Zwischen den Fingerspitzen

Oper ist nicht jedermanns Ding. Zu viel Lametta. Zu wenig Eigentliches – könnte man meinen. Von wegen. Es geht auch anders. ‚Upload‘ ist eines dieser Ereignisse, nach denen man sich im eigenen Leben neu einrichten möchte, weil man angerührt wurde bis ins Mark.

Virtuelle Wirklichkeit

90 Minuten hat man mit einem kleinen Ensemble (Ensemble Musikfabrik, Leitung: Otto Tausk) und zwei Sängern (Julia Bullock, Roderick Williams) verbracht – hat die Zeit vergessen und ist in eine Wirklichkeit gewachsen, die vielleicht nicht weit entfernt ist. Die Idee: Ein Mensch durch eine digitale Version seiner selbst ersetzt. Das ist der Upload. Ist der Upload vollzogen, muss die analoge Version des Individuums ihre Existenz beenden. Man erlebt einen Gedanken beim Entstehen. Bei der Ausführung. In der Konsequenz. Da wird ganz großes Theater entfacht, dessen unglaubliche Kraft aus der Tatsache wächst, dass es kein Theater zu sein scheint, was man da erlebt. Die Grenzen zwischen dem Virtuellen und dem Wirklichen verschwimmen. Die Wahrnehmung des Raumes, in dem all das stattfindet und also inszeniert wird, ist am Ende nicht mehr taxierbar.

-Anzeige-

Michelangelo

‚Upload‘ stellt eine selten zu erlebende Einheit von Handlung und Musik her und öffnet den gedachten Spalt zwischen Realität und Wirklichkeit. Man fühlt sich wie in der Sixtinischen Kapelle – man wird zur Schnittstelle zwischen dem ausgestreckten Schöpferfinger und dem von Adam. Im Abstand offenbart sich die Verbindung.
Zwischendrin: Erinnerungen. Soylent Green taucht vor dem geistigen Rückspiegel auf. Kubricks 2001 winkt aus der Ferne – Arrival vielleicht … Aber ‚Upload‘ ist ein Stück, das vom Kopieren erzählt, ohne jemals Kopie zu sein. ‚Upload‘ grenzt ans Ultimative. Alles beginnt in einem Nichts. Man ahnt nicht, was kommen wird. Da sitzt man und denkt: Oper. Und dann passiert das Leben. Man steht vor den eigenen Erinnerungen. Den Erwartungen. Den Hoffnungen. Den Träumen, die keine Träume mehr sind, weil sie sich aus der Deckung des Unanstastbaren gewagt haben. ‚Upload‘ ist Film und Oper, Traum und Wachsein.

Genial unmerklich

‚Upload‘ – das ist nicht nur die Musik – es ist auch ein immenser Aufwand an Technik, der aber nicht mehr ist als ein Mittel zum Zweck. Die Technik verschwindet hinter dem Wunderbaren. Es gibt Stellen, die atemraubend sind. Das Ensemble auf der Bühne: hervorragend. In seiner Musikalität. In der Perfektion. In der Konzentration auf das Zurückgenommensein. Julia Bullock und Roderick Williams demonstrieren eindrucksvoll, dass Gesang anrührend, weil schlicht sein kann. ‘Upload’ erlaubt das, denn was Michel van der Aa komponiert und konzipiert hat, ist kammermusikalisch, ohne klein zu wirken. ‘Upload’ ist eine Oper in der Dimension des Liedes. Die Inszenierung: genial in ihrer Unmerklichkeit. Man glaubt zu spüren, dass alles hier (Komposition, Inszenierung, Libretto, Filmspkript) aus einer Hand stammt – aus einem Kopf: aus einer Vorstellung. Der zugehörige Name: Michel van der Aa. “Er ist”, heißt es im Begleittext, “einer der herausragenden niederländischen Komponisten seiner Generation.” Man kann das nur unterschreiben. Da war einer am Werk, der ein Gesamtkonzept denken und umsetzen kann. Da beherrscht einer seinen Stoff bis in die kleinste Faser. Da entsteht, während man staunend dasitzt, etwas Großartiges.

Ewigkeitsgaukelei

‚Upload‘ ist eine Studie über das Verschwinden im Denken und die Gefahr, die von  einer fahlen Ewigkeitsgaukelei ausgeht. Was wäre, wenn man ewig lebte und dafür sterben müsste? Der Gedanke ist nicht neu, aber ‚Upload‘ dimensioniert das Denken neu, weil das Stück es schafft, dass man am Ende selbst auf dieser Bühne zu stehen scheint. ‚Upload‘ ist der Versuch, am Rande eines schwarzen Lochs dem Unmöglichen zu entkommen. Das Stück ist ein Gedankenexperiment: In einer Art Fabrik treffen Menschen zum Upload ein. Sie werden am Ende zu einem digitalen Ableger ihrer selbst. Ist der (digitale) Upload erstellt, endet das analoge Leben. Kopien sind nicht vorgesehen. Ein neues Original entsteht – es ist Original ohne Verfallsdatum.

Was, wenn jemand käme und die Kopie löscht? Was, wenn das Ende kein Ende ist? Wie unendlich ist der Raum zwischen zwei Fingerspitzen? Bleibt etwas Wunderbares, wenn alles Denkenfühlen entschlüsselt ist? ‚Upload‘ ist ein ganz großes Stück Kunst, weil es nicht in die Falle tappt, Kunststück sein zu wollen. ‚Upload‘ löst keine Probleme – beantwortet keine Fragen. Doch – eine vielleicht: Hat sich Oper überholt? Die Antwort: Nein. Fett gedruckt. Unterstrichen. Großbuchstaben.

Leider ist ‘Upload’ nur noch am Dienstag, 19. April, Mittwoch 20. April, und Freitag, 22. April – jeweils um 19.30 Uhr – zu sehen.

Termine und Karten für Upload

Vorheriger ArtikelAktuelle 7-Tage-Inzidenz im Kreis Kleve liegt bei 813,8
Nächster ArtikelDer Preis für die Freiheit