaftlichen Potentials – und für die Studierenden Pflichtprogramm wie Lehrbuch zugleich. Denn dort liegt die „landwirtschaftliche Biodiversität“ ausgebreitet: Maniok, Yams, Mais; Mangos, Kokosnüsse, unterschiedliche Ananassorten. Allgegenwärtig auch die Cashewnuss, ein wichtiges Exportgut für Benin. Doch die Landwirtschaft steht unter Druck. Regen- und Trockenzeiten verschieben sich, werden unberechenbar; Dürre und Starkregen nehmen zu. In einem Land, dessen Felder vom Regen leben, ist das existenziell. Daher stehen auch die Themen Nachhaltigkeit, Ressourcen- und Naturschutz auf dem „Exkursionslehrplan“. Beim Besuch im Waldschutzgebiet Wari Maro im Norden des Landes bei Parakou werden durch Gespräche mit der lokalen Bevölkerung veranschaulicht, wie lokale Sheabutter Produktion durch die Frauen im Dorf im Einklang mit der Natur funktionieren kann.

Pro dogbo ist auch im landwirtschaftlichen Ressourcen- und Umweltschutz aktiv und plant, unterstützt vom Rotary Club Schloss Moyland, ein landwirtschaftliches Berufsbildungszentrum bei Dogbo. Hierbei sollen angehenden Landwirten angepasste Methoden und neue Techniken für Pflanzenanbau und Viehzucht vermittelt werden. Über Professor Florian Wichern kam der Kontakt zu dem beninischen Homologen, Professor Achille Assogbadjo zustande. Bei ihrem Besuch in Dogbo überprüfen sie die Bodenqualität auf dem ausgewählten, fünf Hektar großen Grundstück. Fazit: „Gute Bodenverhältnisse“. Das Projekt kann starten! Und mit Professorin Simone Pauling hat man in der Hochschule auch gleich eine Ansprechpartnerin für die geplante angepasste Hühnerzucht in Benin.

Zwölf intensive Tage, jenseits von Postkartenmotiven und Afrikaklischees, hallen bei den Besuchern nach. Lange Fahrten über holprige Pisten, Regen durchs Busdach und kleine gesundheitliche Haken - das gehört zum Reisealltag in den Tropen. Björn Flockau, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Reisekoordinator, hat mit der manchmal unplanbaren Realität zu kämpfen. Noch am Abreisetag wird der Rückflug der Gruppe storniert, was ihn zusätzlich zum tropischen Klima noch einmal ziemlich ins Schwitzen brachte. Am Ende konnten alle aber ihren Rückflug antreten.

Was bleibt? Für Professor Matthias Kleinke zwei Einsichten: „Erstens: die Menschen in Benin, ihre Flexibilität, Lebensfreude, die Gelassenheit im Angesicht des Schwierigen. Niemand jammert – ein stiller Kontrast zur deutschen Grundstimmung.“ Und Zweitens? „Die Gruppe selbst. Über zwanzig junge Menschen aus elf Nationen, die reisen, lernen, streiten, lachen. Wie mühelos die Welt funktionieren kann, wenn man einen Draht zueinander findet“, so Kleinke. In Zeiten der Polarisierung wurde die Reisegruppe von Studierenden und Professoren aus Kleve zum kleinen Gegenentwurf – ein Beweis, dass Neugier und Respekt die stärksten Gegengifte gegen Vorurteile sind.

Am Ende zählen Exkursionen wie diese zu den Highlights eines Studiums. Der Koffer eines Professors kam zwar erst am vorletzten Tag an. Doch das eigentliche Gepäck wog bei der Heimreise mehr: eine erweiterte, differenzierte, nachhaltig veränderte Sicht auf die Welt – und auf den eigenen Platz in ihr.

Fast 30 Studierende und Professoren von der Hochschule Rhein-Waal besuchten für zwei Tage das Klever Bildungsprojekt in Dogbo. Foto: pro dogbo

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