GELDERN. Nichts eignet sich besser, um Stereotype und Vorurteile abzubauen, als der persönliche Kontakt. Den Holocaust-Gedenktag nahm das Friedrich-Spee-Gymnasium in Geldern zum Anlass, Kontakt zur Initiative „Meet a Jew“ aufzunehmen. Diese besucht Schulen und andere Institutionen, um dort vom lebendigen Judentum zu erzählen. Auch die Schüler zweier 9. Klassen hatten nun Gelegenheit, im direkten Gespräch mit einer Jüdin ihre Fragen stellen, um mehr über das jüdische Leben in Deutschland zu erfahren.

Vor dem geplanten Besuch hatten sich die Schüler mit verschiedenen Themen auseinandergesetzt. Dazu zählte nicht nur der Nationalsozialismus allgemein, sondern auch die Verfolgung verschiedener Gruppen, neben Juden auch Sinti und Roma oder Widerständler. Zuletzt rückte eine Unterrichtseinheit Anne Frank in den Fokus.
Der Besuch von Vika S., die aus Düsseldorf angereist war, ermöglichte noch einmal einen besonders lebendigen Unterricht. Der schnell entbrannte Dialog schlug ganz unterschiedliche Richtungen ein. Das lag zwar zum einen an der ausgeprägten Neugier der Schüler, aber auch Vika befeuerte deren ungebremste Offenheit: „Ihr könnt mich fragen, was ihr möchtet. Es gibt keine dummen Fragen.“

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In Anbetracht antisemitischer Vorfälle in Deutschland kam bereits zu Beginn die Frage auf, ob und inwiefern man den Nationalsozialismus oder Antisemitismus heute als Jüdin spüre. Am eigenen Leib hat die 25-Jährige zwar noch keine schlimmen Zwischenfälle erfahren, „aber es gibt noch immer Attacken.“ Zu den Opfern gehörte einmal einer ihrer Freunde. Auch wenn der Polizeischutz für jüdische Einrichtungen in Deutschland durchaus gut sei, seien er und Sicherheitsmaßnahmen wie Panzerglas in Synagogen ein „Zeichen, dass es nicht wirklich sicher ist.“ So erzählt sie weiter, in manchen Situationen durchaus zu überlegen, ob sie ihre Davidstern-Kette sichtbar am Körper tragen sollte. „Man fühlt sich nicht immer sicher, aber es kommt auf das Umfeld an.“ Diskriminierung hatten auch Ihre Eltern erfahren, als sie früher in der Ukraine wegen ihres Glaubens kein Studium aufnehmen durften. 2004 sind sie mit ihrer Tochter nach Deutschland gekommen.

0,2 Prozent

In einer Frage-Antwort-Runde konnten die Schüler schätzen, wie viel Prozent der Weltbevölkerung Juden sind. Dass es nicht sehr viel sein würde, war den Schülern zwar bewusst, aber die Antwort war doch ein wenig überraschend: 0,2 Prozent. „Und davon sind auch nur zehn Prozent religiös“, ergänzt Vika. Neben Israel würden in Amerika die meisten Juden leben. In Deutschland wiederum seien es statistisch etwa 100.000, „man sagt aber, die Dunkelziffer liegt bei 200.000. Manche Menschen wissen nicht unbedingt, dass sie jüdisch sind.“ Wobei die größte jüdische Gemeinde wohl in Berlin ansässig sein dürfte.

Als religiöser Mensch – trotz ihrer eher wenig traditionellen Familie – konnte sie zudem viele Fragen zur Religion selbst beantworten. Koscheres Essen war ein Aspekt, ebenso erläuterte sie mehr zur jüdischen Sicht auf ein Leben nach dem Tod. Darüber hinaus erzählte sie unter anderem von besonderen Traditionen und Feiertagen wie Chanukka und dem dazugehörigen achtarmigen Chanukkaleuchter. Im Rahmen dieses Feiertags wird acht Tage lang jeden Tag eine neue Kerze entzündet. Nach Vikas Erläuterungen des geschichtlichen Kontexts, habe in früheren Zeiten das Licht eines Tempels dauerhaft brennen sollen. „Aber einmal gab es nicht genug Öl.“ Man sei davon ausgegangen, dass es nur für einen Tag reichen würde, letztlich seien es jedoch acht gewesen.

Sie erklärte den Schülern außerdem, dass es 613 Ge- und Verbote gebe. „Das sind sehr viele“, sagt sie mit einem Lachen, „aber wir versuchen, uns so gut es geht daran zu halten“. Im Judentum würden Männer zudem dreimal am Tag und Frauen einmal am Tag beten – sofern sie denn religiös seien. Für sie selbst gehöre das tägliche Gebet aber fest zum Alltag. Überhaupt gebe es für jede erdenkliche Situation ein Gebet, vor allem aus Dankbarkeit. „Nichts ist selbstverständlich.“

Eine Religion, ein Volk

Sie betont jedoch auch, dass es sich beim Judentum nicht nur um eine Religion handele, sondern um eine Ethno-Religion. Demnach bilden die Juden gleichzeitig ein eigenes Volk. In Vikas Fall kommt hinzu, dass sie wegen ihrer Herkunft aus der Ukraine und ihres langen Aufenthalts in Deutschland Schwierigkeiten hat, sich direkt einer dieser Nationalitäten zuzuordnen. Vor allem betrachtet sie sich daher als Jüdin. Das sei aber nicht bei allen so: Einige ihrer in Deutschland geborenen und aufgewachsenen jüdischen Freunde zum Beispiel würden sich als deutsche Juden identifizieren.

„Meet a Jew“ ist ein Begegnungsprojekt des Zentralrats der Juden und steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Mehr Informationen gibt es unter meetajew.de.

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