„Drei Kinder waren für den Arbeitsmarkt einfach zu viel“
Mit 41 Jahren startet Erika Müller als Umschülerin in der Floristik durch
KLEVE/KALKAR. Seit einem Jahr wird Erika Müller in der Blumenwerkstatt des SOS-Kinderdorf Niederrhein am Klapheckenhof in Kellen zur Floristin ausgebildet. Die 41-Jährige ist alleinerziehende Mutter von drei Töchtern. Zwei davon sind mit 17 und 20 Jahren schon groß, die Jüngste besucht die Grundschule. Das Besondere: Erika Müller wird in Teilzeit umgeschult. 36 Monate dauert die Umschulung insgesamt, wer in Vollzeit lernt, kann nach 24 Monaten die Abschlussprüfung vor der Industrie- und Handelskammer ablegen.
Für die dreifache Mutter ist die Umschulung ein Volltreffer und berichtet: „Das Lernen fiel mir schon immer sehr schwer. Nach der Grundschule habe ich die Förderschule besucht, am Berufskolleg in Kleve habe ich mit viel Anstrengung den Hauptschulabschluss nach Klasse 9 nachgeholt. Die Umschulung ist vom Lernen her für mich anstrengend. Aber ich bekomme hier sehr guten Stützunterricht in Deutsch und Mathematik für die Berufsschule. Anleiter und Florist-Meister Meik Schnitger hilft mir mit dem botanischen Fachwissen und die pädagogischen Fachkräfte des SOS-Kinderdorf stehen mir bei allen Sorgen und Nöten, die der Alltag mit sich bringt, zur Seite. Das alles hilft mir sehr.“
Gebürtig kommt Erika Müller aus Kasachstan, mit fünf Jahren folgte der Umzug nach Deutschland. Zunächst wuchs sie in Dinslaken auf, bevor sie mit ihren Eltern und Geschwistern nach Hönnepel zog. Hier lebt sie auch heute noch mit ihren drei Töchtern. Die erste Tochter kam während ihrer Ausbildung zur Beiköchin, die sie am damaligen Theodor-Brauer-Haus in Emmerich absolvierte, zur Welt. Die Zwischenprüfung bestand sie hochschwanger als Jahrgangsbeste. Danach folgte die Elternzeit, die zweite Tochter wurde geboren, die Ausbildung nicht mehr beendet.
Später heuerte Erika Müller, die selbst die älteste von fünf Geschwistern ist, in der Gastronomie an, wo sie fünf Jahre in Teilzeit arbeitete, bevor sie in den Verkauf wechselte und dort in Vollzeit tätig war. „Im Grunde genommen war ich schon immer alleinerziehend. Ich hatte Betreuungsmöglichkeiten für meine Kinder, erst in der Kita bis 17 Uhr und dann im offenen Ganztag bis 16 Uhr.“
Mit der Geburt ihres dritten Kindes und der anschließenden Elternzeit wurde es auf dem Arbeitsmarkt schwieriger: „Ich bekam einfach keine Anstellung. Obwohl die Großen ja schon älter waren – drei Kinder waren für den Arbeitsmarkt einfach zu viel. Das wurde mir auch ganz klar so gesagt.“ Die Phase der Arbeitslosigkeit beschreibt Erika Müller als deprimierend. „Das Licht am Ende des Tunnels fehlte.“ Sie war nicht nur alleinerziehend, sondern auch komplett auf sich alleine gestellt. „Da war keiner, der mir geholfen hat. Natürlich habe ich mich um die Kinder, das Haus, den Garten gekümmert, aber ich wollte einen Job“, blickt die Umschülerin zurück und sagt weiter: „Ich habe von meinen Eltern vorgelebt bekommen, das man arbeitet und Geld verdient, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Auch meine Mutter mit ihren fünf Kindern hat immer gearbeitet und das tut sie auch heute noch.“
Die Fallmanagerinnen des Jobcenters in Kalkar schlugen ihr zunächst eine Teilnahme an der Aktivierungsmaßnahme „Wir sind aktiv“ des SOS-Kinderdorf Niederrhein vor, um neue berufliche Perspektiven auszuloten. „Dieses dreimonatige Angebot hat mir so gut gefallen, dass ich verlängern wollte und konnte. Endlich wieder mit einem Ziel aufstehen, aus dem Haus rauskommen, Fortschritte waren sichtbar. Das hat mir gutgetan.“
Über die Maßnahme kam sie auch an ein Praktikum in der Blumenwerkstatt des Sozialträgers. Erika Müller erklärt: „Mein erstes Projekt im Praktikum war die Pop-up-Frühlingsausstellung, die das SOS-Kinderdorf Niederrhein damals bei Galeria in Kleve durchgeführt hat. Die Vorbereitungen, der Aufbau, der Kontakt zu den Kunden – das war für mich der Auslöser Floristin werden zu wollen.“ Das Jobcenter wurde überzeugt, der Bildungsgutschein für sie ausgestellt.
„In der Umschulung zur Floristin lerne ich alles über Blumen und Pflanzen. Ob der Aufbau von der Wurzel bis zur Blüte, die richtige Versorgung oder natürlich das Binden von Sträußen, die Anfertigung von Gestecken oder die Bepflanzung von Gefäßen. Besonders schön finde ich, dass wir die Menschen in ihrem Leben vom Anfang mit Geburt und Taufe über Hochzeiten und Geburtstage bis hin zum Ende des Lebens mit anlassbezogener Floristik begleiten dürfen.“
Für ihr Ziel, in zwei Jahren den Abschluss mit der Note 2 zu schaffen, nimmt Erika Müller viel in Kauf. Zweimal pro Woche fährt sie mit Bus und Bahn nach Duisburg zur Berufsschule. „Ich stehe um vier Uhr in der Früh auf, mache alles für die Kinder fertig und steige dann um 5.50 Uhr in den Bus, der mich von Kalkar nach Rees fährt. Dort nehme ich die Regionalbahn Richtung Duisburg. Zwischen 17 und 18 Uhr bin ich dann wieder zu Hause. Die Großen ziehen mit und passen auf ihre kleine Schwester auf, wenn ich noch unterwegs bin.“ Die Schnellbuslinien im Kreis und das Deutschland-Ticket für die Fahrten nach Duisburg hätten vieles erleichtert. An den anderen drei Tagen ist sie von 9 bis 15 Uhr in der Blumenwerkstatt in Kleve-Kellen. Auch dorthin nimmt sie den Bus. Einen Führerschein besitzt die 41-Jährige bislang nicht – „das Geld reichte nicht“. Diesen will sie in der nächsten Zeit angehen. „Denn nach der Umschulung möchte ich auf jeden Fall als Floristin im Kreis Kleve arbeiten“, ist sich Erika Müller sicher. Die ersten Kontakte zu Betrieben hat sie bereits bei ihren Praktika gelegt. Heute schaut die alleinerziehende Mutter optimistisch auf ihre berufliche Zukunft, dank der Umschulung zur Floristin.
Wer sich ebenfalls für eine Umschulung in der Floristik interessiert, kann mit Anleiter und Florist-Meister Meik Schnitger unter Telefon 02821 / 780614 oder per E-Mail meik.schnitger@sos-kinderdorf.de Kontakt aufnehmen.