Steinstaub wird zu großer Kunst
„Rosso Levanto“: Im Museum Goch ist die fertige Sägearbeit #6 von Jan Schmidt zu sehen
Jan Schmidt hat 100 Schnitte in den Block gesetzt. Diese waren exakt ausgemessen, so dass die kleinen Hügel aus Staub – wie auch die Reihen – alle den gleichen Abstand haben und nun die Installation auf dem Boden des großen Ausstellungsraums bilden. Schmidt hat zudem die Tiefe der Schnitte genau berechnet, damit die links und rechts entstehenden Steinstaubhäufchen nicht in sich zusammenfallen, sondern genau die Höhe erreichen, in der sie noch stabil liegen bleiben.
Wandlung
Jede Farbe des Steins findet sich auch im Staub wieder. Dabei sei Jan Schmidt sehr akribisch vorgegangen, berichtet Jasmin Schöne. Die Späne seiner Karbonsäge habe er mit der Pinzette fein säuberlich wieder aus dem Steinstaub entfernt. An anderer Stelle hat Schmidt das Quäntchen Zufall, das die Natur ausmacht, wiederum bereitwillig akzeptiert: „Als die Arbeit komplett fertig war, haben wir schon am nächsten Tag Spuren von Insekten im Staub entdeckt“, berichtet Jasmin Schöne. Und es gehört zum Konzept, dass sich der Steinstaub im Laufe der Zeit verändern wird, quasi durch den Raum wandert, verweht wird und damit eben auch das Kunstwerk an sich im Wandel begriffen ist. An dieser Wandlung des massiven Steins in ein flüchtiges Pulver lässt der Künstler das Publikum teilhaben. „Marmor ist ein klassisches Bildhauermaterial; der Staub, der sonst entfernt würde, ist bei ihm der skulpturale Anteil“, erklärt Jasmin Schöne.
Am Sonntag, 8. Oktober, endet die Ausstellung – dann wird der Steinstaub zusammengefegt und kommt in ein großes Glas. Das Kunstwerk ist dementsprechend nie wieder reproduzierbar. „Für eine andere Ausstellung wäre es unter Umständen denkbar, das Glas mit dem Staub und den ausgesägten Block gemeinsam zu präsentieren“, so Jasmin Schöne, „oder der Staub könnte gesiebt werden und es entstehen dabei neue Steinhäufchen.“ Das hängt natürlich ganz davon ab, was Jan Schmidt plant. „Er überlegt, aus den beim Sägen abgebrochenen Stücken eine Edition zu machen“, weiß Jasmin Schöne.
Ebenfalls im Museum Goch zu sehen ist die Arbeit „Archiv eines Sommers“ aus dem Jahr 2019/2020. Dafür nummerierte Jan Schmidt die Blätter eines Busches, des Japanischen Schneeballs (Viburnum Licatum). Er zählte insgesamt 21.634 Blätter und nummerierte jedes Einzelne davon, bis sie im Herbst zu fallen begannen. Dann hat Schmidt sie aufgesammelt und in 21 gläsernen Objektkästen archiviert. Der Zufall ist hier ein wesentliches Element, denn selbstverständlich nicht alle Blätter fand der Künstler wieder. Zwar sortierte er hier die Natur, aber nicht im streng wissenschaftlichen Sinn; er gab dem Ganzen eine künstlerische Ordnung. Ausgestellt sind weiterhin großflächige grafische Arbeiten von Jan Schmidt; Tuschearbeiten, die mit mehreren, parallel verlaufenden Pinseln entstanden sind.
Die Ausstellung und der Katalog sind in Kooperation mit der Galerie Anita Beckers, Frankfurt am Main entstanden und werden gefördert vom Land NRW im Rahmen des Themenjahres „ERDUNG_aarding“ des Kulturraums Niederrhein.
Corinna Denzer-Schmidt
Je nach Lichteinfall und Tageszeit bietet die Sägearbeit #6 immer wieder neue Perspektiven.
Die grafischen Arbeiten werden im Erdgeschoss des Museums präsentiert.
Die Einschlüsse im Marmor sorgen für das zufällige Farbergebnis beim Prozess des Sägens. Der Block ist als Referenz mit im Raum positioniert.