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René Schneider vertritt den Wahlkreis Wesel II im NRW-Landtag Archivfoto: Chrisi Stark
6. Dezember 2025 · Sabrina Peters · Niederrhein

Landtagsabgeordneter René Schneider (SPD): „Ein Restrisiko bleibt immer“

Vollständige Sicherheit auf Weihnachtsmärkten könne es nicht geben, sagt René Schneider im Interview

KREIS WESEL. Im Interview mit NN-Redakteurin Sabrina Peters äußert sich der SPD-Landtagsabgeordnete René Schneider ausführlich zur politischen Stimmung im Land und den Ursachen für den Vertrauensverlust auch gegenüber seiner Partei. Zudem spricht er über den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die wachsenden Sicherheitsauflagen bei öffentlichen Veranstaltungen sowie über ungelöste Finanzierungsfragen in den Kommunen.

Herr Schneider, viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich zunehmend entfremdet von der Politik. Können Sie das verstehen?

René Schneider: Absolut, weil ich in den vergangenen Monaten und Jahren eben auch miterlebe, dass wir als Politiker Probleme, die die Leute haben, nur nacherzählen und viel zu oft die Lösungen schuldig bleiben. Ich glaube, dass wir als erstes wieder anpacken müssen, die Probleme auch zu lösen. Dann kommt das Vertrauen auch wieder zurück.

Besonders Ihre Partei, die SPD, hat in Umfragen stark eingebüßt. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Schneider: Ich glaube, dass an die SPD schon immer besondere Maßstäbe angelegt worden sind; vor allen Dingen, was die Themen Soziales und soziale Gerechtigkeit angeht. Da ist der Maßstab sehr hoch und damit auch die Fallhöhe sehr hoch. Wenn man das nicht so geschafft hat, wie es erwartet worden ist, gerät man immer recht schnell in die Kritik und damit auch in die Spirale nach unten. Zudem muss auch die SPD Probleme nicht nur nacherzählen, sondern an der Lösung arbeiten. Dann wird es auch wieder besser mit den Umfragen und auch mit den Ergebnissen.

Wie kann die Sozialdemokratie wieder an Bedeutung gewinnen?

Schneider: Ich glaube, indem wir – und das hat Willy Brandt damals schon gesagt – die Lösungen auf die dringenden Fragen eben mitbringen – und nicht nur diskutieren und streiten. Wobei manches, was als Streit daherkommt, ist ja eine einfache Diskussion um die beste Lösung. Aber es kommt eben als Streit in der Öffentlichkeit an. Das ist schlecht. Wir müssen wieder in die Lösung verliebt sein, weniger in die Diskussion und es dann eben auch einfach mal tun. Für Berlin heißt das für mich: weniger öffentlich streiten, intern klären, rausgehen und dann einfach mal machen.

Wir erleben zunehmend gesellschaftliche Spaltungen. Wie kann politische Arbeit dazu beitragen, den Zusammenhalt in der Gesellschaft und damit auch die Demokratie wieder zu stärken?

Schneider: Ich glaube, dass die soziale Spaltung schon seit fast einem Jahrzehnt im Grunde genommen aus den sogenannten sozialen Medien entsteht. Dort herrscht oft ein konfrontativer Ton. Es geht immer mehr gegeneinander und es wird immer polarisierender diskutiert. Ich glaube, dass wir als Politik wieder versuchen müssen, aus der digitalen Logik raus- und wieder ins normale Leben reinzukommen. Wir müssen den Menschen auch in die Augen schauen beim Sprechen. Und dann wird, glaube ich, zweierlei deutlich: Zum einen werden uns Politikern die Probleme der Menschen deutlicher, sodass wir auch an der Lösung arbeiten können. Zum anderen wird auch den Menschen deutlicher, dass demokratische Politikerinnen und Politiker auch nur Menschen sind und zu 99,9 Prozent versuchen, das Beste für alle zu erreichen und eben nicht diejenigen sind, bei denen man im Grunde genommen allen Frust der Welt abladen kann oder sollte.

Die politische Lage in Europa und der Welt wirkt sich zunehmend auch auf NRW aus – zum Beispiel bei den Themen Energieversorgung, Migration und Sicherheit. Wie können wir diese vielfältigen Krisen bewältigen?

Schneider: Zuallererst – das geht ja schon aus der Frage hervor – sind diese Krisen vielfältig, sie hängen aber auch miteinander zusammen. Die Energiekrise resultiert daraus, dass Russland die Ukraine überfallen hat. Das heißt, dass eine neue Sicherheitspolitik gefahren werden muss und wir plötzlich wieder über Verteidigung reden. Alles hängt mit allem zusammen und wir müssen uns wieder die Zeit nehmen, das auch so zu diskutieren, zu erkennen und die Lösung dann eben auch im Ganzen zu sehen und nicht immer zu glauben, dass man große Probleme mit ganz einfachen Mitteln, mit ganz einfachen Ein-Wort-Lösungen erreichen kann. Das funktioniert nämlich nicht. Wir müssen uns jederzeit Zeit für die Diskussion nehmen, für die Findung des Lösungsweges und dann auch mal aushalten, dass es ungemütlich wird – und das den Menschen, den Wählerinnen und Wählern, auch zu sagen. Wir dürfen nicht zugunsten eines besseren Wahlergebnisses drumherum reden oder sagen, dass eine Lage besser ist, als sie ist, oder dass man die Lösung einfacher bekommen kann. „Die Wahrheit wird euch freimachen“, ist ein Bibelwort und ich finde, da ist sehr viel dran.

Wir befinden uns mitten in der Weihnachtsmarkt-Saison. Die Finanzierung der Sicherheitsauflagen wird für die Betreiber allerdings zunehmend schwerer. Zudem geraten die Maßnahmen wie etwa Betonpfeiler zunehmend in die Kritik. Müssen wir uns an dieses Stadtbild nun einfach unserer Sicherheit zuliebe gewöhnen?

Schneider: Ja, die Sicherheitsauflagen werden immer höher – nicht nur beim Weihnachtsmarkt. Wir erleben das ja auch beim St. Martin, wir werden das demnächst wieder beim Karneval erleben. Die Auflagen werden immer höher, weil immer mehr mögliche Risiken auftreten, auf die wir aber auch immer nur reaktiv tätig werden. Das heißt, wir hatten Fälle, in denen Autos in Weihnachtsmärkte gerast sind. Die Folge war, dass wir Sperrungen aufstellen. Es wäre allerdings auch jetzt schon möglich, Drohnenangriffe auf Weihnachtsmärkte auszuüben. Ich glaube, dass irgendwann der Punkt kommen wird, an dem man sich fragen muss: Können wir uns wirklich gegen alle Risiken absichern, die es so gibt? Und ich glaube, das werden wir nicht können und das müssen wir auch anerkennen, weil ein Restrisiko immer bleibt. Das heißt aber auch für mich, dass wir in die Vermeidung von Straftaten stärker gehen müssen; also in die Prävention einerseits, aber andererseits eben auch an der Stelle, wo solch fürchterliche Straftaten schon verübt worden sind: Die Leute müssen wir so hart wie möglich dafür bestrafen. Es wird aber am Ende eben nicht das Restrisiko aufheben, was wir alle jeden Tag erleben. Das wird man durch keine Sicherheitsmaßnahme der Welt können. Man wird da irgendwann auch einmal eine Grenze ziehen müssen. Es wird aber allgemeingültige Vorgaben geben müssen. Weil ansonsten wird am Ende immer die Frage sein: Wer ist der zuletzt haftbar zu Machende? Und das ist im Moment immer die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister, die letztlich ihren Stempeln daruntersetzen oder mit ihrer Unterschrift als Chef der Verwaltung eine Veranstaltung freigeben. Und wenn da nicht jegliche Eventualität mit bedacht ist, macht sich eben letztlich der Behördenchef strafbar oder setzt sich der Generalkritik aus. Und wer will das schon gerne?

Also werden wir mit stark abgesicherten Veranstaltungen leben müssen?

Schneider: Ich glaube, zurück wird man nicht mehr kommen können, weil die Leute dann fragen: Seid Ihr Euch sicher, dass die, ich nenne sie mal Betonsperren, wegkönnen? Was ist denn, wenn etwas passiert? Die die Ausgangsfrage lautet ja immer: Was ist, wenn etwas passiert? Und die Antwort der Behördenleitung ist ja: Dann machen wir etwas dagegen, dann versuchen wir es zu verhindern. Tut man das nicht, wird, wenn was passiert, immer die Kritik sein: Warum habt Ihr denn nicht? Also die gleichen Leute, die sagen „das ist doch alles viel zu teuer, das ist doch der Wahnsinn“, werden diejenigen sein, die als erstes kritisieren würden, wenn was passiert ist. Aber auch da müssen wir einfach ehrlich sein: Es ist nicht alles abzusichern. Mit dem Restrisiko werden wir leben müssen.

Müsste das Land denn nicht bei der Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen stärker unterstützen?

Schneider: Ich glaube, dass die Kommunen das nicht allein bezahlen können. Die Kommunen können es auch nur bedingt den Vereinen oder den Veranstaltern übertragen, weil auch die das nicht lösen können. Und damit ist automatisch die Frage, wenn es weder die Städte noch die Veranstalter allein schaffen, ist es dann das Land oder der Bund, der helfen muss? Da die Polizeigewalt, die innere Sicherheit, erstmal beim Land liegt, würde ich da zuerst das Land sehen. Und da wäre es mir recht, wenn es verbindliche Auflagen und eine vernünftige Finanzierung geben würde.

Landräte und vor allem Bürgermeister fühlen sich von Bund und Land auch bei anderen Themen zunehmend im Stich gelassen. Sie sagen, dass sie mit immer mehr Aufgaben betraut, bei der Finanzierung allerdings allein gelassen werden. Können Sie das verstehen?

Schneider: Absolut. Es kommen immer mehr Aufgaben auf die Städte und Gemeinden zu, die gar nicht oder unzureichend von Bund oder Land finanziert werden. Wir reden aber mittlerweile an der einen oder anderen Stelle natürlich über Standards, die jetzt so schon einmal da sind und die man auch nicht zurückfahren können wird. Dort müsste man tatsächlich Bund und Land, die diese Kosten verursacht haben, auch zur Kasse bitten. Aber die Bereitschaft ist weder in Düsseldorf noch in Berlin da, weil natürlich jedes Parlament für sich am liebsten auf dem Geld sitzt, beziehungsweise es so einsetzt, wo man sich selber den größten Nutzen draus verspricht. Die ganzen Projekte und die Förderprogramme, die immer zeitlich begrenzt sind und wo man immer irgendwelche Anträge stellen muss, sind weit davon entfernt die Grundfinanzierung von Städten und Gemeinden sicherzustellen. Das wäre aber einfach das Wünschenswerteste. Ich kann meinen Kindern entweder genug Taschengeld geben, dass sie das nötige bezahlen können, oder ich kann ihnen sagen: Mach mal dieses oder jenes, um das Taschengeld zu bekommen. Letzteres macht aber unzufrieden.

Wie könnten Lösungen aussehen?

Schneider: Auf der einen Seite müssten erstmal allgemein die Schulden der Städte und Gemeinden beglichen werden, damit sie wieder bei null sind und neu anfangen können. Dann ist es aber wie bei (Schuldnerberater; Anm. d. Red.) Peter Zwegat aus dem Fernsehen: Wenn man am Ende des Monats zu viele Ausgaben und zu wenig Einnahmen hat, kann das nicht funktionieren. Das heißt, nachdem das Konto auf null gesetzt wurde, müsste geschaut werden, was ist tatsächlich von Bund und Land bestellt, was Bund und Land dann auch bezahlen müssen. Dann wird man am Ende auch mit einer null rausgehen können. Das bedeutet aber, dass Bund und Land auf enorme Steuereinnahmen und auf enormes Geld verzichten müssten. Und da sehe ich im Moment leider keine Bereitschaft, aber das wird es auf Dauer sein müssen. Die Bundesregierung hat hier mit dem Sondervermögen für die Infrastruktur einen immerhin einen Schritt gemacht. Doch leider bleibt die Landesregierung in bekannten Mustern und leitet weniger Geld an die Städte und Gemeinden durch als vorgesehen. Das kann nicht gut gehen. Wenn die Städte nicht mehr liefern können, wenn Straßen immer schlechter werden, wenn Infrastruktur schlechter wird, wenn Schulen schlechter werden, wenn all diese Dinge vom Bürger erlebt und gesehen werden, dann macht das enorm unzufrieden und das stärkt nur die Populisten und Extremisten.

Ein anderes Thema: Sie beschäftigen sich seit Wochen mit dem mutmaßlichen Giftmüll in regionalen Kiesseen. Wie bewerten Sie die aktuelle Informationslage – und fühlen Sie sich von den Behörden ausreichend eingebunden?

Schneider: Also es ist im Moment echt ein harter Streifen, weil Sie müssen den Behörden alles aus der Nase ziehenweil meine Kollegen und ich der Landesregierung alles aus der Nase ziehen müssen. Eine offensive Informationspolitik gibt es da nicht. Was schwierig ist, weil die Leute ja mitbekommen haben, dass es Razzien und eben eine Verklappung von Giftmüll gegeben hat. Und ich bin gerade jetzt wieder in mehreren Ausschüssen dabei, die Informationen eben an die Öffentlichkeit zu bringen. Letztlich müssen wir die Behörden dazu zwingen, Proben zu entnehmen. Es gibt hauptsächlich um die Frage, ob Grundwasser belastet ist, um dann ausschließen zu können, dass die Leute, die beispielsweise nebenan den Kleingarten besitzen, belastet werden mit Wasser, das Umweltgifte in sich hat. Dabei das beharrlich zu bleiben, ist eine Aufgabe, die im Moment kein anderer im Land übernimmt. Deshalb ist er mir umso wichtiger als Abgeordneter dranzubleiben, weil es eben diese Unsicherheit gibt bei den Menschen.

Welche politischen Konsequenzen sollte NRW aus diesem Fall ziehen, damit sich solche Vorfälle nicht wiederholen?

Schneider: Ich erlebe das ja schon länger, weil ich aus Kamp-Lintfort komme, wo es eine Giftmülldeponie gab, die auch lange Jahre und weit über die Zeit hinaus betrieben worden ist. Man kann mit der Beseitigung von Müll, insbesondere von Giftmüll, enorm viel Geld verdienen. Man kann noch viel mehr Geld damit verdienen, wenn man es illegal tut. Und wie immer an solchen Stellen, muss man dann als Staat, als Kontrollbehörde, besonders gut hinschauen und es nicht noch denen, die irgendwas Krummes machen wollen, noch einfacher machen, indem man wenig kontrolliert, nicht so genau hinguckt und nicht sofort handelt. Ich glaube, jetzt, nach diesem riesengroßen Skandal mit über einer Millionen Kubikmeter illegal eingebrachter Böden, muss man das hart bestrafen. Zudem muss man durch entsprechende Kontrollen auch sicherstellen, dass so etwas nicht mehr passiert. Da ist bisher in Nordrhein-Westfalen zu wenig gelaufen.

Sie haben die Klimaanpassungspläne der Landesregierung scharf kritisiert. Was fehlt Ihrer Meinung nach ganz konkret – und was müsste jetzt sofort passieren?

Schneider: Die NRW-Landesregierung sagt ja immer, dass sie das erste Klimaanpassungsgesetz in Deutschland verabschiedet hat. Das stimmt nominell auch. Wenn man dann aber mal reinguckt, was drinsteht, merkt man ziemlich schnell, dass dort – bis auf die Überschrift – ziemlich viel Folgenloses aufgeschrieben ist. Wir merken aber, dass sich das Klima verändert. Wir merken, dass es mal ganz trocken ist und dass es dann wieder furchtbar schüttet. Beides stellt die Städte und Gemeinden vor großen Herausforderungen. Die müssen ganz anders mit Kanalisation, mit Versickerungsflächen, mit Dachflächen oder mit vielen anderen Dingen umgehen. Das kostet immer Geld. Und wir haben ja schon über die Finanzlage der Städte und Gemeinden gesprochen. Deshalb ist die Hauptfrage: Woher soll das Geld kommen? Wenn ich Klimaanpassung auf Landesebene machen will, dann muss ich erst mal viel Geld mitbringen und den Städten und Gemeinden dieses Geld geben, damit sie sich eben auf diese Folgen einstellen können. Das ist meine Hauptkritik, dass das nicht passiert. Wir werden ja jetzt bald schon merken, dass die Klimaanpassungsmanager, die es fast überall durch eine Förderung gegeben hat, durch den Wegfall dieser Förderung zunehmend wieder verschwinden werden. Die Städte und Gemeinden selbst können es nicht finanzieren. Für sie ist es zudem keine Pflichtaufgabe, sich ans Klima anzupassen, sondern sie dürfen es lediglich, auch wenn sie es eigentlich müssten. Wenn sie dafür aber kein Geld haben, dann passiert da eben nichts. Wir merken jetzt schon, dass es an vielen Stellen eine Rolle rückwärts geben wird. Das ist total schlimm, weil die nächste Flutkatastrophe und der nächste Starkregen werden kommen. Deshalb – und das ist ein großes Thema bei uns am Niederrhein – ist auch der Deichschutz so wichtig. Der gehört noch stärker vom Land finanziert. Die Genehmigungsverfahren bei den Deichverbänden müssten in ihrer Umsetzung auch noch mehr vereinfacht werden. Das muss einfach schneller gehen. Das darf nicht an einzelnen Rechtsnormen, wie zum Beispiel im Denkmalschutz oder Naturschutz scheitern. Für mich hat die oberste Priorität das Menschenleben und danach kommt der Schutz von Natur und Sachwerten.

Wie gut sind Kommunen in Ihrem Wahlkreis von Kamp-Lintfort bis Xanten auf Starkregen und Hochwasser vorbereitet?

Schneider: Die Kommunen tun schon eine ganze Menge. Das muss man wirklich sagen. Die haben alle diese Hochwasser- und Starkregenkarten schon entwickelt. Alle arbeiten damit bereits – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – etwa bei Neubau- oder Kanalbaumaßnahmen. Aber jetzt kommt eben die Zeit der knappen Haushalte, in der sich Kommunen fragen werden, inwiefern Pläne, die wie wichtig sind, auch mit Geld umgesetzt weiter werden können.

Im Ausschuss für Wirtschaft und Energie sitzen Sie an einer Schnittstelle zwischen Ökonomie und Ökologie. Wie gelingt der Spagat zwischen Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit in einer Region mit viel Industrie und Mittelstand?

Schneider: Also erstmal schlägt mein Herz für Naturschutz, Klimaschutz und Klimaanpassungen. Aber ich bin auch kein Fantast und, dass man Betriebe auch nicht überfordern darf. Wir haben in Rheinberg beispielsweise chemische Industrie. Da ist ganz deutlich zu spüren, wenn Strompreise steigen. Sie bekommen zunehmend das Gefühl, ihnen wird die Luft abgeschnürt und die einzige Alternative ist, den Laden dicht zu machen. Und da bin ich an einem Punkt, wo ich sage: Am Ende muss der Mensch auch einen Arbeitsplatz haben und von dieser Hände Arbeit leben können. Und diese Arbeitsplätze zu sichern, ist mit unsere Hauptaufgabe. Und das miteinander und übereinander zu bringen, ist meine Aufgabe auch als Landespolitiker. Ich will den Klimaschutz nicht vergessen, aber ich muss auch zugestehen, dass wir Industriearbeitsplätze brauchen, dass wir Arbeitsplätze brauchen, dass wir Wertschöpfung brauchen, dass wir Wirtschaft brauchen, die eine Wertschöpfung hat, die ein Bruttosozialprodukt vorantreibt, weil sonst sind wir in der Region, wo kein Mensch mehr Arbeit findet. Und dann haben wir eben auch ein großes Problem. Und beides übereinander bekommen zu wollen, diesen Willen sehe ich ehrlicherweise im Moment nur bei der SPD. Sie versucht, nicht nur eine der beiden Facetten zu sehen. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass erst das Verbinden der beiden Facetten, Klima und Umweltschutz sowie eine ordentliche Wirtschaftspolitik, zukunftsfähig ist.

Viele Betriebe klagen diesbezüglich auch über Bürokratie. Wie kann Klimaschutz so gestaltet werden, dass Unternehmen ihn als Chance und nicht als Belastung wahrnehmen?

Schneider: Ich glaube, dass es bei der Klimaanpassung und beim Klimaschutz gar nicht so sehr die Bürokratie ist, die da stört. Aber Bürokratie ist für jede Ebene, für jeden Menschen, im Moment eine Tortur. Ich frage mich immer, wie es zu so viel Bürokratie gekommen ist. Sie war ja nicht schon immer da. Ich glaube, dass wir uns ein aufwachsendes Segel gegönnt haben als Gesellschaft, weil wir zwischendurch mal Ungerechtigkeiten erkannt haben, die wir durch ein ordentliches Gesetz ändern wollten. Aber wenn man dann alles zusammennimmt, gerade im Wirtschaftsbereich, kommt es zu so einem Wust an Regeln. Diesen Wust kann man, glaube ich, auch nur von oben nach unten bekämpfen. Also da muss es eine Ansage beispielsweise auf Landesebene des Ministerpräsidenten geben, der über Ressourcen hinweg sagt: Da müssen wir mal zusammenstreichen. Aber wir erleben im Grunde im Moment eher das Gegenteil; auch auf Landesebene. Wir merken es gerade beim Kiesausstieg: Da wird jetzt ein Degressionsfaktor erarbeitet, also eine Kennziffer, wie viel mehr oder weniger künftig abgegraben werden soll. Eine neue Studie, ein neuer Faktor, ein neues Regelwerk, ein weiterer Regelungspunkt. Da ist noch mehr Bürokratie, aber dieser Ausstieg ist immer noch nicht da. Es ist wirklich irre.

Wenn die Bürokratie in dem angesprochenen Punkt keine große Rolle spielt: Was schlagen Sie als umweltpolitischer Sprecher vor, wie man besonders Unternehmen beim Thema Klimaschutz noch mehr mitnehmen könnte?

Schneider: Ich glaube erstmal, dass Unternehmen sehr offen dafür sind. Was diese Firmen aber brauchen, ist eine klare Richtung. Es ist nichts schlimmer als dieses hin und her nach einem Wechsel von Regierungen. Wenn die Unternehmen wissen: Es gibt eine Besteuerung von CO2. Wenn die Unternehmen wissen, es gibt ab 2035 keine Neuanmeldung von Verbrenner-Autos mehr. Wenn die das alles fest wissen und nicht immer das Gefühl haben: Ach, nächstes Jahr könnte es ja schon anders sein, warum soll ich denn da überhaupt investieren? Dann wäre erstmal diese Unsicherheit weg. Diese Sicherheit muss man als Regierung im Land wie im Bund schaffen, indem man eine klare Ansage trifft und ein klares Gesetz verabschiedet und dann auch dazu steht. Wichtig ist aber, dass man die Voraussetzungen nicht alleine trifft, ohne vorher mal mit allen gesprochen zu haben. Es muss alles realistisch gestaltet werden. Die Politik darf nicht sagen: Wir geben da jetzt was vor, auch wenn es vielleicht nicht erreichbar ist. Den Realitätscheck muss jedes Gesetz machen, damit auch Klimaanpassung und Klimaschutz gelingen kann. Bei der Energiewende ist etwa gesagt worden: Wir steigen aus der Atomenergie aus, was ich total richtig finde. Aber es ist nicht beispielsweise darüber diskutiert worden, was das für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG; Anm. d. Red.) und die EEG-Gebühr heißt, die ich jetzt auf dem Strompreis habe. Was heißt das für das Netzgeld, was den Strompreis auch nochmal teurer macht? Hätte man das alles mal vorher gemacht, hätte es die Leute nicht so überrascht, dass der Strompreis jetzt so hoch ist und man hätte vielleicht auch viel früher überlegt, wie man die Industrie beim Strompreis entlasten kann. Da sind wir wieder bei der ersten Frage: Es ist wichtig, über alles gut bis zum Ende nachzudenken, die Lösung gut zu durchdenken, sie mit den Leuten zu besprechen und dann damit rausgehen. Dann sind wir bei diesem Punkt, dass die Absprache zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft stimmt und wir mit den Entscheidungen gut leben können.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Was treibt Sie im Landtag aktuell am stärksten an – und wo stoßen Sie politisch an Grenzen?

Schneider: Ich merke, dass es mehrere Themen gibt, die die Menschen bewegen. Die illegale Verklappung von Giftmüll in Kiesszenen ist so eins. Im Moment ist es auch die Veranlagung beim Deichverband Duisburg-Xanten, die für viele etwa in Moers und Kamp-Lintfort sehr überraschend kommt, weil die es überhaupt nicht kennen, dass sie Deichgebühren zahlen müssen. Und obwohl das Dinge sind, die ich als Politiker gar nicht zu verantworten habe, merke ich: Ich bin in eine Vermittlerrolle gekommen bin, die ich gerne habe. Ich möchte die Leute mit ihren Sorgen nicht allein lassen, egal wer eigentlich zuständig ist. Die Bürger haben Fragen. Sie sind zum Teil auch wütend. Sie haben zum Teil auch die falsche Zuordnung. wer da jetzt Verantwortung trägt. Das zu vermitteln, zu erklären und eben auch darzustellen, ist mir wichtig. Ich möchte den Menschen helfen. Ich glaube, da gibt es im Moment auch keinen anderen, der das so macht und die Rolle so ausfüllt, wie ich das tue. Das ist das, was mich im Moment auch umtreibt und anfeuert, weil ich denke, dass das genau die Rolle ist, die man als Landtagsabgeordneter haben muss. Man kann nicht nur in Düsseldorf rumtanzen und die große Politik machen wollen. Die andere Facette ist eben die Wahlkreisarbeit und die ordentlich zu machen, das macht auch richtig Spaß. Die Grenze ist allerdings immer da, wo Opposition aufhört. Um Wirkung richtig entfalten zu können, ist die Opposition einfach Mist. In der Regierung zu sein, ist immer besser, weil man dann eben die Dinge, bei denen man merkt, die könnten besser sein, auch besser machen kann. In der Opposition geht das oft nicht. Und deswegen ist es nach wie vor mein Ziel, auch irgendwann wieder in der Regierung zu sein und die Dinge dann voranzutreiben, von denen ich jetzt seit fast zehn Jahren denke: Das geht echt besser.

René Schneider vertritt den Wahlkreis Wesel II im NRW-Landtag Archivfoto: Chrisi Stark

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