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René Schneider vertritt den Wahlkreis Wesel II im Düsseldorfer Landtag. Foto: Chrisi Stark
11. Dezember 2024 · Sabrina Peters · Niederrhein

„Ich war erleichtert über das Ampel-Aus“

Landtagsabgeordneter René Schneider steht im NN-Interview hinter Bundeskanzler Olaf Scholz, kritisiert aber die NRW-Landesregierung für Sozialkürzungen

KREIS WESEL. 2024 war in vielerlei Hinsicht ein aufregendes Jahr: Die Bauernproteste machten im Januar den Anfang, das Aus der Ampel-Regierung in Berlin folgte im November. Der Landtagsabgeordnete René Schneider (SPD) sprach mit NN-Redakteurin Sabrina Peters unter anderem über die Landwirtschaft, Bundeskanzler Olaf Scholz und Peter Paic, der im Herbst nächsten Jahres neuer Landrat des Kreises Wesel werden möchte.

Das nun zu Ende gehende Jahr begann im Januar mit den Protesten der Bauern, die sich vor allem über die starken Regulierungen in der Landwirtschaft aufregten und gegen die Politik in Berlin, aber auch in Düsseldorf wetterten. Wie haben Sie die Proteste verfolgt und was ist Ihnen davon in Erinnerung geblieben?

René Schneider: Ich habe sie nicht nur verfolgt, ich durfte auch bei einer größeren Veranstaltung in Wesel vor den zu Recht sehr erbosten Landwirtinnen und Landwirten sprechen. Es war so, wie ich es eigentlich seit Jahren als umweltpolitischer Sprecher der SPD wahrnehme: Den Landwirten fehlt vor allem eine Verlässlichkeit in der Agrarpolitik. Sie wollen einfach wissen: Was wird in zehn Jahren sein? Investitionen in neue Ställe, in andere Tierhaltungsformen müssen sich für sie auch langfristig lohnen. Wenn man es dann noch schafft, die Konsumentinnen und Konsumenten mitzunehmen, weil sie bereit sind, für gute und heimische Qualität einen fairen Preis zu zahlen, dann haben wir auch den Landwirtinnen und Landwirten geholfen. Ebenso ist aber auch der Lebensmitteleinzelhandel in der Pflicht, der aktuell prächtige Gewinne mit den Produkten der Landwirte macht. Dieses Ungleichgewicht passt nicht.

Also können Sie die Proteste der Bauern und ihren Unmut verstehen?

Schneider: Total. Ich kann jedoch manchmal nicht verstehen, gegen wen in Persona sich ihr Unmut gezielt richtet. Ich bin SPD-Abgeordneter und liebäugle nicht mit den Grünen, aber die permanente Diffamierung der Grünen ist teilweise absurd. Gerade der Landwirtschaftsminister auf Bundesebene (Cem Özdemir von den Grünen; Anm. d. Red.) formuliert ja nur, was gerade draußen in Gang ist und er vollzieht nach, was die Konsumentinnen und Konsumenten mehr und mehr nachfragen: Das ist das Tierwohl, das sind vegane und vegetarische Alternativprodukte, das ist der Ausstieg aus einer Tierhaltung, die viele Tiere unter einem Dach vereint. Er vollzieht das nach, aber die Kritik richtet sich gegen den Minister, als ob er das für sich allein beschlossen hätte. Aber ich glaube, das ist mittlerweile auch eine Abstimmung an der Supermarktkasse. Da müssen wir Wege finden, wie wir das für die Landwirtschaft darstellen können. Das muss unser Ziel sein, statt einer Zeit nachzutrauern, die wir so nicht wiederbekommen werden.

Also muss der Verbraucher auch mitgenommen werden?

Schneider: Vor ein paar Jahren hatten wir schonmal ein Gespräch mit einem Lebensmitteldiscounter. Da ging es um die Umstellung des Tierwohls. Da war der Wunsch da, dass Tierwohl möglichst hochzuhängen und innerhalb des Discounters sollte eine gewisse Tierwohl-Stufe eingeführt werden. Wir haben als Abgeordnete ziemlich früh gefragt: Wer bezahlt das denn? Da war die Antwort: die Politik! Unseren Kundinnen und Kunden können wir das nicht zumuten. Da ist der springende Punkt: Der Lebensmitteleinzelhandel sagtdie Verbraucherinnen und Verbraucher wollen das, wir dürfen sie aber nicht mit den Preisen belasten, weil billig ist unser Credo. Also wer soll das bezahlen? Die Politik. Letztlich sind das dann aber die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Und das ist ein bisschen krumm. Erstmal ist ja es so, dass der Lebensmitteleinzelhandel große Gewinne einfährt. Da haben wir keine Branche in Not. Außerdem gehört der reine Wein dazu, den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu sagen: Wenn Ihr das wollt, wird es etwas kosten. Dann werden Produkte teurer, damit die Landwirte auskömmlich arbeiten können. Aber es kann eben nicht sein, dass die Supermarkt-Ketten alles abwälzen.

Anfang November kam dann das „Ampel-Aus“. Auch Ihre SPD war daran nicht unbeteiligt. Wie haben Sie im Düsseldorfer Landtag die Entwicklungen in Berlin aufgenommen?

Schneider. Ich war ehrlich gesagt erleichtert. Diese dreier Konstellation hat nicht mehr funktioniert und wir alle haben das gemerkt. Viele haben deshalb Neuwahlen gefordert, aber so einfach ist eine Neuwahl in Deutschland nicht – und das auch aus gutem Grund. Man kann keinen Schalter mal eben schnell umlegen und sagen: Es hat nicht geklappt, also lassen wir uns mal schnell scheiden. Was jetzt nach und nach aber klar wird, dass mit der FDP einer der drei Partner die ganze Zeit über intern die Arbeit hintertrieben hat. Er hat intern schon die ganze Zeit daran gearbeitet, die Ampel auseinanderfliegen zu lassen. Das lässt vermuten, dass die Koalition sehr viel besser hätte abliefern können, wenn denn alle daran Interesse gehabt hätten. Ich komme immer mehr zu dem Ergebnis, dass mindestens einer der drei Partner für sich gesagt hat: Eigentlich wollen wir gar nicht mehr mit Euch. Das sagen wir zwar nicht so offen, aber wir tun alles dafür, damit es daran kaputtgeht.

Also war allein die FDP Schuld am „Ampel-Aus“?

Schneider: Nein, sicherlich nicht allein. Aber wenn wir jetzt zum Beispiel mal das „D-Day-Papier“, wie es jetzt ja offiziell heißt, nachvollziehen, sehen wir, auf welchem Niveau die FDP taktiert hat, um das Ding gezielt auseinanderbrechen zu lassen. Wenn ich sehe, welche Rolle die FDP gespielt hat bei der Diskreditierung des Gebäudeenergiegesetzes. Von Beginn an haben sie keine Chance gelassen, das sauber auszuführen und den Leuten zu sagen: Wie kriegen wir es geschafft, die CO2-Emmission aus dem Keller herauszubekommen, ohne dass Ihr finanziell Probleme bekommt. Diese Chance hat nie bestanden. Der Kampfbegriff „Habecks Heizungshammer“ ist ja nur möglich geworden, weil die FDP die Pläne dazu durchgestochen hat. Und das ist schon ein springender Punkt. Dazu gehört aber auch die Wahrheit, dass diese dreier Konstellation Erwartungen geweckt hat, die schwer zu erfüllen sind. Viele dachten: Wir haben Ökonomie, wir haben Ökologie und wir haben das Soziale. Dafür stehen diese drei Parteien ja und alles drei kann parallel zusammen funktionieren. Das hat von Anfang an so nicht funktioniert, weil egal in welche Richtung ich zieh, etwas anderes zu kurz kommt. Wenn ich mehr Wirtschaft habe, gerät die Umwelt ins Hintertreffen. Wenn ich zu viel Soziales mache und keine Finanzierung beim Wirtschaftlichen habe, kann es aber auch nicht funktionieren. Es ist nicht gelungen, diese drei wichtigen Aspekte auszutarieren. Also ist dieser Traum, dass diese drei Partner zusammenarbeiten können, ein Traum geblieben, der nie so richtig wahr wurde. Drei sind manchmal einer zu viel.

Also wünschen Sie sich wieder eine Große Koalition im nächsten Jahr?

Schneider: Wünschen auf keinen Fall, aber es könnte durchaus darauf hinauslaufen. Die Sehnsucht bei vielen nach einer Großen Koalition, die alles so ruhig gemacht hat, ist wieder groß, nachdem vor vier Jahren der Ruf da war: Jetzt muss mal Schluss sein mit der Großen Koalition. So schnell ändern sich die Zeiten.

Was bekommen Sie vor Ort von den Wählern an Rückmeldungen zu spüren?

Schneider: Zu Beginn war es die große Unzufrieden über die „Ampel“. „Die Ampel muss weg“, war ja auch ein Schlachtruf. Ich glaube, dass die „Ampel“ zu Beginn besser war als ihr Ruf, aber jetzt ist es so, dass wir am 23. Februar eine Neuwahl haben werden. Die nächste Frage, die ich als SPD-Mitglied häufig gestellt bekommen habe, war: Wer wird denn Euer Spitzenkandidat? Boris Pistorius oder Olaf Scholz? Da war ja lange Zeit der Wunsch nach Pistorius. Die Diskussion darüber hat uns eher geschadet. Dass es jetzt Scholz geworden ist, ist kein Nachteil – im Gegenteil. Neueste Umfragen in der Kanzler-Frage sehen Scholz wieder ganz nah an CDU-Merz (Bundeskanzlerkandidat Friedrich Merz; Anm. d. Red.) ran. Ganz am Ende steht eben nicht die „Ampel“ auf dem Wahlzettel, sondern einzelne Parteien. Und es stehen sich zwei Spitzenkandidaten gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Spröde sind sie beide ein Stück weit, aber der eine deutlich seriöser als der andere.

Schon vor einem Jahr haben Sie aber zugegeben, dass Bundeskanzler Olaf Scholz zu wenig kommuniziert. Sehen Sie in ihn wirklich noch den richtigen Bundeskanzler?

Schneider: Ich bleibe weiterhin dabei, dass er als Kommunikator deutlich mehr tun müsste. Aber einschränkend muss man sagen, immer dann, wenn er sich erklärt, tut er das gut. Beispielsweise der Abend der Erklärung, warum er Finanzminister Linder (Christian Lindner, FDP; Anm. d. Red.) rausgeworfen hat, war ein Abend, wo er ganz klar hat durchblicken lassen, wie er sich in der ganzen Nummer fühlt. Also in dem Moment, wo er kommuniziert, tut er es gut. Er tut es nur zu selten.

Olaf Scholz musste an diesem denkwürdigen Gegner aber auch die „Teleprompter-Kritik“ einstecken, dass ja alles vorbereitet gewesen sei. Zudem meinten einige, dass man so nicht mit einem Koalitionspartner umgehen kann.

Schneider: Ich glaube, wenn man sich fast drei Jahre zusammenreißen, jedes Mal den Zorn runterschlucken muss und sich jedes Mal wieder sagt: Du versuchst es aber nochmal. Jedes Mal wird aber hintertrieben, was wir doch alle gespürt haben, und dann gehst du trotzdem mit einem Kompromiss raus und hinterher war es dann doch nicht so. An diesem Moment der Geschichte mag man denken, dass pure Emotion alles schlägt und man alles einfach so äußern könnte, ohne etwas Vorformuliertes. Dieses Gefühl mag man haben, aber am Ende wird man doch danach bewertet, was man wortwörtlich gesagt hat und jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt. Deshalb kann ich diese Form der Vorbereitung verstehen. Es gab ja nur diese zwei Möglichkeiten: Entweder man kommt als Koalition nochmal da raus, oder es ist einem alles um die Ohren geflogen. Dass man sich auf diese beiden Eventualitäten vorbereitet, aber trotzdem sagt, was man denkt, finde ich vollkommen in Ordnung.

Die Opposition forderte im Anschluss schnellere Neuwahlen, als Bundeskanzler Scholz sie ursprünglich möglich machen wollte.

Schneider: Dieser Druck hat uns die Neuwahl jetzt zwei Wochen vorher beschert. Da frage ich mich bis heute, wo darin jetzt der große Vorteil besteht. Man sieht ja von außen nur den Wahltag. Dahinter steckt aber ein Nominierungsverfahren bei den Parteien. In jedem Wahlkreis brauche ich Menschen, die kandidieren. Diese muss ich nach einem Wahlgesetz aufstellen. Dahinter stehen große Formalitäten mit Reservelisten und vieles mehr. Vom Prozess her ist das ein Riesending, was auch die CDU mittlerweile merkt. Und das alles muss jetzt auch noch über Weihnachten erfolgen. Ich bin froh, dass wir mit Kevin Waldeck schon früh unseren Kandidaten aufgestellt hatten, noch bevor die Ampel zerbrochen ist. Wir sind klar, mit wem wir in den Wahlkampf ziehen – Termin egal.

Zudem müssen die Kommunen innerhalb von 100 Tagen einen solchen Wahltag vorbereiten. Sie brauchen Wahlhelferinnen und Wahlhelfer und müssen Stimmzettel drucken. Das heißt, da wird ein enormer Druck aufgebaut, dass alles auch rechtlich richtig hinzukriegen – das alles, um zwei Wochen zu gewinnen. Und was wir nicht vergessen dürfen: Wir werden jetzt alle vier Jahre einen Winter-Wahlkampf erleben. Das heißt, liebe Leserinnen und Leser, wir treffen uns in vier Jahren zum Glühwein am SPD-Infostand auf dem Weihnachtsmarkt. Da freut sich wohl keiner drüber. Sie möchten irgendwann auch Ihre Ruhe zum Fest und wir möchten Ihnen eigentlich auch nicht ständig noch politische Botschaften untern Weihnachtsbaum legen.

Auf kommunaler Ebene haben Sie schon die Weichen für das kommende Wahljahr gestellt. Ihr Parteikollege Peter Paic möchte nächster Landrat des Kreises Wesel werden und fordert Amtsinhaber Ingo Brohl von der CDU heraus. Braucht der Kreis Wesel diesen Machtwechsel aus Ihrer Sicht?

Schneider: Erstmal braucht der Kreis Wesel eine Alternative. Ich finde, Wahlen ohne Wahl sind langweilig. Dass sich die Grünen hinter Landrat Ingo Brohl stellen, finde ich ein Stück weit schade, weil sie dadurch völlig an Kontur verlieren. Das wird ihnen auch nicht gerecht. Mit Peter Paic haben wir den Kandidaten, den wir auch schon vor fünf Jahren aufgestellt haben. In der Zwischenzeit hat er viel Erfahrung als Fraktionsvorsitzender und auch an Kontur gewinnen können. Er kommt zudem mit alternativen Vorstellungen, zum Beispiel beim ÖPNV, der sich in den vergangenen Jahren überhaupt nicht verbessert hat. Also keiner kommt mittlerweile schneller ans Ziel. Bei den Kommunalfinanzen muss man sagen, dass der Kreis Geld zurückhält, was einzelnen Kommunen schadet. Sozial ist es darüber hinaus auch nicht weitergegangen. So wie die schwarz-grüne Landesregierung kürzt, so zeigt sich auch der Kreis relativ kaltherzig, was Wohlfahrtsverbände angeht. Ich glaube, da geht überall noch mehr. Wenn man überlegt, wie auch der Personaletat im Kreis erhöht wurde – dazu gehören unter anderem zwei persönliche Referenten des Landrats, wo ich mich frage, wofür er die braucht. Zu Zeiten von Ansgar Müller (ehemaliger Landrat der SPD im Kreis Wesel, Anm. d. Red.) wäre das der SPD mächtig um die Ohren geflogen. Scheinbar ist das aber mittlerweile ganz normal. Ich finde das aber komisch, weil die Kommunen am Ende zur Kasse gebeten werden.

Sie glauben, dass Paic trotz seiner Niederlage vor fünf Jahren gegen Brohl der richtige Kandidat ist?

Schneider: Absolut. Vor fünf Jahren hat er sich zwar als sehr versierter Wirtschaftsmensch gezeigt – er hat ja seinen Doktor in Wirtschaftswissenschaften und ist bei IT NRW in der Landesoberbehörde tätig und kennt damit sowohl Verwaltung als auch Wirtschaft –, aber er brachte damals noch nicht die kommunale Erfahrung mit. Diese Lücke hat er in der Zwischenzeit schließen können, eben auch mit der Erfahrung als Fraktionsvorsitzender. Als solcher hat er mittlerweile Haushalte mit aufgestellt und hatdie Kritik etwa der Sozialverbände und am ÖPNV im Kreis Wesel hautnah mitbekommen. Das ergänzt das Gesamtpaket Peter Paic ganz entscheidend.

Beim Thema ÖPNV hat sich in den vergangenen Jahren niemand mit wirklich guten Ideen hervorgetan. Was möchte die SPD beziehungsweise Peter Paic denn da nun besser machen?

Schneider: Erstmal kann ein Landrat dieses Problem allein natürlich überhaupt nicht lösen. Der Landrat muss aber die Bedarfe erkennen und gemeinsam mit den Kommunen festlegen, wie man das hintereinander bekommt. Es geht nicht allein darum, wie viele Busse fahren im Kreis oder in einer Kommune, sondern wie verbinde ich die Kommunen miteinander. Teilweise ist das aktuell völlig dysfunktional. Das muss moderiert werden. Zudem muss man die Finanzmittel dafür bekommen und gleichzeitig muss man bei der Deutschen Bahn bezüglich des RB31 in Xanten auch den Druck aufrechterhalten. Außerdem muss man neue Verbindungen etwa mit der Niederrheinbahn nach Kamp-Lintfort zügig und im Zeitplan mitvoranschieben. Das sind Sachen, die ein Landrat durchaus machen kann. Da geht noch sehr viel mehr. Ebenso kann ein Landrat Impulsgeber bei einem on-Demand-Verkehr sein. Es muss kein leerer Bus nachts um 23 Uhr durch Kleinstdörfer fahren, aber man muss für die drei Menschen, die dort leben und von A nach B kommen wollen, für eine Verbindung sorgen. Dafür brauchen wir beispielsweise Transportangebote auf Nachfrage.

Im Rahmen einer neuen Klimaanpassungsstrategie setzt NRW auf 110 Maßnahmen gegen Folgen des Klimawandels. Reicht das für Sie aus?

Schneider: Wir waren zunächst sehr überrascht, was da zusammengekommen ist. Dass ausgerechnet diese Zahl am Ende dasteht, ist ja auch Symbolpolitik – die 1-1-0. Aus meiner Sicht ist das eine lose Zettelsammlung, die da zusammengetragen worden ist. Da sind ganz viele Maßnahmen zusammengeschrieben worden, die angeblich zur Klimaanpassung führen sollen, die generalstabsmäßig vom Land angegangen würden. Wir haben auch mal nachgeguckt und nachgefragt, was da letzten Endes hinter sitzt. Die Flächenversiegelung ist etwa ein großes Problem. Überall wo Flächen versiegelt sind, kann kein Wasser mehr abfließen. Also sagt eine dieser Maßnahmen, wir müssen den AAV stärken, das ist eine Gesellschaft, die – auch finanziert vom Land – Flächen recycelt. Die werden seit Jahren mit nur sieben Millionen Euro im Jahr finanziert – Tendenz gleichbleibend. Vergangenes Jahr hat man einmalig zwei Millionen Euro draufgelegt. Dafür hat man im nächsten Jahr im Haushalt den Betrag auch schon wieder um eine halbe Million Euro verringert. In der Klimaanpassung steht das als Maßnahme, die wir ganz besonders fördern müssen. Aber die Landesregierung tut das Gegenteil. Sie kürzt Mittel in diesem Bereich, stellt es aber so dar, als würde sie etwas anderes tun. Es stehen auch Maßnahmen drauf wie Bildung, Aufklärung und Information. Ja, das ist auch alles wichtig, aber das gehört nicht wirklich zur Klimaanpassung.

Was fehlen Ihnen für Maßnahmen?

Schneider: Zum Beispiel das sogenannte fünf-Hektar-Ziel. Jeden Tag haben wir im Moment noch knapp sechs Hektar, die versiegelt werden, wo also ein Parkplatz entsteht oder ein Haus gebaut wird. Es gab mal Bestrebungen zu sagen, dass wir das auf „netto-Null“ zurückfahren wollen, also dass so viele Hektar entsiegelt wie versiegelt werden. Auf dieses Ziel kommen wir gar nicht. Im Koalitionsvertrag steht das Ziel fünf Hektar, was immer noch eine ziemlich große Fläche ist, die versiegelt werden würde. Dieses Ziel findet man aber nicht in den Klimaanpassungsmaßnahmen. Sie gehören aber da rein. So hat man also eine Mischung aus vielen, nicht zu Ende gedachten Maßnahmen, aus Maßnahmen, wo gekürzt wird, und aus Maßnahmen, die gar nicht erst zu finden sind. Das ist echt schmal.

Sie kritisieren auch, dass für den Hochwasserschutz zu wenig Geld da ist.

Schneider: Beim Hochwasserschutz – was auch für unsere Region hier sehr wichtig ist – wird seit Jahren kein Geld draufgelegt. 83 Millionen Euro ist etwa der Jahresetat in 2025. Experten schätzen, dass wir aber eine Milliarde Euro pro Jahr für die nächsten 20 Jahre brauchen, um alle Hochwasser-Schutzanlagen gegen den Klimawandel zu ertüchtigen – und da reden wir nicht einmal nur über den Rhein. Die 83 Millionen Euro sind also viel zu wenig.

Als umweltpolitischer Sprecher der SPD im Landtag haben Sie im Oktober aber auch gleichzeitig angemahnt, dass nicht die kompletten 83 Millionen Euro, die für den Hochwasserschutz vorgesehen sind, auch abgerufen werden. Worin liegt da das Problem?

Schneider: Da gibt es mehrere Probleme. Mit den Deich-Verbänden bin ich diesbezüglich im ständigen Austausch. Das Hauptproblem liegt bei den Genehmigungen. Die Bezirksregierung muss ja die Maßnahmen zusammen mit den Deich-Behörden genehmigen. Von da höre ich immer, dass es ein sehr sperriges Verfahren ist . Hinzu kommt noch, dass wir zu wenig Mitarbeitende in dem Bereich haben. In der Bezirksregierung gibt es schlichtweg zu wenige Menschen, die einen Stempel hinter diesen Genehmigungen machen können. Das führt dazu, dass wir Verzögerungen haben – teilweise so lange, dass man manche Anträge und Untersuchungen wiederholen muss, weil man sagt, nach drei, vier Jahren ist der Antrag veraltet, da brauchen wir jetzt aber einen neuen Antrag oder ein neues Gutachten..

Wie könnte es diesbezüglich besser laufen?

Schneider: Wir müssten als Gesetzgeber Prioritäten setzen. Ein Beispiel: Beim Deichverband Bislich-Landesgrenze gab es einen Deich, der über einen Bunker hinweggehen soll. Der Deichverband hat natürlich gesagt: Den Bunker machen wir weg. Der Denkmalschutz sagte aber: Nein, der steht unter Denkmalschutz, den müsst Ihr mit einbauen. Der Deichgräf kriegt da schwitzende Hände, weil er natürlich sagt: Ich kann doch keinen Bunker in einen Deich einbauen. Da ist ja dann eine Stelle, wo potenziell der Deich brechen könnte. Aber da steht der Denkmalschutz gegen den Deichschutz und das verzögert das Ganze natürlich auch nochmal. Da müssen wir jedoch Prioritäten setzen. Der Schutz der Menschen vor Hochwasser muss absolute Priorität genießen! Als Lösung auf die Personalnot in der Bezirksregierung brauchen wir eine Abordnung von Beamtinnen und Beamten, die sich genau in diesem Bereich auskennen. Denn was ist wichtiger als der Hochwasserschutz – gerade hier am Niederrhein entlang des Rheins? Wenn die Deiche hier brechen, ist Feierabend.

Wären wir bei einem erneuten Hochwasser, wie es das 2021 im Ahrtal gab, wirklich gewappnet?

Schneider: Nein. Waren wir nicht und werden wir auch nie sein. Wenn man ehrlich ist, werden wir gewissen Naturkatastrophen niemals vorbeugen können. Das geht einfach nicht. Dafür kann man etwa keine Kanalisation bauen. Man kann sich allerdings bestmöglich vorbereiten. Aber ich glaube, dass die zurückliegende Zeit dafür nicht gut genutzt wurde. Wir wollten damals die Pegelmessnetzstellen an kleinen und mittleren Flüssen ausbauen, die uns schon frühzeitig anzeigen: Da kommt was. Drei Jahre nach der Katastrophe gibt es von 25 geplanten Pegelmessnetzstellen aber nur einen einzigen Spatenstich. Auch bei den Deichen – gerade an Emscher und Lippe – gibt es Verbesserungsbedarf.

Es gibt aber auch gute Nachrichten: Der Deichverband Duisburg-Xanten saniert seit April dieses Jahres einen Deich-Abschnitt von 40 Kilometern in Wallach.

Schneider: Hier wird vorbildlich agiert. Die Deiche bei uns am Niederrhein sind in guten Händen. Die Deichverbände, die hier arbeiten, arbeiten aber auch am Anschlag. Sie tun wirklich alles Menschenmögliche, um das gut und schnell hinzubekommen. Und auch sie kämpfen mit den Widrigkeiten wie den Genehmigungsbehörden, Restriktionen oder Umweltbelangen, die dem Hochwasserschutz entgegenstehen, wobei da für mich der Hochwasserschutz immer absolute Priorität hat. Insgesamt können wir auf Landesebene bei diesem Thema aber noch viel mehr unterstützen.

Sie haben zuletzt die geplanten Sozialkürzungen der schwarz-grünen Landesregierung kritisiert. „Nordrhein-Westfalen war immer das Land des Zusammenhalts und der sozialen Gerechtigkeit und wir wollen, dass das so bleibt. Was es dazu braucht, ist ein politischer Wille. Die CDU hat ihn offenbar nicht“, haben sie gesagt. Was sind Ihre Forderungen?

Schneider: Wir haben einen Haushalt, der historisch groß ist: 105 Milliarden Euro. Das heißt, von sparen kann überhaupt keine Rede sein. Der Haushalt wird immer dicker und größer. Da kann man doch nicht sagen: die 83 Millionen im sozialen Bereich haben wir jetzt aber nicht mehr. Die Selbstbewirtschaftungsmittel, also sozusagen das Sparbuch der Ministerien, ist mit zeitweise acht Milliarden Euro auf der hohen Kante prall gefüllt. Sie sind für spätere Anschaffungen und Investitionen gedacht, aber werden seit Jahren nicht abgerufen. Wir fragen uns: Warum liegen die da? Mit einer Milliarde Euro könnte ich über zehn Jahre lang diesen Sozial-Haushalt einfach komplett durchfinanzieren, ohne auch nur einen Moment lang darüber nachdenken zu müssen. Und das meine ich mit Prioritätensetzung. Man könnte, wenn man denn nur wollte.

Trotz des von Ihnen bereits angesprochenem Rekord-Budgets im Haushalt 2025 plant die Landesregierung Kürzungen bei Inklusion, Alter und Pflege.

Schneider: Es wird ja immer allgemein argumentiert mit: Wir müssen sparen. Ich sehe da aber kein sparen, wenn der Haushalt immer größer wird. Wenn ich jetzt das erste Mal in der Landesgeschichte über 100 Milliarden Euro im Haushalt habe, wird da mehr reingesteckt. Und wenn ich weiß, dass ich auf dem Sparbuch bei den Selbstbewirtschaftungsmitteln auch Milliarden Mittel habe, die da liegen, gleichzeitig aber sage, ich habe die 83 Millionen Euro für den sozialen Bereich nicht, wird es absurd.

Welche Alternativen schlägt die SPD-Fraktion vor?

Schneider: Die Selbstbewirtungsmittel müssen aufgelöst werden. Wenn ich etwa acht Milliarden Euro auf der hohen Kante habe und davon 83 Millionen Euro nehme, kann ich das sehr, sehr lange machen, bevor ich das erste Mal wirklich sparen muss. Zumal inzwischen auch ein Gutachten des Landtags vorliegt, das verfassungsrechtliche Bedenken anmeldet, wenn die Landesregierung immer mehr solcher Mittel anhäuft.

Auch beim Schulobst-Programm gehen 14 von 36 Bildungseinrichtungen, die sich aus dem Kreis Wesel beworben hatten, leer aus. Sie forderten deshalb die Rücknahme von Kürzungen der Landesregierung. Ziel der SPD sei eine kostenfreie, schmackhafte und kindgerechte Verpflegung an allen Schulen in Nordrhein-Westfalen anzubieten.

Schneider: Das muss ganz einfach auch ein Ziel dieser Landesregierung werden. Wir hatten das 2022 im Wahlprogramm. Wir wollten diese kostenlosen Mahlzeiten an Kitas und an Ganztagsschulen, weil unsere Erfahrung ist, dass an vielen Schulen des Landes Kinder ohne Pausenbrot zur Schule kommen. Sie bekommen manchmal den ganzen Tag nichts Vernünftiges zu essen. Den Kindern täten wir damit einen großen Gefallen. Dieses Schulobst-Programm ist nur ein kleiner Teil dessen, aber ein Teil, der richtig ist. Da hat mich in den vergangenen Tage noch eine Schulleiterin drauf angesprochen ist, dass das gut für die Kinder ist. Aber da braucht man einen politischen Willen.

Könnte davon sogar die heimische Landwirtschaft profitieren?

Schneider: Ja, Stichwort Regionalvermarktung, die ja auch im Kreis Wesel eine große Rolle spielt. Wenn ich den Landwirtinnen und Landwirten sagen könnte: Ihr produziert jetzt für die Schulen im Kreis Wesel – sicherlich ist da nicht ganzjährig etwas drin und man muss auch nochmal beispielsweise eine Banane dazukaufen –, aber die Landwirtinnen und Landwirte hätten feste Erlöse. Die Schülerinnen und Schüler sind ja da. Aber dazu müsste ich beides – Schule und Landwirtschaft – miteinander verknüpfen und schauen, wie ich das umsetze und was das kostet. Dazu kann man auch die Landwirtschaftskammern und den Lebensmitteleinzelhandel mit ins Boot holen.

Der andauernde Krieg in der Ukraine, die gestiegenen Verbraucherpreise, die politischen Unruhen in Berlin, der massive Stellenabbau in der Automobilbranche. Die Schlagzeilen in den vergangenen Wochen und Monaten waren fast durchweg Negativen. Gibt es eine Botschaft, die Sie den Bürgern des Kreises Wesel in diesen schwierigen Zeiten mitgeben möchten?

Schneider: Ich glaube, das Beste kommt erst noch, weil es einfach unsere Zukunft ist. Es wäre traurig, wenn es nicht so wäre. Aber natürlich reicht es nicht, an das Gute zu glauben. Wir müssen alle etwas tun. Wir müssen weg von den jeweiligen Egoismen, weg von Schwarz und Weiß, hin zu der gemeinsamen Lust, die Dinge in der Gemeinschaft wieder zum Besseren zu gestalten. Das kann aber keine Politik der Welt, keine Wirtschaft, kein Heilsbringer, kein Einzelner von uns, sondern nur wir alle zusammen. Diese Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann, brauchen wir. Und damit meine ich nicht die Politik, sondern die Art in unserer Gesellschaft zwischen richtig und falsch, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen die und ich. Das muss einfach aufhören. Nur in der Gemeinschaft sind wir stark und nur dadurch kann das Leben gut sein.

René Schneider vertritt den Wahlkreis Wesel II im Düsseldorfer Landtag. Foto: Chrisi Stark

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